: Kalte Enteignung in Nordzypern
Im Norden der Mittelmeerinsel werden die Küsten mit Ferienhäusern betoniert. Leidtragende sind vertriebene griechische Besitzer. Auch türkische Zyprioten wehren sich gegen Ausverkauf der Insel
VON KLAUS HILLENBRAND
Ersel Tatlisu sitzt an seinem Schreibtisch in dem nordzypriotischen Hafenstädtchen Kyrenia und kann sich glücklich schätzen. „Endlich gehen die Geschäfte richtig gut“, meint der 39-jährige Unternehmer. Tatlisu ist Importeur von Baumaterial aus der Türkei und hat schon manche Durststrecke überstanden. Seit einem Jahr blüht seine Branche. Kilometerlang rund um Kyrenia wachsen Ferienhaussiedlungen aus dem Boden. „Paradise Beach“, „Turtle Beach“: Die Namen sind austauschbar wie die billigen eilig hochgezogenen Gebäude. Die Arbeiter aus der Türkei kennen keine Freizeit. Der Import von Baumaterial in Nordzypern hat sich in einem Jahr um 239 Prozent erhöht.
Der Bauboom zerstört nicht nur einen der letzten Naturräume an den Küsten des Mittelmeers und bedroht Nistplätze der seltenen Schildkrötenart Caretta caretta. Die Landnahme ist auch eine kalte Enteignung. Fast sämtliche Olivenhaine, die betonierten Ferienträumen zum Opfer fallen, sind im Besitz griechischer Zyprioten, die vor über 30 Jahren im Krieg vertrieben worden sind. Wegen der ungeklärten politischen Zukunft Zyperns müssen sie zusehen, wie ihr Land zerstückelt und an sonnenhungrige Europäer verkauft wird.
Die Immobilienhändler rund um Kyrenia erzählen ihren Kunden alles, was diese hören möchten. Kein Problem sei der Kauf eines griechischen Grundstücks. Sollte es irgendwann eine Lösung des Zypernkonflikts geben, seinen höchstens ein paar tausend Euro Entschädigung an den Exbesitzer zu zahlen, heißt es.
Vor allem Briten glauben diesen frommen Versprechungen. Die Preise haben sich mittlerweile zwar verdoppelt, aber noch gelten die Häuschen für rund 70.000 Euro als „Schnäppchen“. Sogar über das Internet blüht das Geschäft. So sind Häuser verkauft worden, die weder über Strom- noch Wasseranschluss verfügen – von einer Baugenehmigung ganz zu schweigen. Gegen die im Ostmittelmeerraum häufigen Erdstöße sind die einfallslosen Kleingebäude gar nicht gefeit, berichten zyperntürkische Architekten. So droht ein baldiges Zusammenklappen des Ferienglücks am Meer.
Die Entschädigungsfrage ist völlig ungeklärt. Ein Hinweis mag der Annan-Plan zur Wiedervereinigung geben, der 2004 am Widerstand der griechischen Zyprioten scheiterte. Danach kann zwar auch ein ausländischer Besitzer eines Hauses auf die Zuteilung des Landtitels hoffen, aber nur gegen Entschädigung des früheren Besitzers nach heutigen Marktpreisen. Da der Annan-Plan nie Gültigkeit erlangt hat, wehren sich die griechischen Besitzer juristisch: Ende letzten Jahres entschied ein Gericht in Nikosia, die britischen Erbauer eines Hauses auf griechischem Grund müssten ihr Gebäude wieder einebnen. Die zyperngriechische Regierung will durchsetzen, dass solche Urteile in der gesamten EU vollstreckt werden können – also auch in der nebligen Heimat der Besitzer.
Doch nicht nur die Inselgriechen beobachten die Entwicklung mit Groll. Auch viele türkische Zyprioten sehen darin einen Ausverkauf der eigenen Insel. Eine „landesweite Zerstörung der Umwelt“ beklagt Serdar Atai von der zyperntürkischen Handelskammer. Der Bauboom endet nicht an den Küsten. Die täglichen Sprengungen in den Steinbrüchen der Fünffinger-Bergkette drohen das Gesicht des Landes zu verändern. Manchen Besitzern von Reisebüros und Hotels dämmert, dass der Ast abgesägt wird, auf dem sie sitzen.
Atai wirft seinen Landsleuten vor, dass ein Großteil des wachsenden Wohlstands eine Folge der „Plünderung griechischen Eigentums“ ist. Der Unternehmer befürchtet negative Folgen für ein künftiges friedliches Zusammenleben von Inseltürken und -griechen. Er weist darauf hin, dass mit dem Bauboom tausende Festlandtürken nach Nordzypern immigriert seien, die die türkischen Zyprioten zu einer immer kleineren Minderheit im eigenen Land machten. Es sind diese „Siedler“, von denen die zyperngriechische Regierung verlangt, dass sie von der Insel verschwinden sollen.
Nach unbestätigten Berichten sollen die Verkäufe von Land und Gebäuden in Nordzypern von April bis September 2004 zwei Milliarden Euro erbracht haben – eine exorbitante Summe für das winzige Land mit etwa 200.000 Einwohnern. Selbst die Regierung der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern kommt gegen die internationale Baumafia offenbar nicht an. „Solange die Geld damit machen, ist nichts zu machen“, wird ein Regierungsberater in der Cyprus Mail zitiert.