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Archiv-Artikel

Der Fallkünstler

Es musste erst Mosi ermordet werden, bis „Bild“ die Lust an Palmer verlor„Ich habe so einen Sturz noch nie erlebt, aber in ein Loch bin ich nicht gefallen“

AUS STUTTGART GEORG LÖWISCH

Eigentlich ist Christoph Palmer erledigt. Was kann ein Politiker Selbstmörderischeres tun, als einen Parteifreund öffentlich zu ohrfeigen? Und Drecksau zu schimpfen? Noch dazu in einer Situation, in der der schützende Ziehvater Erwin Teufel gerade seine Macht verliert. Genau genommen müsste er sogar politisch mausetot sein. Nach dem Rücktritt als Minister erwischte ihn auch noch eine Debatte über seine Pension. Bild, RTL, das ganze Programm. Aber Christoph Palmer sagt: „Ich steh in Saft und Kraft.“

Ein Donnerstagvormittag in der Stuttgarter CDU-Kreisgeschäftsstelle. Palmer gibt einen Empfang zum 75. Geburtstag eines früheren Landtagsabgeordneten. 40 Gäste, Stadträte, Regionalräte, ehemalige Bürgermeister. Palmer ist Kreisvorsitzender. Er steuert auf seinen weichen Slippern durch die Menge. Einem Mann mit silbernen Haaren schmeichelt er: „Sie sehen gut aus. Bewegen Sie sich? Machen Sie Sport?“ Die Leute an den Stehtischen mögen ihn. Wenn sie über die Ohrfeige sprechen müssen, kommen sie schnell auf die Erklärung, dass das ja mit der Euphorie am Abend des 24. Oktobers zu tun gehabt habe. Denn das sei ja der Abend nach dem großen Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl gewesen. Mit Palmer als Wahlkampfmanager. „Die Wahl war nemme zum gwinnä“, sagt eine Frau im Strickpulli, „aber d’ Chrischtoph hätt’s no omboge.“

Die Laudatio. Er redet frei und zwanglos und gräbt die Hände in die Taschen des Jacketts wie ein Junge in die Latzhose. Wenn es lustig werden soll, dreht er den schwäbischen Dialekt hoch und dreht ihn wieder runter, wenn es ernst wird. Zum Beispiel jetzt, als er in die Hymne die Erinnerung an eine Affäre des Jubilars einflicht. Es ging um Untreue bei der Lotto-Gesellschaft, aber so genau sagt das Palmer nicht. „Es gab auch Stunden, die schwierig sind, bei wem gibt‘s die nicht?“ Die Parteifreunde fühlen schweigend mit. Mit dem Jubilar. Natürlich auch mit ihrem Christoph, der weiß ja, wovon er redet. Palmer erlöst sie. „Nur Nullen haben keine Ecken!“ Sie lachen dankbar. Rechts hinter ihm sitzt schweigsam sein Vater, Christdemokrat, Ingenieur. Links hinter ihm hängen gerahmte Fotos von Angela Merkel und Helmut Kohl. Beide kennen ihn.

Palmer ist bundesweit vernetzt. In seinem Umfeld bildet er Teams, die Strategien entwirft er selbst. Seine letzte Kampfabstimmung liegt schon 24 Jahre zurück. In der Jungen Union Nordwürttemberg ging es dem Einser-Abiturienten um das Amt eines Presserefenten, er gewann knapp gegen Peter Paul Schnierer. Schnierer, der Anglistikprofessor in Heidelberg wurde, sagt: „Christoph hat da wohl gemerkt, dass man sicherer fährt, wenn man so was vorher regelt und den Zufall ausschaltet.“

Er hat Gefallen daran gefunden, seine Pläne aufgehen zu sehen. Läuft Plan A nicht, weicht er aus. 1993 wird ihm klar, dass Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel seinen Protegé Wolfgang Schuster zum Kulturbürgermeister machen wird. Palmer hätte das Amt gerne gehabt, aber dann wird er eben Politikprofessor an einer Polizeihochschule. Zwei Jahre später sitzt er als Kunststaatssekretär in der Landesregierung. Schuster wird später Oberbürgermeister, Palmer beeinflusst die Rathauspolitik aus dem Hintergrund.

Halb eins, auf dem Weg durch die Innenstadt. Sein Tag hat um 7 Uhr begonnen. Das ist neu, als Staatsminister in der Regierungszentrale des drittgrößten Bundeslandes klingelte der Wecker um sechs. Frühstück, Zeitung, um 8.15 Uhr wartet der Fahrer. Telefonate im Wagen, dann Morgenlage mit Staatssekretär, Regierungssprecher, Grundsatzabteilungsleiter und dem Referenten von Ministerpräsident Erwin Teufel. Danach Akten scannen, beurteilen, entscheiden, den Machtapparat ölen, wenn es knirscht. Zwischendurch Reisen ins Land, nach Berlin, nach Brüssel. Ein 16-Stunden-Tag. Er verhandelt im Bundesrat, kauft Gemälde für die Staatsgalerie, schiebt die Image-Kampagne „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ an. Palmer hat den Job mit 36 Jahren übernommen, mit 38 macht ihn Erwin Teufel zusätzlich zum Europaminister, jetzt ist er 42.

Er setzt nicht nur auf die Karriere in der Regierung. Als er schon Kunststaatssekretär ist, halst er sich trotzdem den Vorsitz der CDU Stuttgart auf, die der Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder zerstritten und verschuldet hinterlassen hat. Dafür hat er später eine Hausmacht. Als er Minister ist, wird er zusätzlich noch Landtagsabgeordneter.

So viel Arbeit, so viel Absicherung können eigentlich nur in einem Ziel münden. Das Amt des Ministerpräsidenten. Aber als der Patriarch Teufel ans Ende seiner Karriere kommt, läuft es gegen Christoph Palmer. Günther Oettinger drängt, der neun Jahre ältere Chef der Landtagsfraktion. Wenn Oettinger Regierungschef wird, ist das Amt fürs nächste Jahrzehnt blockiert, und Palmer bleibt nicht mal Staatsminister. Er und Teufel gegen Oettinger.

Palmer gibt noch einmal alles, wirft sich in den Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlkampf. Es gelingt ihm abermals, den farblosen Wolfgang Schuster zum Erfolg zu führen. Auf der Wahlparty entlädt sich die Anspannung. Alles war berechnet, doch nun brechen zum ersten Mal in seiner Karriere für Sekunden die Emotionen durch. Im Ratskeller. Er trifft einen Freund. Den Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer. Pfeiffer hat nicht verhindert, dass die baden-württembergischen Abgeordneten dem Drehbuch Oettingers folgen und über Teufels Abschied diskutieren. Palmer schlägt ihn ins Gesicht. Zweimal. „Drecksau!“ „Rädelsführer!“

Jetzt sitzt er im Restaurant. „Da habe ich Mist gebaut.“ Er versucht, es zu erklären. Einiges sei zusammengekommen. Der Wahlsieg, die aufgeladene Situation um die Nachfolgefrage. Aber er kann es ja nicht mehr ändern. „Es ging immer straight away“, erklärt er. „Ich habe so einen Sturz noch nie erlebt, aber in ein Loch bin ich nicht gefallen. Auf Familie und Freunde konnte ich mich bedingungslos verlassen.“ Er wirkt tatsächlich entspannt. Sein Sicherheitsnetz hat ihn aufgefangen.

Dann die Angelegenheit mit der Pension. Palmer erhält rund 4.300 Euro. Rente? Mit 42! Eine Woche lang rutschte er deswegen Mitte Januar den Boulevard hinunter. Es musste erst Rudolf Moshammer ermordet werden, bis Bild die Lust an ihrem „Abzockepolitiker“ verlor. Ganz im Gegensatz zu SPD-Chef Wolfgang Drexler. Der war früher bei der Staatsanwaltschaft, da lässt man nicht so leicht locker: „Und jetzt,“ sagt Drexler, „spendet er, weil er bemerkt hat, dass das nicht durchzuhalten ist, so viel Geld au no einsacka.“ Wenn Palmer in die Wirtschaft geht und Abgeordneter bleibt, kann die CDU schon mal eine Nebentätigkeitsdebatte einplanen: „Mir gucke da scho drauf.“

Palmer bestellt einen Espresso. „Ich hatte nach dem Rücktritt zirka 2.500 Anrufe, Mails und Briefe, die mich ermutigt haben. Und dann die Anfragen von Unternehmen, ziemlich bald. Da wusste ich: Du bist auch anderswo gefragt.“ Er hat die Zuschriften also gezählt, archiviert, hat Anbahnungsgespräche mit der Wirtschaft geführt. So ist Palmer. Sein ganzes politisches Leben hat er geplant. Einmal handelt er nicht nach Plan, er fällt und schon im Fallen fängt er an, seine Kunst wieder zu nutzen.

Am 1. April fängt er als „Senior Advisor“ bei der Unternehmensberatung Roland Berger an. Nächste Woche wird er erklären, an wen er die Ministerpension spendet. Er sagt, dass das schon im November festgestanden habe, als Beleg nennt er den Pfarrer einer Kirche, die das Geld für ein Projekt bekommen soll. Fragt man ihn, warum er das nicht schon während der Bild-Woche getan hat, sagt er scharf: „Da kennt man mich falsch. Auf dem Höhepunkt von so einer unanständigen Pressekampagne mache ich das nicht.“

Palmer schließt den Ford auf. „Unsere Familienkutsche“, sagt er. Vor dem Beifahrersitz liegt eine Benjamin-Blümchen-Kassette. Er hat Zwillinge – ein Mädchen, ein Junge, neun Jahre alt – und eine fünfjährige Tochter. Die Zwillinge, erzählt er, haben ihn nach dem Rücktritt gefragt, ob er wieder Arbeit findet, warum der Fahrer nicht mehr kommt. Er und seine Frau haben es erklärt. Seine Frau arbeitet in einem Kulturinstitut und sitzt für die CDU im Regionalparlament. Und sie ist Palmers Beraterin. Wenn man fragt, wer sonst seine ständigen Vertrauten sind, fällt ihm nicht so richtig jemand ein.

Er parkt vor seinem Haus am Killesberg. Ein Viertel mit Blick über die Dächer Stuttgarts, das Haus ist keine Villa, aber am Killesberg wohnen die Wohlhabenden. Palmer ist stolz auf sein Zuhause, auf die Bücher, die Gemälde. Im Esszimmer zeigt ein Bild eine Zwillingspalme, daneben hängt eins mit einer einzelnen.

Ein Verleger kommt zu Besuch. Sie plaudern über Ministerpräsidenten und Meißner Porzellan, Palmer schaukelt ein bisschen mit dem Sessel. Es geht um ein Buch über den Weimarer Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, Palmer will als Herausgeber die Autoren organisieren. Er beugt sich vor, arbeitet die Punkte ab, Teufel soll schreiben, ein Kardinal, ein ehemaliger Verfassungsrichter, er reicht eine Liste rüber. Der Verleger will noch ein wenig diskutieren, eigentlich ist er längst überzeugt. Palmer spielt mit, sagt dann: „Machen Sie eine Kalkulation?“

Er wird nicht ewig Unternehmensberater bleiben. So viele talentierte Leute hat die CDU auf Bundesebene ja auch nicht und als Wahlkampfmanager ist er bisher unbesiegt. Palmer sagt zu einer Rückkehr nur: „Politik liegt mir, deshalb schließe ich das nicht aus.“

Die Politik liegt ihm? Die Politik ist sein Leben. Er ist mit 14 in die Junge Union eingetreten, mit 16 in die CDU. Seine Frau und er haben sich im Wahlkampf verliebt. Sein Vater war in der Lokalpolitik, seine Schwiegermutter auch. Er hat Politik studiert und gelehrt, er hat im Zentrum der Macht gesessen.

Seine Frau kommt kurz nach Haus, dann fährt sie die Kinder abholen. Palmer ruft ein Taxi, das Seien-Sie-so-lieb herzlich, das Wir-haben-es-eilig kompromisslos. Er ist schon über zehn Minuten zu spät für den Termin mit dem Oberbürgermeister. Das Taxi hält am Rathausplatz, es nieselt und ist fast dunkel jetzt. Palmer verabschiedet sich. Er lächelt, sagt: „Mich wird es weiter geben, auch in Berlin, gelegentlich.“ Er eilt die Stufen zum Rathaus hinauf.