„Panik im Pariser Élysée-Palast“

Die Verfassungsgegner machen Präsident Chirac nervös. So überlegt er, das Referendum vorzuziehen

PARIS taz ■ „Der Vertrag verkauft sich immer besser“, sagt der Zeitungshändler im Pariser Osten, „je näher der Termin des Referendums rückt, desto mehr Leute wollen wissen, worum es eigentlich geht.“ Die völlig unattraktiv aufgemachte blau-weiße Zeitschrift zum Preis von 3 Euro liegt bei ihm direkt neben der Kasse.

Der Händler selbst wird beim Referendum „natürlich“ hingehen: „Wählen ist Bürgerpflicht.“ Er weiß auch längst, dass er mit „non“ stimmen wird. Dazu braucht er den Verfassungstext erst gar nicht zu lesen: „Das ist die Fortsetzung von Maastricht. Damit haben die uns schon 1992 verarscht.“

Im September jenes Jahres fand das letzte EU-Referendum in Frankreich statt. Bis zuletzt war der Ausgang offen. Am Ende schafften die BefürworterInnen 51 Prozent – ein hauchdünner Sieg. Mehr als 3 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig. Zwei Ereignisse gaben damals den Ausschlag: die Wahlempfehlung der trotzkistischen „Lutte Ouvrière“ (LO) für eine ungültige Stimmabgabe und die politische Rückendeckung des deutschen Kanzlers Kohl für Präsident Mitterrand.

Dreizehn Jahre danach ruft die LO zu einem klaren „Non“ beim Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag auf. Aus Deutschland hingegen kommt die gewohnte Unterstützung für die Elite in Paris. Bundestagspräsident Thierse (SPD) hat dem französischen Parlamentspräsidenten Debfré (UMP) zugesagt, die Zustimmung seines Parlamentes zum Vertrag terminlich mit dem französischen Referendum abzustimmen. Beide Seiten hoffen, dass das Ja der deutschen Abgeordneten einen „positiven psychologischen Effekt“ auf die französischen WählerInnen habe.

Vorerst freilich haben die 41 Millionen Wahlberechtigten in Frankreich vor allem ein mulmiges Gefühl. Sie assoziieren die EU mit sozialem Kahlschlag oder der Abwanderung von Fabriken in Billiglohnländer.

Der Hühnchenbräter im Pariser Norden hat beim Joggen bemerkt, dass die EU öffentliche Bauarbeiten in seinem Stadtteil kofinanziert. Und im Prinzip hat er „nicht das Geringste gegen Europa“. Aber er findet, dass die EU „nichts tut, um zu verhindern, dass es immer mehr Arbeitslose gibt“. An dem Referendum wird er vermutlich nicht teilnehmen. Begründung: „Ich verstehe einfach zu wenig von Verfassungsverträgen“.Debatten über das Vertragswerk gibt es bislang nur in den politischen Organisationen und Parteien. Nachdem die Sozialisten sich mit 60 Prozent für die Verfassung aussprachen, entschied die CGT, die größte Gewerkschaft des Landes, sich zu 82 Prozent dagegen. Obwohl ihre Spitze anderer Meinung war. Die Grünen, eine der proeuropäischsten Parteien in Paris, zeigten sich bei einer internen Abstimmung in der vergangenen Woche gespalten. Nur 54 Prozent von ihnen wollen mit „Oui“ stimmen.

Am offensivsten in der politischen Debatte sind gegenwärtig die Neinsager. Immer mehr von ihnen tragen ihre Position zum Verfassungsvertrag jetzt mit Aufklebern zur Schau.

Ein Datum für das Referendum gibt es noch nicht. Eine Weile war von einem Termin im Juni die Rede. Doch angesichts der immer offensiveren Kampagne der GegnerInnen drängt der Élysée-Palast jetzt zur Eile. Bis zur Abstimmung muss die Verfassung gedruckt und in sämtliche Briefkästen gestreckt werden. Philippe de Villiers, einer der Wortführer der Vertragsgegner im rechten politischen Lager, beschreibt die Stimmung im Élysée-Palast mit „Panik an Bord“. DOROTHEA HAHN