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Archiv-Artikel

„Antisemiten sind nicht zivilisierbar“

NPD-Mann Cremer kommt für seine antisemitische Rede mit einer Bewährungstrafe davon. Rechtsextremismus-Forscher Alfred Schobert kann das nicht verstehen: Cremer könne jetzt im Landtagswahlkampf weiter hetzen

taz: NPD-Funktionär Claus Cremer muss nicht ins Gefängnis, sondern Sozialstunden leisten, entschied das Landgericht Bochum vor zwei Tagen. Wird ihn diese Strafe, wie die Richter hoffen, auf zivile Bahnen lenken?

Alfred Schobert: Das ist unwahrscheinlich. Der Mann kandidiert bei den Landtagswahlen für die NPD und ist ausgewiesener Antisemit. Was ist am Antisemitismus zivilisierbar? Und was muss man sagen, damit ein Gericht das Strafmaß für Volksverhetzung ausschöpft? Ich vermute, fünf Jahre bekommt man für das Remake einer geheimen Himmler-Rede vorm Brandenburger Tor, die das Ansehen Deutschlands international beschädigt.

Könnte das Gericht nicht so entschieden haben, weil Claus Cremer im Gefängnis ihn zum großen Märtyrer gemacht und die Nazi-Szene aufgeputscht hätte?

Ich kann nicht ins Hirn des Richters schauen. Aber die jüdischen Deutschen und Juden in Deutschland haben ein Recht auf Schutz. Durch dieses Urteil begünstigt, kann sich Cremer jetzt in der Nazi-Szene als Held feiern lassen und im Wahlkampf weiter hetzen.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hält die Gesetzeslage für reformbedürftig. Wie Räuber und Mörder sollten auch Volksverhetzer nicht mehr für Wahlen kandidieren dürfen.

Ich bin erstaunt, dass das jetzt überhaupt möglich ist. Es wäre eigentlich logisch, dass wegen Volksverhetzung verurteilte geistige Brandstifter wie Cremer das passive Wahlrecht verlieren.

Cremer hatte in seiner Rede seine Ablehnung zum Bau von Synagogen mit der jüdischen Schrift Talmud begründet, in der angeblich zum Kindesmissbrauch aufgerufen wird.

Cremer sagte, er habe im Talmud „geschmökert“. Sein Zitat ist allerdings verfälscht, es findet sich wortwörtlich in antisemitischen Machwerken, so in „Der babylonische Talmud“ von Erich Glagau, der sich auf eine Schrift des ungarischen Antisemiten A. Luszenszky von 1931 bezieht.

Der Talmud ist also eine altbewährte Quelle, um Judenfeindlichkeit zu begründen?

Die Ausschlachtung des Talmud für antisemitische Hetze hat eine lange Tradition. Im 19. Jahrhundert popularisierten christliche Antisemiten wie Professor August Rohling und der Diplomat Roger Gougenot des Mousseaux die Talmud-Legenden. Des Mousseaux‘ Schrift wurde von Papst Pius IX ausdrücklich begrüßt. Die Gegenschriften, die die Talmud-Legenden widerlegen, sind heute weitgehend vergessen. Deshalb haben wir einige dieser Schriften auf der Homepage des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung im Volltext zugänglich gemacht.

Das Gericht hält Cremer zugute, dass er sich wohl nicht bewusst gewesen wäre, mit seiner Rede eine Straftat zu begehen.

Der Demonstration sind juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesverfassungsgericht vorausgegangen. Cremer gröhlte in seiner Rede: ‚Was ich eigentlich sagen will, darf ich nicht. Was ich sagen darf, will ich nicht‘ – und jetzt soll er nicht gewusst haben, was er tut?

Was für einen Einfluss hat ein solch mildes Urteil auf die Nazi-Szene?

Das Urteil bestätigt die Nazis in ihrem Übermut, sie seien kurz vor der Machtergreifung. Das ist selbstverständlich Irrsinn. Dieser Wahn, insbesondere wenn die Erwartung enttäuscht wird, birgt aber eine immense Gefahr: Die zur Opferbereitschaft aufgeputschten „politischen Soldaten“ im heroischen „Endkampf“ könnten zu einigem fähig sein, was für ihre bevorzugten Zielscheiben gefährlich werden könnte. INTERVIEW: NATALIE WIESMANN

Hinweis: Alfred Schobert arbeitet am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)