: „Dauernd viel Geld in den Händen“
Gestern ging der „Glocke“-Prozess um gut gekühltes Geld, Untreue und Übernahmestress zu Ende
Bremen taz ■ Rund 80.000 Mark fehlen seit dem Frühsommer 2001 in der Kasse des städtischen Konzerthauses „Glocke“. Für 9.239,40 von ihnen konnte gestern eine Veruntreuerin verurteilt werden: Die ehemalige Kassenchefin. Der Staatsanwalt sah bei ihr „große kriminelle Energie“ am Werk, gepaart mit „hochgradig intrigantem Verhalten“ – was die 47-Jährige sowohl für ein „ausgeklügeltes System der Abrechnungsfälschungen“ genutzt habe als auch für den Versuch, den Verdacht auf ehemalige Kolleginnen zu lenken.
Die Angeklagte sah das anders. In ihrer Einlassung konzentrierte sie sich auf die damalige Überlastungssituation im Konzerthaus: „Das war eine Horrorzeit mit Schulenberg im Hintergrund. Mit Gesprächen vor der Tür, weil man Angst hatte, abgehört zu werden.“ Gemeint war die Übernahme des in der „Glocke“ installierten TSC-Ticketsystems durch den Bremer Unternehmer Klaus Peter Schulenberg. Der hatte das ursprünglich konkurrierende und mit öffentlichem Geld gegründete TSC-Ticketsystem für 1,36 Millionen Euro übernommen. Der damit verknüpfte Deal: Alle städtischen Veranstalter – neben der Stadthalle unter anderem eben auch die „Glocke“ – müssen ihre Karten seit dem über Schulenbergs CTS Eventim-System verkaufen, das gerade einen 38-prozentigen Gewinnzuwachs vor Steuern verbuchen konnte (Jahresumsatz 2004: 223,5 Millionen Euro) – was zu sehr viel Ärger führte.
Aber: Wanzen in Büros? Zustände wie bei der Bremer CDU? „Das ganze Team des Ticket-Service war damals einer sehr starken nervlichen Belastung ausgesetzt“, erklärt „Glocke“-Sprecher Carsten Preisler. Unter anderem die erheblichen Kartenkontingente der Bremer Musikfesteröffnung mussten damals „aus dem Schuhkarton“ verkauft werden, wie sich der Konzerthaus- und Festivalsprecher erinnert.
Bis heute dauern die Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Schulenberg um die Bezahlung des TSC-Geschäftes an – die für die ehemals städtischen Anteile zu bezahlende Summe ist nach Auskunft des Senatssprechers nämlich bis heute nicht bezahlt sondern ihrerseits Gegenstand eines Schiedsverfahrens.
Können all diese Kontexte und Stressfaktoren die Kassenunregelmäßigkeiten unter der Ägide der Angeklagten erklären? Mitnichten, befand das Gericht. Die chaotischen Zustände im Kassenbereich – bei überfülltem Tresor war das Geld im Kühlschrank gelagert worden – seien geradezu als Tarnung für Veruntreuungen genutzt worden. Den hieb- und stichfesten Nachweis dafür sah das Gericht trotzdem nur im Falle einer einzelnen Geldbombe gegeben.
Das Urteil: Die Tat sei nicht als bloße „Unterschlagung“ zu werten, sondern – wegen der Ausnutzung einer besonderen Vertrauensposition – als „Untreue“. Was die Richterin außerdem betonte: „Ihnen wurde es leicht gemacht: Sie hatten dauernd unheimlich viel Geld in den Händen.“ Was allerdings auch für andere gilt. Henning Bleyl