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Archiv-Artikel

Gangsta, überlebensgroß

Von der Nahtod-Erfahrung bis zum Nummer-eins-Hit in gerade mal vier Jahren: Jayceon Taylor alias The Game schreibt sich rasend schnell in die HipHop-Geschichte ein. Nun kommt er nach Deutschland

VON UH-YOUNG KIM

Selten hat ein Rapper so übertrieben mit der Authentizität seiner Gangster-Vita gewuchert und sich gleichzeitig so offen dazu bekannt, bloß leere Gußform zu sein, die nach den Zutaten zum Massenerfolg modelliert wurde. Der Plan ist aufgegangen: Als das Album „The Documentary“ vor drei Wochen herauskam, schoss es sofort an die Spitze der Charts. Die Westküste der USA hat nach dürren Jahren wieder eine Rapsensation. Vorhang auf für The Game! Das Spiel um Ghettotragödien und den amerikanischen Traum kann von neuem beginnen.

Dass der 24-Jährige schon derart grimmig dreinblickt, liegt der Legende zufolge an den Stationen der typischen Gangsterbiografie des Jayceon Taylor, wie der Rapper The Game mit, na ja, bürgerlichem Namen heißt. Aufgewachsen ist er in einer zerrütteten Familie in Compton – dem durch Platten und Filme mythifizierten Ghetto von Los Angeles. Als Gangmitglied der Bloods beteiligte sich Taylor an Erpressungen und Drive-By-Shootings. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Crackdealer, bis er 2001 in seiner Wohnung angeschossen wurde und kurzzeitig im Koma lag. Nach der obligatorischen Nahtoderfahrung mit anschließender Läuterung nahm er sich vor, Rapstar zu werden, und studierte während seiner dreimonatigen Genesung die gesamte HipHop-Historie. Zwischen Taylors ersten Versuchen am Mikrofon und seinem Nummer-eins-Album liegen gerade mal vier Jahre. Zu verdanken hat er den rasanten Aufstieg Dr. Dre, der unter anderem Eminem zum Popstar machte und Chef der Comptoner Gangsta-Rap-Ikonen von N. W. A. war.

Auffällig an den Texten des Albums ist, wie häufig sich der Rapanfänger vor seinen Idolen aus der Nachbarschaft verbeugt. In fast jedem Stück widmet er eine Zeile N. W. A. und deren an Aids verstorbenem Star Eazy-E. Außerdem zollt er im Rap von „Dreams“ den verstorbenen Celebrities der afroamerikanischen Popmusik Tribut: Tupac, Biggie Smalls, Jam Master Jay und Aaliyah. Ergreifend, als hätte er mit ihnen im Sandkasten gespielt. Demütig fällt er immer wieder vor seinem Übervater und Schöpfer Dr. Dre auf die Knie. Über die körperlichen Insignien der Ghettokultur und die Wiederholung textlicher Referenzen schreibt sich The Game als Fan und Künstler in die HipHop-Geschichte ein. So füllt sich im Schnellverfahren das unbeschriebene Blatt, das Taylor noch vor ein paar Jahren war.

Dass der Westcoast-Rapper mittlerweile Mitglied bei der Eastcoast-Crew G-Unit ist, der seine geografisch gespiegelte Vorlage 50 Cent angehört, schlägt sich auch musikalisch nieder. Für die ausgefeilte Inszenierung des Albums berief Dr. Dre Gäste wie Kanye West, Timbaland, Eminem und Mary J. Blige. Über den Eascoastflow von The Game hinaus nivelliert sich auf „The Documentary“ der einstige Unterschied zwischen Westcoast- und Eastcoast-Rap. Tiefe Bässe und fiepende P-Funk-Melodien zeichneten einst die Beats aus der Autofahrerstadt L. A. aus, um maximale Aufmerksamkeit beim entspannten Cruisen zu garantieren. Dagegen ist in der hektischen Fußgänger- und Subwaystadt New York der Walkman die vorherrschende Tonquelle, der Sound entsprechend mittiger und dichter. Da sich Dr. Dre und eine Hand voll andere Produzenten den Mainstream untertan gemacht haben, erübrigen sich heute lokale Unterschiede im Sounddesign – mit Ausnahme des HipHop aus den Südstaaten.

Unterhaltsamer als die Ghettofabeln von 50 Cent sind die beinharten Geschichten aus The Games Hood dennoch wegen eines fundamentalen Unterschieds zwischen den beiden Küstenstilen. Im traditionell tiefer verwurzelten Umfeld von New York entwickelte sich Rap an Dimensionen wie „Message“, „Skills“ und „Realness“. Im entgrenzten Sprawl von L. A. hat man sich dagegen schon früh von derartigem Ballast frei gemacht und bedient sich der imaginären Techniken der Traumfabrik Hollywood. So erzählt Taylor in Interviews von seinem Schusstrauma in einer Mischung aus „Taxi Driver“ und „Menace II Society“. Wo der Gangsta-Rap von 50 Cent fehl am Platz wirkt wie ein überdimensionierter Hummer-Pkw in den engen Straßenschluchten New Yorks, rollt das perfekt inszenierte Produkt The Game mit der Großspurigkeit eines Actionhelden und unterlegt von THX-Bässen direkt auf die große Leinwand. Anachronistisch bleibt aber auch sein Gangsta-Rap-Entwurf. Die Reportagen aus der vergangenen Crack-Ära haben keine signifikante Anbindung an die Wirklichkeit mehr. Übertreibung ist die Botschaft – based on a true story, wie es im Kino so schön heißt.

The Game auf Tour: 19. 2. Köln, 20. 2. Berlin