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Archiv-Artikel

Ein öffentlicher Tod

IRAN Eine junge Frau stirbt auf der Straße – und wird dabei von einer Handykamera gefilmt. Sie könnte zur Märtyrerin der Proteste gegen Ahmadinedschad werden

Auf Twitter ersetzen vieler User ihr Profil-Foto durch ein grünes gebrochenes Herz mit dem Namen „Neda“

VON MATTHIAS URBACH

Eine junge Frau in Jeans und schwarzem Schleier bricht, von einer Kugel getroffen, auf der Straße zusammen. Männer beugen sich über sie, rufen „Neda, bleib bei uns!“ Der Blick der Frau fällt zur Seite. Dann tritt Blut aus ihrem Mund, ihrer Nase. Aus den Rufen der Männer werden entsetzte Schreie: „Neda!“ Die junge Frau ist offenbar tot.

Zu sehen ist diese Szene auf YouTube unter dem Titel „Iran, Teheran: wounded girl dying in front of camera“ (siehe taz.de/neda). Demnach soll die Frau von einem der Revolutionsgarde unterstehenden Bassidschi-Milizionär erschossen worden sein. Aufgenommen wurde die Szene mit wackliger Handykamera, was die Bilder nur umso eindrücklicher, authentischer erscheinen lässt. Und möglicherweise große Wirkung hat, denn „Neda“, deren Name so viel wie „Stimme“ oder „Warnung, die von Gott kommt“ bedeutet, könnte zu einer Märtyrerin der Opposition werden.

Es ist schwer, sich diesem verstörenden Video zu entziehen. Man spürt, um wie viel es bei den Protesten geht. Allein am Samstag kamen mindestens 13 Menschen ums Leben. Obwohl die Staatsmacht den Journalismus unterdrückt, dringen noch immer Nachrichten aus Teheran. Sie kommen über Twitter, Facebook, Blogs oder YouTube.

Es gibt viele Bilder von verletzten oder toten Demonstranten. Darunter ein Video unter dem Titel „Death for Freedom“: Es zeigt, wie ein leblos wirkender Mann innerhalb eines Protestzuges davongetragen wird. Doch ein so beklemmendes Dokument wie das vom Tode Nadas war bislang nicht zu sehen.

Die unverblümte Darstellung des Todes ist im Westen ein Tabu – so nahm die Selbstkontrolle von YouTube das Video mehrfach von der Seite. Doch es wurde immer wieder hochgeladen. Im Iran ist dagegen der Tod für eine Sache, der Märtyrertod, fester Bestandteil der Kultur. Schon in der islamischen Revolution Ende der 70er spielten die Toten in der Auseinandersetzung mit dem Schah-Regime eine große Rolle. Schiiten beklagen einen Toten am dritten, siebten und vierzigsten Tag – feste Gelegenheiten also, Proteste am Laufen zu halten. In der islamischen Revolution produzierten die Trauerfeiern stets neue tödliche Zusammenstöße mit dem Staat und damit einen Zyklus von Trauer und Protest – bis zum Umsturz.

Und so war auch bei den aktuellen Protesten die größte Versammlung der Trauerzug für die ersten Toten am Donnerstag. Die Trauerfeier für Nada war bereits für Montag angesetzt.

Das Todesvideo kursiert im Netz – und zeitigt Wirkung: „Das war ein wegweisender Moment in der Geschichte des Iran – Du bist als Märtyrerin gestorben“ schreibt etwa „PaganChild“ in Twitter. Ein Iraner, der unter dem Namen „Hateiri“ bloggt, erklärt: „Sie wird das neue Symbol des Iran sein.“

Solche Einschätzungen lassen sich viele finden. Auf Twitter, dem wichtigsten Kommunikationsmittel der Protestbewegung, ersetzten vieler User ihr Profil-Foto durch ein grünes gebrochenes Herz mit dem Namen „Neda“.

Da ist die Frage, wie authentisch das Video wirklich ist, beinahe sekundär. Der Wahrheitsgehalt kann nicht seriös überprüft werden, solange Reporter ihre Büros nicht verlassen dürfen oder ausgewiesen werden.

Der YouTube-User „feelthelight“, der das Neda-Video hochlud, erklärte am Samstag nüchtern: „Die junge Frau, die mit ihrem Vater am Rand stand und die Proteste betrachtete, wurde von einem Bassidschi-Mitglied vom Dach eines zivilen Hauses erschossen … Er zielte genau auf ihr Herz … die Kugel war in ihrer Brust zersprengt, und sie starb in weniger als zwei Minuten.“

Montag kamen dann Berichte eines Bloggers aus Kanada, der Kontakte zur Familie haben will, und zwei Punkte korrigiert: Nicht der Vater habe Neda begleitet, sondern ihr Professor. Und die Schüsse seien nicht vom Haus, sondern von einem Motorrad aus abgefeuert worden.

Kaum zu fassen, dass es sich so abgespielt haben könnte. Doch noch weniger glaubhaft ist, das Video sei gefälscht. Für den Fortgang im Iran ist das auch egal.