: „Weder Gewalt noch List erforderlich“
In der Visa-Affäre macht sich die Öffentlichkeit falsche Vorstellungen vom Menschenhandel, meint die Kriminologin Annette Herz. Vor allem müsste den Schleusern das Handwerk erschwert werden. Ein Vorschlag dafür: Green Cards für Prostituierte
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
taz: Frau Herz, hat die laxe Visumvergabe durch deutsche Botschaften die Versklavung osteuropäischer Frauen gefördert?
Annette Herz: Ich finde, diese Frage ist reißerisch. Visaerleichterungen müssen nicht automatisch zu Zwangsprostitution führen. Auch die Kriminalstatistik belegt in der fraglichen Zeit überhaupt keinen Anstieg ukrainischer Opfer. Die deutsche Öffentlichkeit macht sich ziemlich falsche Vorstellungen vom Menschenhandel.
Bitte klären Sie uns auf.
Es gibt sicher Fälle, in denen Frauen in Osteuropa mittels Zwang nach Deutschland gebracht werden und dann hier gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen werden. Das ist aber nicht die Regel.
Was ist dann der typische Fall?
Häufiger kommt es vor, dass junge Frauen zum Beispiel aus der Ukraine unbedingt nach Deutschland oder auch nach Polen wollen, um hier Geld zu verdienen und um am hiesigen Lebensstandard teilzuhaben. Sie nehmen deshalb gerne die Hilfe von Schleusern in Anspruch, die den Transport organisieren, Papiere beschaffen und Arbeitsgelegenheiten vermitteln. Einigen ist dabei schon klar, dass es in Deutschland um Prostitution gehen soll, anderen nicht unbedingt.
Aber in beiden Fällen kann Menschenhandel vorliegen?
Ja, beim einfachen Menschenhandel sind die Voraussetzungen der Strafbarkeit sehr gering. Da ist weder Gewaltanwendung noch List erforderlich. Es kann genügen, wenn die Frauen neugierig gemacht werden, wenn ihnen etwas in Aussicht gestellt wird.
Ist also alles nicht so schlimm, wie man es sich vorstellt?
Man darf nicht von einem Extrem ins andere verfallen. Auch Frauen, die hier aus materiellen Gründen der Prostitution nachgehen wollen, müssen vor unmenschlicher Behandlung und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen geschützt werden.
Wie?
Zum Beispiel, indem die Schleuser und Zuhälter, die sie ausbeuten und teilweise misshandeln, bestraft werden.
Die Zuhälter nutzen ja auch die hilflose Lage von Frauen aus, die sich illegal in Deutschland befinden. Was folgt daraus für das deutsche Ausländerrecht?
Es gibt durchaus die Forderung, dass man mit speziellen Green Cards die Einreise zum Beispiel ukrainischer Frauen ermöglichen sollte, damit diese legal und einigermaßen sicher in Deutschland als Prostituierte arbeiten können. Der Markt ist ja da, und dies würde den Frauenhandel sicher verringern, während die Verschärfung der Visavorschriften dem Menschenhandel eher Vorschub leistet. Politisch ist dies derzeit aber nicht durchsetzbar.
Warum sollen ukrainische Frauen mit deutschen Behörden kooperieren und sich gegen ihre Ausbeuter wehren, wenn sie anschließend sofort oder spätestens nach Abschluss des Strafprozesses abgeschoben werden?
Es gibt Organisationen, die versuchen, solchen Frauen nach der Rückkehr in ihr Heimatland eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Hier müssten sich die beteiligten Staaten viel stärker engagieren.
Was ist der Unterschied zwischen osteuropäischen Prostituierten und osteuropäischen Bauarbeitern?
In meinen Augen ist eine Frau, die in der Prostitution arbeitet, verletzlicher und kann leichter seelische und körperliche Schäden davon tragen. Aber die Gefahr der Ausbeutung ist bei illegalen Bauarbeitern, die bei uns schwarzarbeiten, ähnlich. Nach einem neuen Gesetz, das jetzt in Kraft getreten ist, werden beide Fälle gleich behandelt.