: Berlin erklärt sich nicht zur Fußgängerzone
In Italien verhängen Städte Fahrverbote. Glückliche Flaneure! In Berlin wird’s dazu nicht kommen. Scusi
An der Frankfurter Allee ist Tag X, besser: Tag 35, nicht mehr fern. An 12 Tagen hat die Messstation hier bisher laut Internetseite des Umweltbundesamtes einen unzulässig hohen Feinstaubwert in der Luft registriert. 35 Tage dürfen es nach der EU-Richtlinie pro Jahr sein (siehe Text oben). Bekommt Friedrichshain spätestens im Frühsommer die längste Fußgängerzone der Welt? Legt die EU gar die ganze Innenstadt lahm – wie in Italiens Kommunen, wo Fußgänger vielerorts derzeit „dolce vita“ feiern?
Sicher ist: Dass die 35-Tage-Marke hier – ebenso wie an anderen Hauptverkehrsstraßen – geknackt wird, ist nur eine Frage der Zeit. Es hängt vor allem vom Wetter ab: Regen wäscht Feinstaub aus der Luft. „Wenn es aber trocken wird, könnte es an der Frankfurter Allee im Mai so weit sein“, sagt BUND-Sprecherin Carmen Schultze.
Dennoch brechen im Sommer keine paradiesischen Zeiten für Großstadtflaneure an; eine Renaissance autofreier Tage, wie es sie in Berlin schon in den 70ern gab, steht trotz Schmutzluft nicht an: Allgemeine Fahrverbote schließt der Luftreinhalteplan als „nicht verhältnismäßig“ aus. An hoch belasteten Tagen kämen 70 Prozent des Feinstaubs aus dem Umland, so ein Argument. Ein anderes: Die Ver- und Entsorgung der Stadt muss klappen.
Anwohnern, die ihr Recht auf saubere Luft einfordern wollen, bleibt der juristische Weg. Bisher gibt es keine Klage. BUND-Sprecherin Schultze berichtet aber von „Ambitionen einzelner Leute“ – um die Erfolgschancen zu erhöhen, werden sie wohl noch warten, bis die kritische 35-Tages-Marke fast erreicht ist. Anders als in der Vergangenheit angekündigt, werden die Naturschützer solche Klagen nicht finanziell unterstützen: „Mit seinem Luftreinhalteplan macht Berlin eine Menge, das werden die Richter stark gewichten“, sagt Umweltreferent Martin Schlegel.
Auch wenn die Chancen schlecht stehen, rechnet man in der Verkehrsverwaltung bereits mit Anwohnerklagen. „Wo es was gegen das Land zu klagen gibt, wird’s gemacht“, sagt Sprecherin Petra Rohland. Auch das würde aber nicht im Sommer die Straßen freiräumen, denn Justitia kommt bekanntlich schwer in die Gänge. Nach zwei Jahren gäbe es vielleicht ein Urteil, schätzt Carmen Schultze in aller Vorsicht und verweist auf einen Prozess zu Lärmbelästigung in der Brückenstraße, der bis zum Entscheid 13 Jahre dauerte.
Während Berlin in puncto 35-Tage-Marke nach der Devise agiert: „Erstmal gucken, was kommt, reagieren können wir immer noch“, gehen andere Länder anders zu Werke. Beispiel Italien: Städte wie Rom, Ferrara, Mantua, Parma oder Ravenna verhängten in den letzten Wochen mehr oder weniger planlos Fahrverbote, weil die Feinstaubwerte wegen malerischer, aber enger Altstädte und veralteter Autos wesentlich höher liegen als in Deutschland. „Dominica blocco totale“, titelte eine Tageszeitung in Bologna. An jenem Sonntag ging zwischen 8.30 und 12.30 Uhr nichts mehr für Autofahrer. Die elektronischen Anzeigetafeln an Bus- und Bahnhaltestellen informierten praktischerweise über das Fahrverbot. In Berlin wird es natürlich – Scusi! – zu italienischen Verhältnissen nicht kommen. Schade eigentlich. ULRICH SCHULTE