: Dialogisches Wechselspiel
KONZERT „China Spectacular“ stellt die zeitgenössischen chinesischen Komponisten Tan Dun und Qigang Chen vor, die eine plausibel west-östliche Klangsymbiose erschaffen
VON PETRA SCHELLEN
Es ist eine eigentlich unmögliche Symbiose: die zwischen zeitgenössischer Musik aus dem Westen und aus China. Denn wo sollten sie sich treffen, die so verschiedenen Klang- und Kompositionsmuster, die je eigene Mentalitäten und politische Verhältnisse transportieren? Trotzdem gelingt es einigen Komponisten – besser sogar als bildenden Künstlern des modernen China, die leicht ins Propagandistisch-Ikonenhafte oder Konsumistisch-Verwestlichte abdriften.
Dass der Brückenschlag zwischen Ost und West am glaubhaftesten jenen chinesischen Komponisten gelingt, die zwar im Exil leben, aber regelmäßig in ihre Heimat fahren, ist da nur plausibel. Tan Dun und Qigang Chen, deren Werke jetzt – in der NDR-Reihe „Das neue Werk“ – unter dem Titel „China Spectacular“ auf Kampnagel erklingen, sind gute Beispiele. Tan Dun (50) lebt in New York, Qigang Chen (58) in Paris. Beide wuchsen in China auf und haben noch die Ausläufer der Kulturrevolution erlebt. Sie kennen also nicht nur die lieblichen Facetten ihres Landes. Und beide leben seit den 80ern im Ausland, wo sie bei westlichen Lehrern studierten.
Tan Dun und Qigang Chen haben geschafft, was Europäern vermutlich zur hilflos-folkloristischen Geste gereichen würde: Stücke für westliches Orchester und chinesische Instrumente, Stimmen oder Melodien zu schreiben und so quasi die eigene Biographie in Musik zu fassen. So ensteht ein dialogisches Wechselspiel, in dessen Verlauf etwa chinesische Melodien vom Saxophon gespielt werden, wie in einer Komposition Tan Duns.
In seiner Jugend hatte der gar mit Geräuschen aus Steinen und Papier experimentiert. Später wurde er als Opern- und Filmmusik-Komponist bekannt; am berühmtesten ist die oscarprämierte Musik zu Ang Lees „Crouching Tiger, Hidden Dragon“. Auf Kampnagel wird „The Intercourse of Fire and Water“ für Cello und Orchester erklingen.
Eine sehr konkrete Verbindung zwischen Ost und West erzeugt auch Qigang Chen: „Iris Dévoilée“ heißt sein Werk für großes Orchester, drei Frauenstimmen – davon eine im Stil der Peking-Oper – und drei Virtuosinnen traditioneller chinesischer Instrumente.
Der Titel meint einerseits die Wasserlilie, andererseits die entscheierte Iris bzw. Isis: jene altägyptische Fruchtbarkeitsgöttin, die nackt dazustellen tabu war. Dies ist die Symbolebene; eigentlich spürt Chens Werk den Gemütszuständen chinesischer Frauen nach, die Liebesgefühle – qua Konvention – immer noch nicht direkt äußern dürfen; hierzu bedarf es eines längeren Vorlaufs. Auf diese Genese bezieht sich auch die Struktur seines Stücks: „Die Unschuldige“, „die Sensible“, „die Eifersüchtige“ und „die Hysterische“ kommen darin vor – wobei die Hysterie für den finalen Ausbruch der Gefühle steht.
Doch Chens Komposition ist nicht schlicht linear angelegt: Dialoge zwischen westlichem und östlichem Timbre winden sich hindurch; das Orchester ist nie nur Klangteppich, sondern Teil des musikalischen Dialogs – etwa mit der Erhu, einer chinesischen Kniegeige. Das ergibt eine aparte und spannungsreiche Klangmixtur, die ständig Gewohntes relativiert – für alle Beteiligten.
■ Fr, 26. 6., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20