: HSV taumelt in die Saison
FÜHRUNGSKRISE Zwei Wochen vor Trainingsbeginn feuert der Hamburger Sportverein seinen Sportchef Dietmar Beiersdorfer und leitet einen Systemwechsel ein. Künftig heißt es: Alle Macht dem Vorstands-Chef
Als Dietmar Beiersdorfer Ende 2002 mit der Arbeit begann, bestand die Scouting-Abteilung des Hamburger SV aus einer Pappschachtel mit ein paar Videokassetten, eine systematische Nachwuchsarbeit gab es nicht.
■ Heute hat der HSV 25 Nationalspieler im Jugendbereich, es gibt das HSV-Lab, in dem die Trainingsdaten der Spieler ausgewertet werden, und über 20 Scouts, für den Nachwuchs weitere fünf.
■ In den sieben Beiersdorfer-Jahren verbesserte der HSV sein Spielniveau und war am Ende der Saison nie schlechter als Rang acht. In der vergangenen Saison schaffte es die Mannschaft ins Halbfinale des Uefa- und DFB-Pokals, in der Bundesliga landete der HSV auf Platz fünf.
■ Der Marktwert der Mannschaft liegt bei geschätzten 120 Millionen Euro, Beiersdorfer gelang die Verpflichtung von Spielern wie Paolo Guerreo, Marcell Jansen, Nigel de Jong, Ivica Olić, Mladen Petrić, Piotr Trochowski und Rafael van der Vaart. ROR
VON ROGER REPPLINGER
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, kurz nach 23 Uhr, verkündete Aufsichtsrats-Chef Horst Becker die Entscheidung: Der Hamburger Sportverein trennt sich von Sportchef Dietmar Beiersdorfer. Sieger in dem von Bernd Hoffmann provozierten Machtkampf ist Bernd Hoffmann, der Vorstandsvorsitzende des HSV.
Beiersdorfer hatte seine Haltung in einer gut belegten und leidenschaftlichen Stellungnahme begründet, die Aufsichtsräte entschieden dennoch gegen ihn.
„Der gesamte Aufsichtsrat bedauert diese Entscheidung sehr. Wir wünschen Dietmar Beiersdorfer alles Gute für die Zukunft und bedanken uns bei ihm für die geleistete Arbeit“, sagte Becker nach der Sitzung im an der Alster gelegenen Restaurant „Insel“ von Multimillionär und Aufsichtsrat Ian Karan, seit seiner Unterstützung für Ronald B. Schill in Hamburg umstritten.
Mit dieser Entscheidung werden die von Beiersdorfer beklagten Kompetenzüberschreitungen Hoffmanns nachträglich gebilligt. Beiersdorfer, satzungsgemäß für Lizenzspielerbereich und Nachwuchsarbeit verantwortlich, war von Hoffmann mehrfach in einer Weise brüskiert worden, die den kolportierten Zwist um die Bewertung der Saison bestenfalls vordergründig bedeutend erscheinen lässt: Während Beiersdorfer mit zwei Halbfinals und der Europa-League-Qualifikation zufrieden war, zeigte sich Hoffmann enttäuscht, beklagte „mangelnde Leidenschaft“.
Hoffmann soll etwa von den Leitern der Abteilungen Scouting und Nachwuchs, die er öffentlich als „Geldvernichtungsmaschine“ diskreditierte, verlangt haben, künftig direkt seinem Assistenten Stephan Hildebrandt zu berichten. Dieser war vor 2008 auf Wunsch von Beiersdorfer als Chef der Nachwuchsarbeit abgelöst worden.
Hoffmann hatte, wie Spiegel Online berichtet, von einem Mitarbeiter der Nachwuchsabteilung verlangt, über Nacht einen umfangreichen Fragenkatalog zu beantworten, in dem es um eine Effizienzsteigerung in den kommenden Jahren ging. Alles ohne Wissen Beiersdorfers.
Immer wieder hatte Hoffmann versucht, Entscheidungen hinter dem Rücken des Sportchefs zu fällen, Termine ohne ihn festzulegen – auf Tage, an denen Beiersdorfer im Ausland potenzielle Neuzugänge beobachtete.
Beiersdorfer zog die Reißleine und bat den Aufsichtsrat um Klärung. Die kam prompt. Der Aufsichtsrat, von Wirtschaftskapitänen dominiert, entschied auf typisch hanseatische Weise: Hoffmanns Zahlen stimmen. Das gab den Ausschlag. Beiersdorfers Beitrag dazu – etwa die enormen Transfererlöse, die ihm den Spitznamen „Dukaten-Didi“ eintrugen – spielt keine Rolle.
„Wir müssen uns nun auf die neue Saison konzentrieren“, forderte Becker und sprach dem Restvorstand aus Hoffmann, Katja Krauss und Oliver Scheel das „volle Vertrauen“ aus, in der Übergangszeit die nötigen Schritte zu planen. Nötig sind einige, denn für die in sieben Wochen beginnende Saison ist noch kein Transfer fix. „Für den HSV ist es eine unruhige Phase, die wir nun mit aller Kraft zügig überstehen müssen“, so Becker.
Aus dem „zügig“ wird wohl nichts werden, denn aus den Abteilungen, für die Beiersdorfer zuständig war, ist zu hören: „Wenn Beiersdorfer geht, dann nicht alleine.“ Es gibt Mitarbeiter, die gar nicht erst nach Hamburg gezogen sind, weil sie auf den Ausgang des seit längerem schwelenden Konflikts im Vorstand warten wollten.
Hoffmann, dessen Vertrag bis 2011 läuft, plant indes, den nächsten Sportchef unterhalb des Vorstands anzusiedeln. Diplom-Kaufmann Hoffmann, der nach seinem Studium an der Uni Köln bei der Universum Film AG und später beim Sportrechtevermarkter Sportfive tätig war, zuletzt als Deutschland-Chef, will künftig auch in sportlichen Belangen das letzte Wort haben. Mal sehen, wer Lust hat, unter ihm den Sportchef zu geben.