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Archiv-Artikel

Radweg in den toten Winkel

UNFÄLLE Ein Laster überfährt eine 34-Jährige. Sie ist die erste Radunfalltote in diesem Jahr. Fahrradbeauftragter: Mit einer Radspur auf der Straße wäre das nicht passiert

Kurz nach dem Unfall erfasst ein Laster am selben Ort beinahe wieder eine Radlerin

VON STEFAN ALBERTI

Die hoffnungsvolle Null in der Verkehrsstatistik war um 8.40 Uhr Vergangenheit. Am Mittwochmorgen starb erstmals in diesem Jahr eine Radfahrerin auf Berlins Straßen. Die 34-Jährige wurde an der Kreuzung Danziger Straße/Prenzlauer Allee in Prenzlauer Berg von einem Lkw überrollt. Nach Polizeiangaben hatte der Fahrer die Frau offenbar im sogenannten toten Winkel übersehen. Der Radweg, auf dem sich die 34-Jährige bewegte, verläuft zudem auf dem Bürgersteig, statt – besser einsehbar – auf der Fahrbahn. Beides bringt Berlins Fahrradbeauftragten Benno Koch zu der Einschätzung: „Das ist ein Unfall, der vermeidbar war.“

Ortsbegehung einige Stunden später: Weder Splitter noch Blutspuren weisen auf den Unfall am Morgen hin. Anwohner aber erzählen von dem möbelwagengroßen Laster, der von der Danziger Straße aus rechts in die Prenzlauer Allee in Richtung Norden einbog. Fast gleichzeitig bahnt sich eine Wiederholung des Vorfalls an: Wieder fährt eine junge Radfahrerin auf der Danziger Straße über die Kreuzung – ordnungsgemäß bei Grün –, als neben ihr ein abbiegender Lkw gerade noch so zum Stehen kommt.

Der Unfall und der Beinaheunfall bestätigen einen Trend in der Unfallstatistik der Polizei. Seit 2005 wuchs die Zahl derjenigen, die durch rechtsabbiegende Fahrzeuge verunglückten, fast um die Hälfte. 2008 wurden auf diese Weise 636 Radler verletzt, teilweise schwer oder tödlich. Der Fahrradbeauftragte Koch zitiert eine weitere Statistik, nach der jeder zweite tödliche Unfall in Zusammenhang mit dem toten Winkel steht. Das ist jener Bereich, den vor allem bei Lkws normale Spiegeln nicht erfassen.

Auf Kochs Initiative hin wurde vor einigen Jahren zwar bundesweit eine Verordnung durchgesetzt, die zusätzliche Spiegel zur Pflicht macht, mit denen es den toten Winkel kaum noch gibt. Ältere Laster bis Baujahr 2000 sind davon jedoch ausgenommen.

In den vergangenen Jahren starb im Durchschnitt jährlich ein Dutzend Radfahrer in Berlin. Trauriger Rekord waren 24 Tote im Jahr 2003. Am wenigsten waren es 2005 mit 7. Generell allerdings fährt und geht es sich in Berlin sicherer als anderswo: In keinem Bundesland gab es 2008, gemessen an der Einwohnerzahl, weniger Verkehrstote.

Die Kreuzung Danziger Straße/Prenzlauer Allee taucht in der jüngsten Verkehrsstatistik der Polizei als einer von stadtweit acht Brennpunkten mit Fahrradunfällen auf (siehe Karte). Für 2008 sind dort ein Schwerverletzter und zwölf Leichtverletzte verzeichnet. „Die Prenzlauer Allee und die Schönhauser Allee sind die Strecken mit den meisten Fahrradunfällen“, so Koch.

Er bescheinigt der zuständigen Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) viel Willen zu Veränderung: „Sie ist eine absolute Verfechterin von Radspuren auf Fahrbahnen.“ Seit sie 2004 ins Amt kam, seien 100 Kilometer entsprechender Markierungen entstanden. Dem gegenüber stehen insgesamt 1.500 Kilometer Hauptstraße. Koch spricht aber von „einem Riesenschritt nach vorn“, weil sich zuvor nur wenig getan habe.

Auch die Verkehrsexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Claudia Hämmerling, sieht vereinzelt durchaus guten Willen, Radwege auf die Fahrbahn zu holen. Doch gerade bei Straßenneubau herrsche oft noch „Denken aus dem Mittelalter“ vor. Das gilt für sie auch bei aktuellen Bauarbeiten, etwa in der Stresemannstraße nahe dem Potsdamer Platz. Dort würden an Engstellen Radfahrer und Fußgänger zusammengedrängt. In der Stresemannstraße verbietet an der Baustelle sogar ein Schild Radfahrern, die Straße zu benutzen, und zwängt sie mit Fußgängern in einen engen Durchgang. „Denen muten sie so was zu“, sagt Hämmerling. „Aber auf einen Parkplatz wird nie verzichtet.“