: Arbeitsplätze am Fleischerhacken
Seit einem Erlass der Kohl-Regierung Anfang der 1990er Jahre ersetzt die Fleischindustrie im Oldenburger Münsterland die einheimischen Arbeiter nach und nach durch Billiglohn-Malocher aus Osteuropa. Die Folge: Dänische Fleischkonzerne verlagern mittlerweile ihre Produktion ins „Billiglohnland BRD“
von Helmut Lorscheid
Albert S. hat schon bessere Zeiten erlebt. Zehn Jahre lang arbeitete der heute 31jährige Oldenburger im Schlachtgewerbe, die letzten Jahre als Zerleger. „Vor zehn Jahren, da haben wir gut verdient. Hilfsarbeiter haben 3- bis 4.000 DM bekommen, die Aufhänger, die haben im Akkord gearbeitet, die bekamen 4.000 DM.“ Diese Zeiten sind vorbei, heute bekommen viele nur noch rund tausend Euro, um die Hälfte weniger.
Der Grund: Die Fleischindustrie im Oldenburger Münsterland beschäftigt zunehmend Billiglohnarbeiter aus Osteuropa. Bei der NFZ (Norddeutsche Fleischzentrale) beispielsweise arbeiten rund 600 Mitarbeiter, 300 noch aus der Region, 300 aus allerlei Ländern. Immer mehr Schlachter aus Vechta und Oldenburg sind gezwungen, sich ihre Arbeitsplätze in den Niederlanden zu suchen – oder sich arbeitslos zu melden.
Die Umstellung auf „Billiglohn“ begann nach der Maueröffnung. Die damalige Regierung Kohl wollte Facharbeitern aus Ost- und Südosteuropa eine Weiterbildung in Deutschland ermöglichen: Die Schlachter aus rumänischen Betrieben sollten für einen bestimmten Zeitraum für den in Deutschland üblichen Lohn in deutschen Schlachthöfen arbeiten können, um anschließend nach Rumänien in ihre alte Firma zurückzukehren. Im Rahmen zwischenstaatlicher Abkommen, zum Beispiel mit Rumänien, wurden Arbeitskraftkontingente für einzelne Industriezweige vereinbart. Soweit das Abkommen und soweit die Theorie.
Ausbeutung infolge staatlicher Verträge
Tatsächlich bildete sich in Windeseile eine kriminelle Struktur. In Rumänien wurden Briefkastenfirmen gegründet, nicht selten gemeinsam mit deutschen Partnern. Die Firmen schickten Arbeiter für wenig Geld nach Deutschland. Bei zahlreichen Firmen erfolgte die Anwerbung auf der Straße oder durch Kleinanzeigen. Gelernte Fleischer, aber auch arbeitslose Bauarbeiter wurden für die Arbeit in deutschen Schlachthöfen angeworben.
Die Versprechungen klangen verlockend: 1.200 Euro im Monat, geregelte Arbeitszeit, kostenlose Unterbringung und Transport hatte beispielsweise der Chef einer rumänischen Firma versprochen. Arbeiter wie Daniel Kincza vertrauten ihm. Was sie allerdings in Deutschland erlebten, fasst Kincza in einem Satz zusammen: „Es war wie im Lager.“
Es gab auch Pausen: Pro Tag zweimal 15 Minuten
Der Arbeitstag begann morgens um 3.00 Uhr mit dem Transport in oft überfüllten VW-Bussen zur Schlachterei. Statt acht Stunden mussten die Arbeiter in der Regel 10 bis 12, manchmal auch länger als 14 Stunden arbeiten. Es gab auch Pausen – „pro Tag zweimal 15 Minuten“.
Lange Zeit schauten die Behörden zu. Sie wussten Bescheid, schließlich sind in jedem Schlachthof während der Produktion staatlich bestellte Tierärzte anwesend. Doch nichts geschah. Im Gegenteil: Die damalige Bundesanstalt für Arbeit, die die Werkarbeitsverträge genehmigte, kassierte tausende Mark an Gebühren und war mit den Einnahmen durchaus glücklich. Wie es den Arbeitern in den Fleischfabriken erging, scherte sie wenig.
Angesprochen auf die in einigen Schlachthöfen gezahlten Hungerlöhne äußerte sich der Sprecher der früheren Bundesanstalt für Arbeit, Dr. Roland Schütz, im Juni letzten Jahres gegenüber der taz folgendermaßen: „Bei einer untertariflichen Entlohnung der Arbeitnehmer liegt keine Ordnungswidrigkeit oder Straftat vor. Die Werkvertragsvereinbarungen sehen aber für Werkverträge die Zahlung bestimmter am Tarif orientierter Löhne vor, zu denen sich die ausländischen Unternehmen per Unterschrift verpflichten. Ein Verstoß dagegen führt dann zu Sanktionen. Diese greifen aber erst für Verträge, die nach einem Ausschluss eingereicht werden. Bereits genehmigte Verträge dürfen erfüllt werden. Dies ist auch zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der deutschen Hauptunternehmer so geregelt“.
Weil einer dieser Menschenhändler es zu wild trieb und im Winter 2003 seine rumänischen Arbeiter in ihrer Unterkunft in Badbergen nachts zusammenschlagen ließ, kamen bereits laufende Ermittlungen richtig in Fahrt. Das Ergebnis: ein Arbeitskräftevermittler und die beiden Geschäftsführer des Schlachthofes D+S in Essen (Oldenburg) wurden im Spätsommer letzten Jahres in Oldenburg zu drei Jahren Haft bzw. zwei Jahren mit Bewährung verurteilt.
Das war nur der Anfang, derzeit laufen Ermittlungen gegen mehrere große Schlachthöfe und Werkvertragsfirmen. Nach dem Oldenburger Prozess verständigte sich die Bundesregierung mit ihren rumänischen Partnern darauf, für die Fleischindustrie keine weiteren Werkarbeitsverträge mehr zuzulassen.
Für Ersatz ist gesorgt. So brauchen die deutschen Schlachthöfe auch in Zukunft keine anständigen Löhne zu zahlen. Denn zunehmend wird auch die restliche Stammbelegschaft durch Billiglohnkolonnen aus Polen und der Tschechischen Republik ersetzt. Statt acht oder zehn Euro erhalten diese Arbeiter oft nur zwischen drei und sechs Euro pro Stunde. Ihre Unterkunft erinnert eher an Arbeitslager.
Dänen lieben das Billiglohnland BRD
Matthias Brümmer, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Oldenburg, spricht von 6.000 Arbeitsplätzen in der Fleischindustrie, die in den letzten drei, vier Jahren zwischen Oldenburg und Bielefeld verloren gegangen seien. Doch nicht etwa, weil es keine Arbeit mehr gäbe, sondern weil die Unternehmen ihre einheimischen Arbeiter entlassen und durch Billiglohn-Kolonnen aus Osteuropa ersetzten.
Auf einer Veranstaltung der niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten in Löningen machten Mitte Februar Betriebsräte und arbeitslose Fleischer ihrem Ärger Luft. Die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Groneberg berichtet, dass sich die dänische Nahrungsmittelgewerkschaft öffentlich darüber beklage, dass die – in Europa neben den niederländischen Konzernen führenden – dänischen Fleischkonzerne große Teile ihrer Produktion ins benachbarte “Billiglohnland“ Deutschland verlagern.