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Archiv-Artikel

Der Geist der Moorsoldaten

In der filmischen Zeitreise „Hoffnung – ein deutscher Winterstern. Die Langhoffs“ erzählt Ulrich H. Kasten von einem Regisseur, seinem unbedingten Glauben an das Theater und seinen politischen Kämpfen. Doch zu wenig wagt der Filmregisseur, hinter das Bild eines antifaschistischen Helden zu blicken

VON ESTHER SLEVOGT

Das Kameraauge jagt durch ödes Moorgebiet, streift aufgeschichtete Torfplatten, hetzt weiter. Der Blick tastet steinerne Wände eines alten Gefängnisses ab, durchstreift leere Zellen. Bleibt auf kalten Betonfußböden stehen, bis man darauf fast das Blut einst misshandelter Gefangener zu erkennen glaubt. Später summen unter einem leinwandfüllenden Kronleuchter hunderte von Stimmen im Zuschauerraum des legendären Schauspielhauses in Zürich: In diese Stadt war der Schauspieler Wolfgang Langhoff nach dreizehn Monaten Haft in Gefängnissen und Konzentrationslagern aus Nazi-Deutschland geflohen.

Der Berliner Autor und Regisseur Ullrich H. Kasten verschmilzt in seinem Filmporträt des Schauspieler und Regisseurs Wolfgang Langhoff dokumentarisches Material mit Interviews mit Söhnen und Enkeln zu einer streckenweise sehr suggestiven Reise durch über siebzig Jahre deutsche Geschichte. Kasten, wie Langhoffs ältester Sohn Thomas Jahrgang 1938, hat in den vergangenen Jahren mit mehreren Filmessays zu unterschiedlichsten Künstlerbiografien auf sich aufmerksam gemacht, in denen sich die Brüche des 20. Jahrhunderts spiegeln; darunter Peter Weiss, Otto Klemperer und der expressionistische Dichter, Zuhälter und erste DDR-Kulturminister Johannes R. Becher. Kastens filmische Zeitreise „Hoffnung – ein deutscher Winterstern. Die Langhoffs“, die heute Abend in Berlin Premiere hat, wurde für den Grimme-Preis 2005 nominiert.

Obwohl sein Name nie ausdrücklich genannt worden ist, schwebte der Geist von Wolfgang Langhoff noch über den Berliner Theaterdebatten der letzten Monate: Er war der bedeutendste Intendant des Deutschen Theaters nach dem Krieg, von 1946 bis 1963. Sein unbedingter Glaube an das Theater als Mittel zur ästhetischen und politischen Erziehung des Menschen weckt in unserer Zeit mit ihrem beschränkten Utopiehorizont noch immer Sehnsüchte nach einem Theater, das sich an den Verhältnissen abarbeitet. Langhoff vertrat ein radikal an die eigene Existenz geknüpftes Verständnis von Theater, dessen tragischer Held er am Ende dann im richtigen Leben geworden ist – als er in die Mühlen der Partei geriet, der er ein Leben lang treu ergeben war und für deren Überzeugungen er im KZ gesessen hatte.

1933 war er verhaftet worden, weil er neben seiner Tätigkeit als jugendlicher Held des Düsseldorfer Schauspielhauses mit seiner Agitprop-Truppe „Nordwest Ran“ Arbeiter im Ruhrgebiet agitierte. Über seine 13 Monate Gefängnis- und KZ-Haft schrieb er in seinem Buch „Die Moorsoldaten“, das 1935 im Zürcher Exil erschien. Das Lied von den Moorsoldaten, dessen Refrain Langhoff verfasste, wurde zur antifaschistischen Hymne schlechthin. Bevor er 1945 nach Deutschland zurückkehrte, gehörte er als herausragendes Mitglied zum legendären Ensemble des Zürcher Schauspielhauses. Seine im Exil geborenen Söhne Thomas und Matthias sind später ebenfalls bedeutende Theaterregisseure geworden.

Im Zentrum von Kastens Film steht die antifaschistische Ikone Langhoff. Er beschwört die Geister der Zeiten: aus Folterzellen der Gefängnisse, den unmenschlichen Bedingungen des KZ Börgermoor, der Atmosphäre der Zürcher Jahre zwischen Hoffnung und Heimweh, Angst und Familienglück. Eindrucksvoll fängt Kasten auch die Aufbruchsstimmung der frühen DDR-Jahre zwischen Pathos und Propaganda ein.

Am Rande gelingt ihm ein behutsames und überzeugendes Porträt von Thomas Langhoff, der Auskunft über sein Leben als Sohn gibt: Dem Sohn werden die neuen ideologischen Zwänge seines Vaters und dessen alter „Kampfgefährten“ von Paul Dessau bis Hanns Eisler langsam bewusst und unheimlich. Geschickt setzt Kasten immer wieder Filmdokumente von Theateraufführungen wie persönliche Statements ein. Ob nun in den Siebzigerjahren Anton Tschechows drei Schwestern in einer Inszenierung von Thomas Langhoff für das DDR-Fernsehen von 1978 immer wieder exaltiert schreien: „Wir wollen leben!“, und damit auf die Enge in der späten DDR anspielen oder Kasten den im Würgegriff von Walter Ulbrichts Kulturpolitik langsam erstickenden Wolfgang Langhoff als Geheimrat Clausen in Hauptmanns Drama „Vor Sonnenuntergang“ am Leben verzweifeln lässt – an solchen Stellen hat der Film seine berührendsten Momente.

Gleichzeitig liegen in dieser metaphorischen Erzählweise auch entscheidende Schwächen des Films. Dinge werden angedeutet statt beim Namen genannt. Dabei wäre gerade aus dem historischen Abstand eine Herausarbeitung von Wolfgang Langhoffs selbstzerstörerischer Beziehung zur SED wichtig gewesen. Diese Beziehung, in der Langhoff nicht immer die beste Figur gemacht hat, klingt in Kastens Film nur behutsam an. Kasten wagt keinen Blick auf Langhoff, der dessen strahlendes Heldenbild beschädigen könnte. Man fragt sich manchmal, ob ihn falsch verstandener Respekt daran hindert, den Langhoff hinter der antifaschistischen Langhoff-Legende einmal genauer zu betrachten. In der Gegenwart kommt der Film nicht an. Das ist seine Stärke und Schwäche zugleich.

Heute Premiere im Blow Up, 19 Uhr. Filme mit Wolfgang, Matthias und Thomas Langhoff in den nächsten Wochen