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Archiv-Artikel

Basis, Macht, Demokratie

Direkte Demokratie auf Bezirksebene: SPD, PDS, Grüne und FDP einigen sich auf überraschend weit reichenden Gesetzentwurf. Künftig sollen Bürger gar bei Haushaltsfragen abstimmen dürfen

VON UWE RADA UND ULRICH SCHULTE

Zum Ende der Legislaturperiode will Berlin endlich die Rote Laterne in Sachen direkter Demokratie abgeben. In einem gemeinsamen Gesetzesantrag der rot-roten Koalitionsfraktionen, der Grünen und der FDP soll der Weg für Bürgerentscheide in den Bezirken freigegeben werden. Der Antrag, der am Freitag von den Fraktionen vorgestellt werden wird und der taz vorliegt, soll bereits im März im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Obwohl die CDU dagegen ist, kommt mit den Stimmen der SPD, PDS, Grünen und FDP die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit zusammen. „Mehr Demokratie“ haben sich SPD und PDS bereits im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben. Doch den Worten waren bislang keine Taten gefolgt. Noch vor einem Jahr hatte der SPD-Abgeordnete Hans-Georg-Lorenz einräumen müssen: „Wir hatten so viele andere Probleme, dass das ein wenig in den Hintergrund geraten ist.“ Doch nun sollen die Rechte der Bürger sogar noch weiter gehen als anfangs gedacht. Wie der Verein „Mehr Demokratie“ gestern mitteilte, sollen die Bürger in den Bezirken auch über haushaltsrechtliche Fragen oder Bebauungspläne abstimmen können. „Es werden keine Themen ausgeschlossen“, sagte Sprecher Christian Posselt.

Doch dieser erste Schritt in Richtung Bürgerhaushalt, wie er zum Beispiel im brasilianischen Porto Alegre praktiziert wird, wurde mit einer Erhöhung des notwendigen Quorums erkauft. „Ursprünglich wollten wir die Hürde für einen Bürgerentscheid auf zehn Prozent der Wahlberechtigten ansetzen“, sagte der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann. Im gemeinsamen Antrag der vier „Bürgerparteien“ ist nun aber von 15 Prozent die Rede. „Gerade bei Themen, die nur einzelne Quartiere betreffen, wird es sehr schwer sein, diese Hürde zu nehmen“, so Ratzmann. Am Ende überwog aber auch bei den Grünen der Wille zum Kompromiss. Und es herrscht Optimismus, nach der Verfassungsänderung für die Bezirke nun auch die Voraussetzungen für mehr Demokratie auf Landesebene zu schaffen. „Es gibt Möglichkeiten, auch das noch in dieser Legislaturperiode zu schaffen“, sagt Ratzmann.

Wie Christian Posselt von „Mehr Demokratie“ mitteilte, soll der Entscheid wie eine kleine Wahl funktionieren: Zunächst müssen sich drei Prozent der Wahlberechtigten im Bezirk für die Abstimmung über ein Thema aussprechen. Dann wandert es in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Schließt sich die BVV dem Votum der Bürger an, wird der Entscheid überflüssig. Tut sie das nicht, wird er zur Abstimmung freigegeben, die BVV darf einen Gegenvorschlag vorlegen. Bei dieser zweiten Verfahrensstufe müssen sich 15 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Eine einfache Mehrheit entscheidet über den Erfolg.

Neben Wahlkabinen könnte sich Posselt auch eine Internetabstimmung vorstellen: „Das würde das Verfahren klar vereinfachen.“ Zunächst ist er aber froh, dass Berlin endlich in die Gänge kommt: „Dass wir den kritischen Punkt der Finanzen drin haben, ist entscheidend.“

Dennoch bleibt Berlin hinter Ländern wie Bayern oder Hamburg zurück. Dort können die Bürger ihren Stadträten längst die Entscheidung abnehmen.