: Keine Garantie auf ein Happy End
Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ ist für sieben Oscars nominiert – zum Verdruss der christlichen Rechten
Eigentlich wollten sich die Herren von der amerikanischen Filmakademie Ärger vom Hals halten: Michael Moores bissige Präsidenten-Karikatur „Fahrenheit 9/11“ wurde von den Oscar-Nominierungen gleich ganz ausgespart. Der Ausgewogenheit halber bedachte man allerdings auch den fundamentalistischen Splatterstreifen „Die Passion“ von Mel Gibson nur mit Nominierungen in untergeordneten Kategorien wie Kamera, Maske und Musik.
So leicht ist es in Zeiten eines moralisch und politisch gespaltenen Amerika jedoch offenbar nicht, sich aus allem herauszuhalten. Die notorischen Sittenhüter der christlichen Rechten verschonen Hollywood trotz allen Eiertanzes nicht mit ihrem Zorn. Stein des Anstoßes ist vor allem Clint Eastwoods neuer Film „Million Dollar Baby“ – für sieben Oscars inklusive Hauptdarsteller, Drehbuch und beste Nebenrolle vorgeschlagen. Ein alternder Boxtrainer, gespielt vom Regisseur selbst, erlöst seine Boxerin (Hilary Swank) auf deren Wunsch hin von ihrem Elend, indem er ihr Leben verkürzt: Swank ist nach einem schweren Knockout vom Hals abwärts gelähmt und mag so nicht weiter sein.
Nicht, dass Eastwoods Figur sich die Entscheidung leicht macht: Der in die Jahre gekommene Dirty Harry ist ein von einem schweren moralischen Dilemma tief zerrissener Mann. Doch das schützt ihn nicht davor, von reaktionären Kulturwächtern „liberaler Propaganda“ bezichtigt zu werden. Das L-Wort ist im Bush-Amerika schon ein schlimmes Schimpfwort, aber damit ist das verbale Hass-Arsenal der „Lebensbefürworter“ noch lange nicht verbraucht. „Das ist ein Film über einen gescheiterten Katholiken, der ein solcher moralischer Schwächling ist, dass er einfach verschwindet, nachdem er einen Mord begangen hat“, schreibt Joan Swirsky von der christlichen Newsmax.com. „‚Million Dollar Baby‘ verführt die Zuschauer dazu zu glauben, Euthanasie sei ein heroischer Akt der Liebe.“
Angeklagt werden indes nicht alleine der Film und seine Botschaft, die angeblich die Unantastbarkeit des Gottesgeschenks Leben in jeder Form in Frage stellen; am Pranger steht die gesamte Industrie, die diesen Film hervorgebracht hat und ihn nun mit Preisen überhäuft. Der konservative Radiomoderator Michael Medved bemerkt in USA Today, dass neben Eastwoods „Million Dollar Baby“ auch „Vera Drake“, Mike Leighs Film über heimliche Abtreibungen im London der frühen 50er-Jahre, sowie Walter Salles’ „Die Reise des jungen Che“ über den jungen Ernesto Guevara für Oscars nominiert seien: „Die Nominierungen enthüllen ein beinahe pathologisches Unbehagen Hollywoods an der traditionellen Religiosität seiner Zuschauer. Für Hollywood, so scheint es, sind Mörder, Abtreiber und ein marxistischer antiamerikanischer Guerillero weniger kontrovers als Jesus Christus.“ Medved hätte in allen Kategorien Mel Gibson nominiert und glaubt, die Mehrheit Amerikas hätte dies auch getan.
Medveds liberaler Gegenspieler, Frank Rich von der New York Times, bezweifelt unterdessen, dass es eine moralische Mehrheit gegen Sterbehilfe in den USA gibt. Allerdings glaubt Rich auch, dass es nicht das Thema Euthanasie ist, die die Konservativen gegen „Million Dollar Baby“ aufbringt: „Der Film fordert unseren gegenwärtigen triumphalistischen Tagtraum heraus“, benennt Rich die wahre Provokation. „Er besitzt die Stirn zu zeigen, dass Kämpfe Folgen haben können und dass auch die mit reinem Herzen keine Garantie auf ein Hollywood-Ende haben.“ Zu Vietnam-Zeiten stand Clint Eastwood als Dirty Harry für die Lösbarkeit aller Probleme mit einer 45er Magnum und wurde dafür von linken Kritikern als „Faschist“ beschimpft. 30 Jahre später muss er Kinn- und Leberhaken von den Bush-Apologeten dafür einstecken, dass er daran erinnert, was es bedeutet, wenn man mit harten Bandagen aufeinander losgeht. So ändern sich die Zeiten. SEBASTIAN MOLL