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Archiv-Artikel

Von Gleichschritt keine Spur

IMAGEKORREKTUR Die Bundeskanzlerin kann bei ihrer Visite in Washington nicht auf eitel Sonnenschein hoffen. Ihr Verhältnis zum US-Präsidenten gilt in den USA als unterkühlt

„Beide Politiker haben einen gleichgelagerten, nüchtern-rationalen Arbeitsstil“

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Ein Graben habe sich still, aber spürbar aufgetan zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, sind sich US-Medien sicher, allen voran die New York Times. Offiziell trage man Harmonie zur Schau, doch hinter verschlossenen Türen gäbe es Grummeln. Grund für die bad vibrations zwischen US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel sei die Themenpalette, die von der Finanzkrise über Afghanistan bis zu Guantánamo reiche.

Die US-Amerikaner sehen es so: Obama mag zwar der in Deutschland beliebteste Politiker sein, doch politisches Kapital konnte er daraus bislang nicht schlagen. Die Washington Post findet sogar, dass der neue US-Präsident seit seinem Einzug ins Weiße Haus von der deutschen Kanzlerin und ihren Parlamentariern nur eine „Reihe von Rüffeln und Vorhaltungen“ kassiert habe. In Berlin wolle die große Koalition Obama weder mit mehr Truppen für Afghanistan aushelfen, noch die als unbedenklich deklarierten Guantánamo-Insassen aufnehmen.

Das alles stehe in einem „gewissen Kontrast zu der jubelnden Begrüßung“, die Obama als Kandidat im Sommer 2008 in Berlin erhalten habe. Einzelne Washingtoner Analysten wollen beobachtet haben, dass Merkel, die zu Obamas Vorgänger George W. Bush einen bemerkenswert guten Draht gefunden hatte, mit Obama nicht so schnell warm geworden sei.

Bevor Kanzlerin Merkel am Freitag zu ihrem Antrittsbesuch bei Obama eintrifft, sind deutsche Politiker daher zunächst mit Immagekorrektur beschäftigt. Allen voran beeilte sich der ebenfalls nach Washington gereiste CDU-Vize Roland Koch um gute Stimmung. „Medienberichte über ein schwieriges Verhältnis stimmen nicht“, befand Koch in einem TV-Interview. Ganz im Gegenteil, sehe er bei beiden Politikern „einen gleichgelagerten, nüchtern-rationalen Arbeitsstil“, analysierte der Hesse. Außerdem hätten sich seit Amtsantritt Obamas beide häufiger gesehen als andere Politiker.

Ein Sturm im Wasserglas also? Nicht ganz. Anfang Juni hatte Merkels explizite Kritik an der US-Zentralbank Fed am Potomac für hochgezogene Augenbrauen gesorgt. Merkel hatte in einer Rede am 2. Juni in Berlin die Fed für ihre lockere Geldpolitik gerügt. „Ich sehe das mit ziemlicher Skepsis“, hatte die Kanzlerin gesagt und mit einer stillschweigenden Tradition gebrochen, die formal unabhängigen Zentralbanken nicht zu kritisieren.

Besonders übel stieß in der US-Hauptstadt die Wahrnehmung auf, dass man in Deutschland ohne zu zögern den „Amis die alleinige Schuld an dem Debakel der Finanzkrise“ gegeben hatte – so lange, bis unübersehbar wurde, wie sehr deutsche Banken sich in der US-Immobilienblase verspekuliert hatten. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds sollen deutsche Banken heute mehr Giftpapiere in ihren Büchern haben als US-Banken. Ein Fakt, der in Washington gern erwähnt wird.

Erstaunlich leise Kritik provozierte hingegen Deutschlands Weigerung, einige der als unschuldig erklärten und auf ihren Transfer wartenden Uighuren aufzunehmen, die knapp sieben Jahre im Militärgefängnis Guantánamo eingesessen hatten.

Ganz aufgegeben hat die Washingtoner Führung offensichtlich Versuche, aus Deutschland mehr Truppen für Afghanistan herauskitzeln zu wollen. Freundliche Europaexperten sagen, man verstehe die besondere Rolle Deutschlands und seine historisch bedingte Haltung zu militärischen Einsätzen. Die anderen, wie Obamas Staatssekretär für Europa, Phil Gordon, halten Europa und mit ihm Deutschland als stärkste Macht, für eine zähe Angelegenheit, mit der man besser nicht allzu viel Zeit verlieren sollte. Kooperationspartner sei man ja in den meisten Fragen schon qua Weltanschauung. Hoffnungslos sei es zudem, mit Deutschland über eine aktive Rolle beim dräuenden Pakistanproblem reden zu wollen.

Unter Washingtons Europamüden gibt es, nicht erst seit gestern, ein Bonmot: Deutschlands Außenpolitik sei wie ein „schwarzes Loch“. Da falle viel hinein, und nichts komme raus.