: Streit um neue Stütze
Senat räumt Falscheinstufung von hunderten Sozialhilfebeziehern ein. Arge muss jetzt 37.000 Gespräche führen, um Arbeitsfähigkeit zu prüfen
Von Eva Weikert
Der CDU-Senat wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe kranke Sozialhilfeempfänger absichtlich als arbeitsfähig einstufen lassen, um Kosten auf den Bund abzuwälzen. „Dass das systematisch passiert ist, weisen wir vehement zurück“, sagte gestern Wirtschaftsbehördensprecher Christian Saadhoff. Richtig sei aber, dass aufgrund alter Gutachten oder falscher Eingaben „eine Reihe von Leuten“ falsch eingestuft wurde. Saadhoff: „Ein paar hundert wird es auf jeden Fall getroffen haben.“
Das neue Arbeitsmarktgesetz Hartz-IV fasst Langzeitarbeitslose und als erwerbsfähig geltende Sozialhilfeempfänger zu Beziehern von Arbeitslosengeld II (Alg II) zusammen. Wie mehrere Krankenkassen warnen, wurden hunderte Demente, Bettlägerige oder Krebskranke, die früher Sozialhilfe bezogen, von den Bezirken als arbeitsfähig und somit als Alg II-Empfänger deklariert (taz berichtete). Die Techniker Krankenkasse argwöhnte, dahinter „könnte ein System stecken“. Denn Alg II bezahlt der Bund.
„Heute ist noch völlig unklar, wer durch Hartz IV wie viel zahlt“, konterte Behördensprecher Saadhoff. So kämen auf die Stadt „ganz neue Kosten für einen riesigen Personenkreis zu“, weil der Bund die Unterkunftskosten der Alg II-Empfänger den Kommunen übertragen hat.
Die SPD-Opposition glaubt den Unschuldsversprechen indes nicht: „Es gibt klare Hinweise, dass die Wirtschaftbehörde falsche Erwerbsfähigkeitseinstufungen billigend in Kauf genommen hat“, so der Abgeordnete Hans-Christoff Dees. Er verwies darauf, dass der hohe Anteil der als arbeitsfähig eingestuften Stützebezieher bereits im November Thema im zuständigen Parlamentsausschuss war. „Die Senatsvertreter sahen ausdrücklich keine Gefahr“, so Dees. Er wisse von einer Anweisung, langjährig erteilte amtsärztliche Arbeitsunfähigkeitsatteste von der für die Umsetzung von Hartz IV zuständigen Arbeitsgemeinschaft (Arge) nicht anerkennen zu lassen. „Das stimmt so nicht“, reagierte Behördensprecher Saadhoff. Die Arge erkenne „alle vorhandenen Atteste“ an.
Die Arbeitsagentur meldete im Januar 113.000 erwerbsfähige Hilfebedürftige. Damals hatte schon Direktor Rolf Steil eingeräumt: „Wir zahlen das ALG II im Moment auch an Leute, die nicht marktfähig sind, weil wir erstmal nach Aktenlage entschieden haben.“ Um Fehler zu korrigieren, muss die Arge nun 37.000 Stützebezieher überprüfen. Laut Sprecher Uwe Ihnen seien dies „unklare“ Fälle, die von den Bezirken aus Zeitnot bis Jahreswechsel nicht abgeschlossen und zunächt in den Alg II-Topf geworfen wurden. „Fast alle müssen wir zum Gespräch einladen, um zu prüfen, ob sie wirklich arbeiten können“, so Ihnen.
Unterdessen hakt es auch bei der Vergabe der Ein-Euro-Jobs an Arbeitslose. Laut Arge sind erst 6.000 von den geplanten 11.000 Zwangsjobs besetzt. Wie die GAL monierte, entstehen der Stadt dadurch unnötige Kosten. Denn einige Beschäftigungsträger erhalten für die unbesetzten Plätze Ausgleichszahlungen. „Das ist Geldverschwendung“, rügte Galierin Gudrun Köncke und forderte „zügige Besetzung“. Die Arge habe ein „reines Massenproblem“, beschwichtigte Sprecher Ihnen: „Wir sind gerade verstärkt dabei, die Leute für die Arbeitsgelegenheiten auszusuchen.“