Wo geht’s zur Demokratie?

Bürgerentscheid, Volksbegehren, Bürgerhaushalt. Zu „Mehr Demokratie“ gibt es verschiedene Wege. Doch alle haben mit dem Problem zu kämpfen, dass es zu wenig zu entscheiden gibt

VON UWE RADA

Wenn alle Berliner Parteien mit Ausnahme der CDU heute einen Gesetzentwurf für Bürgerentscheide in den Bezirken vorlegen, ist das nicht nur ein spät eingelöstes Versprechen. Es kann auch der Auftakt einer Diskussion über tatsächlich „Mehr Demokratie“ sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Diskussion nicht bei Bürgerentscheiden stehen bleibt. Mehr Demokratie ist auch ein mehr an Streit über die besten Möglichkeiten der Mitbestimmung.

Was die kommunale Demokratie betrifft, hat der Stadtphilosoph Dieter Hoffmann-Axthelm unlängst ein Buch über die „Möglichkeiten und Grenzen direkter Demokratie“ vorgelegt. Darin verortet er den eigentlich demokratischen Sündenfall in der preußischen Städteordnung von 1808. Das mit der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung gegebene Demokratieversprechen sei von der preußischen Zentralgewalt nicht eingelöst, sondern sogleich wieder revidiert worden. Anstatt den Kommunen nämlich weitgehende – auch finanzielle – Autonomie zu verleihen, entschied sich der Staat, die Finanzhoheit zu behalten und Mittel nur zweckgebunden zu vergeben. Wir haben es demnach mit 200 Jahren Kultur einer Verwaltung zu tun, der alles, was von unten kommt, eher Störfaktor denn demokratisches Potenzial ist. Das betrifft das Verhältnis von Landesregierung zu Bezirken ebenso wie das von Bezirken und Bürgern.

So richtig Hoffmann-Axthelms Analyse ist, so vage sind doch seine Vorschläge, mehr Kompetenzen, etwa für Schule und Bildung, nach unten zu geben. Wer die Gemeinden und Stadtbezirke zu Orten der Entscheidung machen will, muss ihnen auch mehr finanziellen Spielraum einräumen. Der Zug fährt gerade allerdings in eine andere Richtung. Auch und gerade in Berlin werden die Bezirke Schritt für Schritt entmachtet.

Da nutzt es auch nicht viel, wenn im Rahmen der bezirklichen Globalhaushalte die Bezirke selbst entscheiden können, wofür sie ihr Geld ausgeben. Das klingt gut, ist es aber nicht. Der Großteil des Budgets ist durch die so genannten Pflichtaufgaben zweckgebunden. Der Spielraum für „freiwillige Ausgaben“, etwa für Sport, Kultur und bestimmte Investitionsvorhaben, ist denkbar gering. Ohne eine tatsächliche Umkehr in der Budgetierung droht deshalb jedes „Mehr an Demokratie“ zu einer Beteiligung der Bürger beim Abriss von Schulen und der Schließung von kommunalen Galerien zu werden.

Das ist auch das Problem, das sich bei den Bürgerentscheiden in den Bezirken zeigen könnte. Was, bitte, gibt es überhaupt noch zu entscheiden? Eintritt im Schloss Charlottenburg? Sache der Stiftung Schlösser und Gärten! Tempo 30 auf der Ausfallstraße? Sache der Verkehrsverwaltung! Bleiben unter anderem Fragen, wo der eine von zwei geplanten Spielplätzen gebaut werden soll – im Quartier A oder im Quartier B. Berauschend ist das nicht gerade, auch wenn das Quorum für das Initiieren eines Bürgerentscheids mit 3 Prozent der Wahlberechtigten nicht sehr hoch und auch mit 15 Prozent beim Entscheid selbst erträglich ist.

Mit der Frage, welcher Spielraum überhaupt noch zum Entscheiden bleibt, haben auch die Bezirke zu kämpfen, die sich das Stichwort „Bürgerhaushalt“ auf ihre Fahne geschrieben haben. In Lichtenberg, dem Bezirk, in dem dieser Prozess am weitesten vorangeschritten ist, sollen die Bürger zum Haushaltsjahr 2007 mitentscheiden dürfen, wofür das wenige Geld ausgegeben wird, das zu den „freiwilligen Aufgaben“ gehört. Zwischen Oktober 2005 und Februar 2006 soll auf zahlreichen Veranstaltungen mit den Bürgern über die entsprechenden Schwerpunktsetzungen diskutiert werden. Der Haushaltsentwurf selbst wird dann aber keinem Bürgerentscheid ausgesetzt, sondern wie gehabt vom Bezirksparlament beschlossen.

Solange nicht mehr Macht nach unten gegeben wird, macht ein Mehr an Mitbestimmung also vor allem dort Sinn, wo auch entschieden wird – auf Landesebene. Welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben können, zeigte zuletzt das Beispiel Hamburg (siehe unten). Aber auch ein rot-roter Senat tut sich schwer beim Einbeziehen der Bürger, wie es das abgelehnte Volksbegehren zum Bankenskandal gezeigt hat. Um je mehr es geht, desto härter die Bandagen.

Von Verhältnissen wie in Porto Alegre oder der Schweiz ist man hierzulande noch weit entfernt. Aber ein erster Schritt ist getan, der zweite sollte so schnell wie möglich gemacht werden.