: Libanon probt den friedlichen Aufstand
Nach dem Mord an dem ehemaligen Premierminister Rafik Hariri praktiziert die Opposition den zivilen Ungehorsam. Die über-parteiliche Bewegung stützt sich vor allem auf junge Leute. Ein erster Erfolg: Der Regierungschef stellt die Vertrauensfrage
AUS BEIRUT CHRISTINA FÖRCH
Der libanesische Ministerpräsident Omar Karame hat seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Am Montag will er im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Falls ihm die Abgeordneten das Misstrauen aussprechen, sagte der prosyrische Regierungschef, werde er sich ihrem Willen beugen. Die innenpolitische Krise im Libanon war durch die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar ausgelöst worden.
Die Opposition ruft für Montag zu einem Generalstreik auf. Das Parlament soll nämlich auch über die Umstände des Mordes diskutieren. Noch in dieser Woche wird ein Ermittlungsteam der UNO in dem Mittelmeerland erwartet, das sich ebenfalls mit dieser Frage befassen will.
Mit ihren friedlichen Protesten auf der Straße erhöht die Opposition den Druck auf die Regierung. „Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung“ und „Wir wollen deinen Kopf, Bachar“, lauteten die Parolen auf einer Großdemonstration Anfang der Woche. Die Forderungen richten sich auch an Syrien und dessen Präsidenten Baschar al-Assad.
Trotz Einschüchterungsversuchen seitens des libanesischen Innenministers folgten zehntausende dem Aufruf – vorwiegend junge Leute. Christen, Drusen und Muslime demonstrierten Schulter an Schulter. Parteien, die sich während des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 bekämpft hatten, bekannten sich gemeinsam zu einem Ziel – geeinte, freie Libanesen zu sein, nicht Falangisten, Sozialisten, Linke oder so genannte Futuristen, wie die Anhänger Hariris genannt werden.
Mit der Parole „Syrien raus“ forderten die Demonstranten lauthals, was dreißig Jahre lang undenkbar war – den Abzug der 14.000 syrischen Soldaten und die Schließung aller Büros des syrischen Geheimdienstes im Libanon. Und letztendlich verlangen die Demonstranten einen Rücktritt ihrer Regierung und des Präsidenten Emile Lahoud. „In jedem demokratischen Land wäre das längst passiert“, meinte eine Demonstrantin. Nicht so im Libanon – die Interimsregierung klammert sich an einen Strohhalm, so scheint es.
„Wenn die libanesische Regierung fällt, dann stürzt auch das Regime in Damaskus“, erklärt Noura Mouraad, eine 24-jährige Aktivistin. „Und das wollen die Syrer natürlich nicht.“ Syrien verbindet mit dem Libanon politische, strategische und vor allem auch wirtschaftliche Interessen. Das kleine Nachbarland ist sozusagen das Rückgrat des Baath-Regimes in Damaskus.
Obwohl der Druck auf Syrien seitens der libanesischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag gewachsen ist, glauben die wenigsten, dass die Syrer sang- und klanglos abziehen werden. Zu viel steht für Damaskus auf dem Spiel. „Wir sind nicht schlechter als die Ukraine“, rief ein Abgeordneter bei einer der zahlreichen Kundgebungen in die Menschenmenge. In der Tat wünschen sich die Oppositionellen, dass sie es mit friedlichen Mitteln schaffen, die libanesische Regierung zu stürzen und die Syrer zum Abzug zu bewegen. Dabei nehmen sie sich die orangene Revolution in der Ukraine zum Vorbild.
„Einfach wird es nicht werden“, meinte Mouraad. Zwar hat sich mit dem Tod Hariris viel geändert – die Menschen sprechen offen ihren Unmut über die syrischen Besatzer aus und, was vielleicht noch wichtiger ist – sie fühlen sich geeint. „Als linksdemokratische Opposition hat es unsere Gruppe nicht geschafft, die Libanesen zu einen“, räumte die Politikstudentin ein. „Das haben wir Hariri zu verdanken – obwohl wir nie seine Politik befürwortet haben.“
Doch noch hat die Einigung der Libanesen einen Schwachpunkt – wenig Schiiten machen bei den Protesten mit. Diese Religionsgruppe sympathisiert mit der Hisbollah. Und die von Syrien unterstützte Miliz macht gegen die Opposition mobil.
So setzen die Oppositionellen vorwiegend auf die Beiruter Sunniten. „Sie sind endlich aus ihrer Lethargie erwacht“, sagte Mouraad. Wenn sie es schaffen, viele junge Sunniten zu rekrutieren, so hofft die junge Frau, werden sie die einflussreichen Beiruter Familien auf ihrer Seite haben. „Jeder Tag, der vergeht, ohne dass die Regierung gewalttätig eingreift, ist ein Gewinn für die Opposition.“ Und dann wird sich wohl auch die libanesische Regierung nicht länger halten können, hofft Mouraad.