: „Kommt der Herr noch?“
Immer noch sorgen wir für Verwirrung. Wir gehören einer unbekannten Art an, die im Stundenplan der Berufsschule fürs Gastgewerbe nicht vorkommt und die man deswegen gerne mal an den hintersten Tisch neben den Toiletten verbannt: allein essende Frauen im Restaurant
VON GABRIELE HEINS
„Ich hoffe, verehrte Frau Heins, es ist kein trauriger Anlass, der Sie heute so ganz allein zu uns führt“, sagt der Mann zu mir gleich zur Begrüßung. Dabei ist er doch Kellner. Und sollte Lebensfreude und Genuss ausstrahlen. Meinetwegen auch den Stolz, in Deutschlands bestem Restaurant zu arbeiten. Stattdessen Mitleid und Grabesstimmung. Wirke ich denn so trostlos?
Eine Frau, die sogar bei Schneeregen über Landstraßen nach Baiersbronn gekurvt ist, um Harald Wohlfahrts tolle Küche in der „Schwarzwaldstube“ zu genießen. Und das auch noch allein. Ja, gerade allein! Denn mir geht’s auch ohne Begleitschutz gut. Einmal nicht ständig reden müssen. Sich voll auf die Gerichte konzentrieren und hemmungslos in der Weinkarte schmökern können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil mein Gegenüber schon sinnlose SMS verschickt, mit der Gabel Schlangenlinien auf die Tischdecke malt oder sich missmutig am Weißbrot satt isst.
Ich kann in Ruhe den Service beobachten, Gedanken nachhängen, Blicke auf die Nachbarteller und Nachbarminen riskieren, ausgiebig das Menü und die À-la-carte-Gerichte studieren – eben all das tun, was Spaß macht und für mich als Restauranttesterin der Zeitschrift Der Feinschmecker dazugehört, um ein Lokal zu beurteilen.
Es könnte also ein angenehmer Abend werden. Wenn es nicht den Service gäbe, für den der Spaß genau dann aufhört, wenn eine Frau allein im Lokal erscheint. Immer noch sorgen wir für Verwirrung, sind eine Begegnung mit einer unbekannten Art, die im Stundenplan der Berufsschule nicht vorkommt. Ein Alien, das bestaunt und begutachtet wird wie ein Wal am Nordseestrand.
Bereits bei der Reservierung können erste Missverständnisse lauern. Rufe ich in einem Restaurant oder Hotel an, werde ich schon mal für die Sekretärin gehalten, die für ihren – natürlich männlichen – Chef reserviert. „Und dann brauche ich noch den Namen des Herrn“, sagt die Dame am anderen Ende der Leitung. „Welches Herrn?“, frage ich verdutzt. „Na, für den Sie den Tisch reservieren wollen.“, kommt die Antwort. „Es gibt keinen Herrn. Der Tisch ist für mich.“ – „Ach so …“
Im Restaurant wird mir dann mal subtil, mal direkt klar gemacht, welch exotisches Wesen ich doch sei. „Kommt der Herr noch?“, fragen Kellner oft, sobald ich es mir am Tisch gemütlich gemacht habe. Manchmal heißt es: „Sie sind also ganz allein!?“ Mag sein, dass damit ehrliches Mitgefühl gemeint ist, es wirkt aber extrem appetitzügelnd. Ein Tonfall zwischen Hochachtung und Häme, zwischen „Hey, die traut sich was“ und „Wohl keinen abgekriegt“.
Wir Frauen sind eine Randgruppe und sollen es auch bleiben – so viel steht fest. Warum sonst werden wir vom Restaurantpersonal vorzugsweise an den kleinsten Tisch gesetzt, gern auch in die Nähe der Treppe oder der Toilettentür (ein Klassiker bei Londoner Kellnern!). Oder hinten links, genau in die Ecke des Restaurants, die außerhalb der Umlaufbahn der Kellner liegt. Auf keinen Fall aber ans Fenster oder auf der Terrasse in der ersten Reihe. Könnten ja noch Paare kommen, die sich einen schönen Abend machen wollen. Und die will man doch nicht verprellen.
Beliebt ist auch der Tisch im Zentrum des Restaurants, denn so mitten in der Manege bieten wir Gesprächsstoff für all die Ehepaare, die schon alles voneinander wissen. Ein Menü mit zwei Amuse-gueules, Zwischengängen und Vordessert kann schließlich dauern. Und so verrenken sich andere Gäste die Hälse, drehen die Köpfe und tuscheln.
Der Service ist da manchmal schon offensiver, kann kaum an sich halten. „Ist es nicht langweilig, so ganz allein zu essen?“ Einige Kellner stehen einfach lässig am Türrahmen und taxieren uns in aller Ruhe. Manchmal wird man auch schlicht ignoriert, wartet so lange auf die Speisekarte und schließlich die Rechnung, dass man noch Tage später von der Maserung des Holztischs träumt.
Andere wiederum flüchten sich in hölzerne Unbeholfenheit und sprechen mit uns, als handele es sich um einen Dialog aus dem „Geheimnis der alten Mamsell“ von Hedwig Courths-Mahler: „Haben die Dame schon gewählt?“ – „Hat es der Dame gemundet?“ Dann doch lieber der kumpelhafte Ton, mit dem sich besonders in Ostdeutschland die Kellnerinnen zuweilen mit uns verschwistern. „Also, mir schmeckt das auch nicht, was der Küchenchef sich da so ausgedacht hat“, sagte mir einmal die Angestellte eines Magdeburger Restaurants, während sie meinen noch gut gefüllten Teller abräumte. Umsorgt wie bei Muttern fühlte ich mich einst in einem Restaurant auf Rügen: „So, Mädchen, pack die Schularbeiten weg, jetzt wird was Ordentliches gegessen.“
Nur dass Frauen wirklich Spaß am Essen haben – und somit für Umsatz sorgen – könnten, gerät in vielen Restaurants völlig in Vergessenheit. Kein Wunder, drehen sich weibliche kulinarischen Träume doch angeblich nur noch um Low-Carb-Diäten, Dinner-Cancelling, Fettabsaugen und den Kampf gegen das Moppel-Ich. Das prägt, auch den Service im Restaurant.
So drückte man mir in Saarbrücken wortlos die Karte „Für den kleinen Hunger“ in die Hand. In Salzburg studierte ich gerade mit Heißhunger das Menü, als mir die Kellnerin verschwörerisch ins Ohr flüsterte: „Wissen Sie was, ich kann Ihnen auch schnell einen Salat machen lassen.“ Unausgesprochen, aber natürlich mitgedacht, dabei der Zusatz: „Und dann sind Sie auch genauso schnell wieder weg.“
Köche und Kellner glauben offenbar, Frauen leben allein von Rucola-Salat mit Putenbruststreifen und Mineralwasser ohne Kohlensäure. Von wegen. „Ich nehme die Variation von Traunseefischen, das Lammkarree, und dann würde ich noch gern die Salzburger Nockerln probieren. Und bringen Sie mir bitte auch die Weinkarte“, konterte ich. Nur mit gezielter Ausschweifung verschaffen wir Feinschmeckerinnen uns offenbar Respekt.
Aber es geht auch anders. In vielen guten Restaurants sind die Kellner zu uns Single-Essern charmant und freundlich, viele haben richtig Freude an einem Plausch beim Auf- und Abdecken, geleiten uns höflich durch das Menü – und dann in ihrem ritterlichen Übereifer manchmal leider sogar fast bis ans allerstillste Örtchen. Sehr entspannt geht es vor allem in Hotelrestaurants zu. Ein guter Service weiß eben: Frauen reisen, essen, trinken, genießen. Auch allein. Dienstlich sowieso und immer mehr auch ganz privat.
Aber noch sehe ich allein essende Frauen äußerst selten in Restaurants. Wie viele Geschäftsfrauen und Pharmareferentinnen beißen wohl gerade in ein trockenes Club-Sandwich vor dem Fernseher ihres Hotelzimmer oder plündern die Minibar – während ich noch überlege, wie unvernünftig es tatsächlich wäre, den Käsewagen heranzuwinken?
Viele Gastronomen klagen über Umsatzeinbrüche – Frauen könnten ein ganz neuer Markt sein. Wer selbst viel kocht, weiß gute Küchen zu schätzen und experimentiert auch kulinarisch gern. Doch damit es so weit kommt, müsste es in allen Restaurants so sein, wie es John von Düffel in seinem neuen Roman „Houwelandt“ beschreibt: „Niemand in dem Restaurant schien sich daran zu stören, dass hier eine Frau allein an einem Tisch saß. Es war weder ein Makel, noch bedurfte es sonst einer Erklärung … Beate gehörte ganz selbstverständlich dazu.“
GABRIELE HEINS, Jahrgang 1966, lebt in Hamburg und ist seit 1999 Redakteurin für die Zeitschrift „Der Feinschmecker“