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Archiv-Artikel

Enduring Freedom. Mein geheimes Militärtagebuch

An manchen Tagen wurde ich, Darstellerin der Paschtunin Fatima Kabil, viermal erschossen. Von echten GIs oder von italienischen Soldaten. In Hohenfels, dem bayerischen Afghanistan

VON LIAMA MENINA

Tag 1

Heute war Ankunft in Hohenfels, Europas zweitgrößter Nato-Basis. Seit 1951 trainieren US-Soldaten hier für Kriegseinsätze. Rund 160 Quadratkilometer militärisches Sperrgebiet im idyllischen Bayern, nahe Parsberg bei Regensburg. Permanente Kriegssimulation im Naturschutzgebiet. 350 Menschen sind hier heute angeliefert worden, um den Amerikanern dabei zu helfen. Ich, Studentin in Geldnot, bin auch dabei. Wir werden 26 Tage lang unsere Lager nicht verlassen. Allein drei Busse aus Berlin, weitere aus Leipzig, Dresden, Nürnberg. Beim Check-in fallen sich alte Bekannte um den Hals: „Hohenfels-Veteranen“.

Manch einer ist zum ersten, andere zum sechsten oder zehnten Mal hier. Es ist mein erstes Mal, und mein Gefühl schwankt am Ende des Check-ins zwischen „mein letztes Mal“ und „sofort nach Hause fahren“. Dass viele Kollegen pazifistisch eingestellte Kommilitonen sind, gibt ein wenig moralische Sicherheit. Andererseits stellen wir uns die Frage: Warum treffen sich gerade Menschen wie wir an einem solchen Ort? Weil konservative Studenten ebensolche Eltern und somit Geld oder zumindest vernünftige Nebenjobs haben? Weil Menschen mit geregeltem Leben sich nicht einen Monat lang der Welt entziehen können, um einen geheimnisvollen Job anzunehmen?

Wir Frischlinge sind nervös. Hören von Veteranen: „26 Tage ist schon krass. Irak war neulich schon lang – 21 Tage!“ oder „Wir kommen nach Afghanistan, das wurde schon lange nicht mehr geübt“. Wer sich auf die bundesweit in Tageszeitungen geschaltete Anzeige „Statisten für Rollenspiele gesucht“ beworben hatte, einigermaßen durch den Englischtest kam und nun hier ist, sich an alle Regeln hält und die kommenden vier Wochen keinen Ärger macht, darf – so er dann noch möchte – wiederkommen: GIs müssen ständig trainiert werden. Kosovo, Irak, Afghanistan.

Deshalb sind wir jetzt C.O.B.s, „Civilians on the Battlefield“, Statisten auf dem Schlachtfeld. Wir Studierende, Arbeitslose aller Altersklassen, Aussteiger, Künstler, Familienväter, die einen Monat Zeit haben, um in einer irrealen Zwischenwelt zu leben, werden „afghanische Dorfbevölkerung“. Ohne Internet, in einem Gebiet mit schlechtem oder, netzabhängig, gar keinem Funktelefonempfang. Jeder von uns verdient neunzig Euro pro Tag, ein Einsatztag dauert von 5 bis 22 Uhr. Wenn wir 24-Stunden-Dienst haben, werden es 100 Euro sein, alles auf Lohnsteuerkarte. Wer bei einem Regelverstoß erwischt wird, bekommt nur siebzig Euro pro Tag und fährt auf eigene Kosten zurück.

Nach stundenlangem Check-in – der Pass muss abgegeben und überprüft werden – fahren unsere Busse durch ein malerisches hügeliges Waldgebiet, dann minutenlang an Helikoptern, Panzern, Baracken und einer US-Soldatenstadt vorbei. Unser Gepäck ist weder durchsucht noch beschnüffelt worden. Durch das Informationsblatt, das uns unser Arbeitgeber Optronic im Auftrag der US Army vor diesem Einsatz geschickt hat, sind wir informiert: Alkohol und alle anderen Drogen sind verboten, Anweisungen ist Folge zu leisten.

Einige Berliner Jungs sehen verkifft aus. Am Rastplatz haben sie gerade ihren letzten Joint in Freiheit geraucht. Trauen sie sich auch, Gras in das US-Gebiet mitzunehmen, hierhin, wo die US Military Police herrscht?

Die Busse laden uns an der „Tech Site“ ab, dem Optronic-Organisationsplatz. 350 Menschen laden ihr Gepäck in ein bestuhltes Bierzelt. Von den Veteranen hört man, dass bei Diebstahl das gesamte Gepäck aller Anwesenden durchsucht wird, der Dieb sofort nach Hause muss – auf eigene Kosten, wie bei allen Regelverstößen. Im Feldwebelton fordert uns ein hagerer, großer Mann mit Wollmütze und sehr hoch gezogener, enger Jeans auf: „Setzen, zuhören, Folge leisten“. Die Veteranen tuscheln uns zu, dass es sich um Harry handelt. Mit Harry ist nicht zu spaßen, denn er war in der Fremdenlegion und ist „Chief Supervisor“ von Optronic. Harry brüllt uns an, als wären wir massenmordende Teenager im Bootcamp. Und das lispelnd und in Ruhrpott-Mundart.

Wir lernen, was uns durch die Firma Optronic – im Namen der US Army – für die nächsten vier Wochen verboten ist: jeglicher körperliche Kontakt, Sport, schnelle Bewegungen aller Art, herumliegende, nichtexplodierte Munition berühren, Alkohol, Drogen, Sex, Unpünktlichkeit, Licht nach 22 Uhr, unser Essen zu essen, wo wir wollen, Essen aufbewahren, privater Kontakt mit Soldaten. Frauen ist das Sprechen mit Soldaten untersagt, sie dürfen nichts Kurzes, nichts Dekolletiertes, nichts zu Enges tragen, niemals Röcke, niemals Tarnfarben oder schwarz. Keine Waldfrüchte sammeln, tagsüber nicht schlafen.

Dafür dann die Pflichten: aufstehen um fünf Uhr morgens, Krankmeldungen nur vor sieben Uhr morgens, persönliche Hygiene beachten, jederzeit bereit sein, den Teamgeist aufbauen und Engagement zeigen, genug Wasser trinken, immer lange Hosen und festes Schuhwerk tragen, spazieren gehen nur entlang der Dorfstraße. Abstand halten zu militärischen Fahrzeugen. Ausweis dabei haben und bei Fahrten in militärischen „Vehikeln“ immer die alten, extrem schlecht sitzenden Bundeswehrhelme tragen. Wer zwei Tage krank ist, wird am dritten nach Hause geschickt (auf eigene Rechnung).

Alle Namen werden verlesen, jeder einem Dorf zugeteilt. Die meisten, über hundert C.O.B.s, sollen nach „Übungsdorf“. Die Veteranen erklären, es sei das härteste Dorf, in dem am meisten „abgeht“. Die Neuen sind neugierig, niemand kann sich etwas unter „hartem Dorf“ vorstellen. Stundenlanges Warten, bis ein Bus drei Ladungen voller Menschen nach „Ü-Dorf“ karrt. 45 Minuten Fahrtzeit bei maximal erlaubten 40 km/h. Ausladen. In der Dunkelheit einer Kosovo-Dorfattrappe mit Puff, Kirche, Moschee und „Nanu-Nana“-Geschäftsnachbau stellen sich Frauen in erster Reihe auf, Männer in der zweiten. Ein Dschingis-Khan-gleich aussehender 50-Jähriger mit ungarischem Akzent befiehlt, uns anders aufzubauen. Dann teilt er Frauen zum Kloputzen ein. Unser Supervisor, dicklich, nicht hart, ein kleiner Deutscher, Dirk Bach nicht unähnlich, erklärt: „Das ist Gyuri. Der spielt sich immer auf. Nehmt ihn nicht ernst, er macht gern auf Chef. Den offiziellen Klo-, Bad- und Küchenputzplan hänge ich morgen aus.“

Nachdem alle C.O.B.s ihre Massen von Gepäck in eine Baracke gestopft haben, werden die alten Bundeswehrdoppelstockbetten belegt. Supply-Ausgabe. Die 27 Frauen und circa 80 Männer erhalten: eine dünne, staubige Matratze, ein altes Bundeswehrlaken. Schlafsack und Kopfkissen waren selbst mitzubringen. Dazu: Regenponchos, massive Gummi-Überschuhe für Schlamm und Regen, Helme und Miles.

Tag 2

Das Miles, ein Infrarotdetektor, mit dem die Soldaten erkennen, ob sie uns abgeschossen haben, muss von jedem C.O.B. ständig getragen werden. Dumm nur, dass die ungefähr zehn mal fünfzehn Zentimeter große Metallbox an einem mit Sensoren ausgestatteten, pferdegeschirrartigen Gurtgeflecht auf dem Rücken zwischen den Schulterblättern sitzt. Die vielleicht anderthalb Kilo, die es wiegt, fühlen sich am Ende eines Arbeitstages wie mindestens fünf an. Nicht mal zum Essen dürfen wir es absetzen. Wer zweimal ohne erwischt wird, fliegt. Ich spüre den Kasten noch, wenn ich nachts auf der harten Matratze in der stinkigen Baracke Schlaf suche. Ein kleiner Trost: Die pazifistischen Kommilitonen und ich haben die Batterien aus den Miles entfernt. So sind sie etwas leichter, und man hat das sexy Gefühl, die US Army zu sabotieren.

Wir mussten unterschreiben, nichts von dem hier Erlebten an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Unterschriften leisteten wir vor dem Sohn des Geschäftsführers von Optronic – der gerade wegen versuchten Waffenschmuggels nach Nordkorea vor Gericht steht. Ja, heißt es auf Nachfrage, hier seien versehentlich schon Menschen erschossen oder vom Militärfahrzeug überfahren worden. Aber wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen: Es waren immer nur Soldaten.

Tag 3

Gestern und heute wurden wir von der US-Armee eingewiesen. Diesmal trainieren sie tatsächlich Afghanistan – „Enduring Freedom“. Zwei Captains erklärten uns Afghanistan und muslimische Traditionen anhand eines stümperhaften Powerpoint-Referats. Im Gegensatz zu Harry können sie sehr laut sprechen, ohne zu brüllen.

Wir lernen, dass 45 Prozent der von der US Army in Afghanistan ausgebildeten lokalen Sicherheitskräfte nach dem ersten Lohn desertieren und ein Drittel des dortigen Bruttoinlandsprodukts dem Opiumanbau zu verdanken sei. Sechs bis zehn Millionen Landminen soll es geben, 300 bis 400 Afghanen sterben monatlich durch Minen – das Land braucht also amerikanische Hilfe! Ein smarter Captain, der mit blank gewichsten Stiefeln und George-Clooney-Look eher nach Hollywood als in ein bayerisches Bierzelt passen würde, erklärt uns auf Amerikanisch, dass „die afghanische Kultur sehr opportunistisch geprägt und Vertrauen daher unmöglich“ sei. Er zeigt Dias, auf denen er selbst in Afghanistan zu sehen ist, im Schneidersitz bei Paschtunen hockend. Er erklärt: „Am 11. September haben sie den schlafenden Drachen USA geweckt. Dann haben wir die Taliban besiegt. Danach haben wir Karsai genommen und ihn zum Präsidenten gemacht.“

Der andere Captain, in legerem Freizeitlook, erklärt uns auf Deutsch dann noch schnell, wie wir jetzt denken sollen: „Fangt nicht an mit diesem ‚I don’t like Bush I like Gerhard‘-Shit. Wir arbeiten hier, um Leben zu retten. Wenn ihr eure vorgefasste Meinung über das Militär nicht ändern könnt, dann ist das hier der falsche Platz.“

Es gibt neue Regeln zu beachten, Übungsdorf wird das afghanische Qalat. Die meisten von uns werden nun Paschtunen oder Poposai. Wir alle sind Sunniten.

Tag 4

Viele Veteraninnen sind bereits stolz mit Soldaten befreundet, verlobt. Viele GIs haben deutsche Ehefrauen. Man spricht Army-intern von „Loveboat Ubungsdarf“. Die Girls, die schon Lover bei der Army haben, erzählen alle dieselbe Story: „Ja, beim letzten Mal hier kennen gelernt, aber im Camp lief nix, ist ja verboten, er nahm sich Urlaub, besuchte mich dann.“ True love can wait? Es scheint, als wollten manche Mädchen die Soldaten auch dieses Mal beeindrucken. Einige schminken sich, jeden Morgen um fünf Uhr. Manche haben einen rot-glasigen Blick, bestimmt, weil sie sich ins verschlafene Auge gestochen haben.

Wir haben nur vier Duschen für 27 Mädchen, dafür aber oft „Meeting“, zum Beispiel morgens um Punkt sieben Minuten vor sechs. In einer stockdunklen, unbeheizten serbisch-orthodoxen Kirche. Die Supervisoren sehen nichts. Zeit für Schabernack! Wer sein Funktelefon dabei hat, spielt Musik und Klingeltöne ab und lässt es leuchten. Klatschen, lachen. Nach ein Paar Sekunden schreit der Supervisor – irgendeine Drohung, die das schlimme Wort „Rausfliegen“ beinhaltet. Mit Laserpointer zeigt er auf die Schabernackmacher. Aller Spaß vorbei, Gruppe stumm.

Supervisor Nr. 3, nicht Dirk Bach, sondern ein hagerer Althippie, immer mit Wollmütze, so wie Harry, verkündet: Alle bekommen original afghanische Kleidung! Bis die Kostüme da sind, müssen wir uns in alte Bundeswehrlaken hüllen. Kopftücher, Schals oder was gerade da ist, auf den Kopf basteln. „Männer – macht euch Turbane, ist mir scheißegal wie!“ Darüber das schreckliche Miles.

Den Tag verbringen wir mit großem Gelächter in unserem kleinen Fünfzehn-Häuser-Dorf. Die türkischstämmigen Männer sehen mit Turban sogar elegant aus! Der Puff ist immer noch da, später, wenn die Amis kommen, werden sie dort schlafen. Ein paar Frauen wollen beeindrucken und verkleiden sich als Schwangere. Gewandet in Laken und Handtücher (waren mitzubringen), binden sie sich Bücher und Kissen um den Bauch. Der Supervisor lobt später die „Kreativität“. Was die Übereifrigen allerdings nicht bedacht haben: Sie müssen die nächsten zwanzig Tage in ihrer Kostümierung verbringen.

Tag 5

Jetzt verstehen wir den Begriff „hartes Dorf“: Wir haben in neun Tagen 36 „Lanes“ zu absolvieren. Eine Lane bedeutet einen Militäreinsatz in einem Dorf. Die Teenager-GIs aus Amerika, die meisten zum ersten Mal an einem anderen Platz der Welt, stürmten unser Dorf und übten „Terroristen Waffen abnehmen“. Es war nicht leicht: Zwei Platoons von je dreißig Mann trafen auf unser mittlerweile in zwei Kriegsschauplätze geteiltes Dorf, in dem sich andere GIs als „Terroristen“ (also schwarze Kleidung, auch mit Turban) versteckten.

Sie saßen in Häusern, und wir Deutsch-Afghanen sollten die Amis ablenken, verwirren, mit Umarmungen und Einladungen zum Tee begrüßen. Die Terroristen hatten natürlich auch Waffen. Und haben nach anderthalbstündigem Häuserkampf gewonnen: Alle US-Soldaten wurden durch das hohe Fiepen ihrer Miles als tot identifiziert, ein Terrorist überlebte. 30:29 für die falsche Seite. Von der Dorfbevölkerung kamen nur ein paar Frauen durch, die ab heute zwei- bis dreimal pro Tag ein bis zwei Stunden in dem ungeheizten Rohbau-„Frauenhaus“ abwarten müssen, bis die Männer alle totgegangen sind.

Drei Mädchen weinten wegen der ultrarealistischen Kriegssimulation, dem Geballere, den ganzen schweren Waffen, den Hubschraubern, den auf der Straße liegenden toten Ehemännern, wegen der Blendgranaten und dem Rauch. Wegen der Belagerung durch Humvees, diesen aus dem Fernsehen bekannten schwer bewaffneten „Highly Mobile Multi Purpose Vehicles“, diesen fetten Hyperautos, die auch an der Wall Street cruisen. Ein Junge mit goldenen Locken und ein Mädchen, das sein Geld auch mit Modeln verdienen könnte, fuhren noch am Abend nach Hause.

Tag 6

Das Nichtsprechen mit den Soldaten gestaltet sich für die Frauen schwierig: Wir stehen zusammen mit den Soldaten täglich bis zu einer Stunde für das Frühstück an. Die Soldaten wollen unbedingt unsere Mädchen kennen lernen. Da die Mädchen dies auch möchten, hört man einen unserer drei Supervisoren oft noch vor Sonnenaufgang „Vollverschleierung“ durch den Speiseraum brüllen. Dann sind alle wieder „BMOs“, „Blue Moving Objects“, wie die Amis uns nennen.

Das ab 5.50 Uhr bereitgestellte Frühstück besteht aus Tee oder US-Kaffeegemisch, Orangensaft aus tiefgefrorenem Konzentrat, Rührei aus tiefgefrorenem Konzentrat (manchmal grünlich), Speck, Würsten, Waffeln mit klebrig-süßlichem Maissirup, Toast, Kuchen, Kekse und keinem, einem oder einem halben Stück Obst pro Person und Tag: stahlharte grellgrüne Granny Smiths oder hellgrüne Bananen. Manchmal gibt es sogar H-Milch.

Um 17 Uhr bekommen wir sehr viel Mais- oder Kartoffelbrei, riesige Bohnen, rationiertes Gemüse, viel zu wenig Salat und sehr viel Fleisch mit Extrasoße. Blecheweise matschige Sahnekuchen, große Schokokekse. Nicht, dass jemand Zeit hätte, hungrig zu werden: Für zwischendurch und jederzeit liegen Tonnen von weißem, weichem Toast, Erdnussbutter, Butter und Marmelade im immer zugänglichen Essenraum. Dazu Zuckerkonzentratsaft. Alle haben Verstopfung, viele Blähungen. Gerüchte über Beruhigungsmittel, libido- und potenzhemmende Substanzen im gräulichen Maisbrei machen die Runde. Chemisch schmeckendes Wasser trinkt man aus großen Army-Kanistern, die man selber holen muss. Die meisten trinken daher ständig den neonfarbigen Zuckersaft. Eine fragte heute in die Runde, ob wir nicht auch befürchteten, ungefragt an einem großen „Supersize Me“-Feldversuch teilzunehmen.

Tag 7

Erste Kontaktaufnahme zu US-Soldaten. Die meisten sind zwischen neunzehn und vierundzwanzig. Klischeegemäß lieben sie Eminem, aggressive deutsche Rockmusik und deutsche Frauen. „Die stellen sich nicht so an“ wie die US-Girls, die man immer erst zum Dinner einladen muss und dann oft trotzdem nicht ins Bett bekommt. Ich werde gefragt, ob es stimmt, dass deutschen Mädchen egal ist, ob der Beischlafleistende ihren Namen weiß.

Tag 8

Das „Essen“. Selfmade-Kloputzeinteiler Gyuri ist, wie auch schon einige Male zuvor, Aushilfsküchenchef: Um sechs und um siebzehn Uhr koordiniert er im ungarischen Militärstil die Anlieferung der nahezu ungenießbaren, vitaminfreien US-Army-Verpflegung. Das Militäressen wird uns C.O.B.s als vertraglich gesicherte „Vollverpflegung“ zugemutet. Manche Veteranen haben eigenes Essen dabei. Andere, die schon mehrfach hier waren, lieben US-Nahrung. Sie sind dick oder waren es und wissen, dass sie es hier auch wieder werden: Die jungen Veteranen sprechen über ihre Dehnungsstreifen an Bauch und Hüfte. Wie schnell man zehn Kilo zunehmen kann. Wie lange zehn Kilo draufbleiben!

Mittägliche Essensausgabe: „Meals Ready to Eat“, die „Em-aoh-riehs“, wie die sächsischen Mitkombattanten zu sagen pflegen. US-Militärfutter in wasserdichter brauner Verpackung. 2.600 Kalorien, haltbar gemacht für die Ewigkeit. In unseren braunen Feldrationen, den MREs, befinden sich Chicken Terriyaki, Boneless Pork Chops, Spaghetti Bolognese. Erdnussbutter, Cracker, Süßigkeiten minderer Qualität. Relativ ungenießbar alles. Dick eingeschweißte Breinahrung in rund 25 Sorten, erhitzbar mit Hilfe eines beiliegenden Chemiekalienmixes. Dieser reagiert mit ein paar Wassertropfen zu einem Plastikofen im Handformat.

Unser täglich Mittagessen: eine Tagesration. Für „High Performance Military Personnel“. Männer, die täglich im Panzer sitzen, Rammstein hören und von Falludscha bis Kabul Adrenalin schwitzen. Nicht für uns, denen Sport verboten ist: keine Stunde physical training, wie die Soldaten es täglich machen.

Trotzdem sind auch die Soldaten dick, vor allem ihre Hintern. Ich bekomme Angst und beschließe, fast gar nichts mehr zu essen. Ein paar unserer Leute haben von den Soldaten aufgeschnappt, dass diese MRE-Erhitzerchemikalien auch eine einfache Bombe ergeben können.

Tag 9

Einige C.O.B.s haben es gewagt, sich über das Essen zu beschweren. Ansage beim Meeting: Wer sich über das „gekochte“ Essen beschwert, bekommt fortan dreimal am Tag MREs. Jetzt meckert keiner mehr. Unser Busfahrer bietet an, für uns einkaufen zu gehen. Für ein Kilo Äpfel verlangt er drei Euro.

Tag 10

Tratsch ist beliebter Zeitvertreib. Pärchenvermutungen überall. Die Frauen kümmern sich nicht mehr allzu sehr um die Amis, die kriegen sie sowieso kaum zu Gesicht. Es sind Original-Burkas eingetroffen, über denen frau das Miles tragen muss. Unter der Burka trägt frau einen langen rosafarbenen Wickelrock, natürlich über der Hose. Aus den Männern sind mittlerweile echte Paschtunen geworden: weite leichte Hosen, schöne lange Hemden in Beige, Hellblau und Hellbraun und der sieben Meter lange original afghanische Turban machen Spaß. Die Jüngeren tragen keinen Turban, sondern ein kleines Käppi mit funkelnden Strasssteinchen und sehen aus wie schlecht gecastete, aber perfekt kostümierte Laiendarsteller aus „1001 Nacht“.

Eine lesbische Frau bildet sich ein, von einer Kollegin „durch anmaßendes Stöhnen unter der Dusche“ sexuell belästigt zu werden. Sie verbreitet diese Information durch das ganze Dorf. Auch weiß sie bereits, welche Mädchen wie viele Kondome dabei haben. Woher wohl?

Wir produzieren unglaublich viel Müll. Ständig neue Pappteller bester Qualität, ständig neue Styroporbecher, immer neues Plastikbesteck. 2.000 Soldaten, 350 C.O.B.s, 2 Tellermahlzeiten pro Tag (MREs essen die meisten gleich aus den Tüten). Wie viele US-Basen gibt es weltweit?

Amüsant: Ein älterer Herr ist zum Beaufsichtigen der Mülltrennung abgestellt worden. Er versucht, diese den GIs in rudimentärem Englisch zu erklären. Die GIs checken nicht, was unser deutscher Mülltrennungsbeauftragter von ihnen will. Sie wühlen dennoch brav nach ihren Ketchupverpackungen im Biomüll. Wenn der Müll dann allerdings getrennt ist, kommt er wieder ins amerikanische System: alles in eine Tonne. Niemand weiß, warum.

Tag 11

Man hat uns in Teams eingeteilt. Einige sind ins „Role Player Cell“ gekommen. Dort übt man UNO-Beauftragter oder Internationale-Delegation-Spielen und kommt erst während der letzten zehn Tage, genannt „X-days“, ins Spiel. In einer anderen Liga – unbemerkt vom Geballere – scheint auch internationale Diplomatie geübt zu werden.

Nicht so bei uns in Qalat: Zehn von uns fahren täglich zu Checkpoints und sind afghanische Reisende, deren Autos und Körper nach Waffen durchsucht werden. Als reisende afghanische Familie wird man oft getötet, da die Checkpoint-Soldaten sehr gereizt und aggressiv agieren. Ständig rechnen sie mit einer Attacke aus dem Auto heraus, mit einer Autobombe, mit illegalen Waffen. Wir sollten eine Familie sein, die partout nicht aus dem Auto rauswill, da zu viele schutzbedürftige Frauen dabei waren und draußen nur maskierte Soldaten mit ihren Knarren vor unserer Windschutzscheibe herumfuchtelten. Einer der GIs zerstörte symbolisch ein Autofenster und zerrte uns heraus.

Besonders gruselig sind Checks im Dunkeln, wenn nur Nachtsichtgeräte benutzt werden, die ganze Straße voll von militärischem Gefährt und Stacheldraht ist und Hubschrauber über dem Checkpoint zur Landung ansetzen. Mein Mann sollte abgeführt werden. Ich wollte hinterher, als der Hubschrauber zehn Meter über mir flog. Wind, Staub, „Fucking shit!“ brüllende Soldaten. Stolperte über meine Burka. Wurde erschossen. Da die Miles öfter nicht funktionieren, brüllt der Erschießende den zu Erschießenden in so einem Fall aus einem Meter Abstand mit vorgehaltenem Maschinengewehr an: „Bang! You’re dead, stupid motherfucker.“

Aus unserer Mitte sind fünfzehn Übersetzer, genannt linguist oder translator, ausgewählt worden. Die Linguisten bekommen US-Uniformen und müssen den ganzen Tag über, oft auch bis nachts, an den Checkpoints stehen. Die Checkpointfahrer hingegen haben den ganzen Tag lang kaum etwas zu tun. Sie sitzen auf einer Wiese, zusammen mit den GIs, die niemals die Motoren ihrer großen Jeeps abstellen. Stundenlang verpesten sie die Luft, während Soldaten und C.O.B.s schlafend auf den Einsatz warten.

Endlich Mittagsschlaf auf einer Wiese und kein Supervisor weit und breit! Selbst die Chefs der „Privates“, die Sergeants, dösen friedlich. Schräg links von der Wiese haben sie ein Höhlensystem gebaut. Hier rattern Blackhawk-, Apache- und Cherokee-Hubschrauber den ganzen Tag, diverses gepanzertes Camouflagegefährt belagert, es steigt Rauch auf aus den Höhlen, und achtzehnjährige ehemalige Dealer und Schulabbrecher üben „Bin Laden im Hindukusch fangen“: Handgranate rein und mit vorgehaltener Knarre stürmen. Wie sie es aus den Videospielen kennen, wie in den TV-Werbespots für die US Armee, die genau auf diese Ästhetik setzen.

Tag 12

Gespräche mit Soldaten stimmen traurig – ich fühle, warum es uns verboten wurde. Auf der Checkpoint-Wartewiese bleiben interkulturelle Diskussionen nicht aus, und manch ein Amerikaner versteht den Sinn unserer Worte nur sehr schwer. „Alle sagen, es ginge nur um Öl, aber es geht mir um Freedom und Democracy. Oder findet ihr es richtig, Frauen einzusperren? Euch haben wir doch auch befreit!“

Besser leise sein. Politische Gespräche und solche über religiöse und kulturelle Differenzen sind nämlich: sehr streng verboten. Ein anderer geht in den Krieg, weil es die Tradition seiner Familie ist. Und drei andere erklären ohne Scham, dass sie aus solch abgefuckten Drogen-Prostitutions-Vater-unbekannt-Verhältnissen kommen, dass das Militär die einzige Chance war, sich von der kriminellen Clique abzuseilen. Der Vierte erzählt, dass er früher Drive-by-Shootings gemacht hat – er hat wahrscheinlich schon vor seiner Zeit bei der Armee getötet. Der Fünfte kommt gerade aus dem Irak, will unbedingt zurück und spricht begeistert vom erhebenden Gefühl, Muslime mit dem Maschinengewehr zu töten: Er sei „85 Percent Israeli“.

Tag 13

Die lesbische Frau hat sich beim „Pro-C.O.B“ über sexuelle Belästigung beschwert. Die vermeintliche Belästigerin habe ihr einen Klaps auf den Po gegeben. Nun muss die Belästigerin zu Harry – und die Petzende auch. Sie hat, obwohl sie selbst ehemalige Supervisorin ist, „eine Hierarchieebene übergangen“, sie hätte zum Supervisor und nicht zu seinem Chef, dem Pro-C.O.B., gehen sollen. Beide Frauen werden in die am weitesten voneinander entfernten Dörfer umgesetzt. Für sie kommen Neue, die in anderen Dörfern nicht klarkamen.

Ein sehr junger Berliner ist beim streng verbotenen Fotografieren von militärischen Situationen geschnappt worden. Er muss sofort die Sachen packen und zum Bahnhof Parsberg. Er wurde gewarnt: „Pass auf, dass du keinen Besuch vom MAD bekommst.“ Wie passt man auf so etwas auf?

Tag 14

Heute hat mir eine Frau erzählt, dass ein Soldat ihr an den Hintern gefasst hat. Da sie ihn mag und gerne in den USA leben möchte, freut sie sich darüber. Aus den Lautsprechern unserer Moschee ruft nun fünfmal täglich ein Muezzin „Allahu akbar“. Die Jungs müssen dann immer in die Moschee gehen oder beten, wo sie gerade sind. Die meisten machen alberne Gymnastik. Ein türkischstämmiger Junge macht nie mit und zischt: „Dafür kommen alle in die Hölle.“

Tag 15

Der Qalat-Dorfalltag: Nach dem Frühstück, gegen sieben Uhr, fahren die Übersetzer weg. Die anderen haben gegen elf Uhr das erste Mal bereit zu sein. Auch wenn dann oft die Anweisung kommt, dass es vor 13 Uhr nicht losgeht. Da man den ganzen Tag lang nicht zurück in die Baracke darf, hat es nur gut, wer eine Schlafallianz gegründet hat. Schlafen ist verboten, wer erwischt wird, fliegt, man muss Schmiere stehen! Räume, um sich abzulegen, und alte, dreckige Schaumstoffmatratzen gibt es in den halb fertigen Häusern genug. Die meisten Häuser sind nicht beheizt, dafür aber mit vielen Überwachungskameras bestückt.

In der freien Zeit lernen die Disziplinierten für die Uni, andere spielen Karten, dösen oder lesen. Alle sprechen gerne über Sex und Drogen. In der langen Pause erzählen uns ein paar Amis, sie seien Dealer gewesen, mit sechzehn, im früheren Leben. Jetzt sind sie achtzehn und neunzehn. Einer vermisst seine Katze zu Hause in South Carolina. Daheim schläft sie nachts auf seinem Bauch. Er zog vor dreizehn Monaten, noch mit siebzehn, zu Hause aus, direkt nach Hohenfels. Bald geht es aber weiter: in unbestimmtes Kriegsgebiet.

Drei Stunden nach Ende der Pause geht es weiter: Kurz bevor die Soldaten einmarschieren, müssen wir im Dorf umherlaufen und „Dorfleben“ spielen. Da ist die US Armee! Alle Burkas ins Haus! Die Männer bekommen in unserem laut Briefing „US-freundlichen“ Dorf variable Aufgaben. Auf die GIs zulaufen, sie an den Händen halten, Tee mit ihnen trinken wollen, Zigaretten abschwatzen. Die Paschtunen reden deutsch mit den Amis und müssen so tun, als ob sie kein Englisch verstehen, es sei denn, ein „translator“ ist gerade dabei. Wenn die Amis gerade von uns rausbekommen wollen, wo die Waffen versteckt sind, knallen „Terroristenschüsse“ aus Hinterhalten.

Übersetzer sterben oft zuerst. Wer getroffen wird, darf sich für die Dauer der Übung nicht mehr bewegen. Pech hat, wer zu Beginn einer anderthalbstündigen Lane im Regen, im Dunkeln, auf offener Straße abgeschossen wird. Übersetzer, komischer Job, sowieso: Als Strafe dafür, dass man gut englisch spricht, muss man fast so hart wie die Soldaten ackern.

Oft kommen diese Tapferen erst gegen Mitternacht zurück in die Baracke, durchgefroren, müssen leise sein, kein Licht anmachen, wollen in den ollen Containern duschen und dann: gibt es kein warmes Wasser mehr. Tröstlich: Es war schon morgens alle, nachdem 66 Soldaten, die jetzt im kosovarisch-afghanischen Puff wohnen, duschen waren.

Tag 16

Hab einen der Förster getroffen und ein illegales Pläuschchen mit ihm gehalten. Er findet oft tote Hirsche ohne Kopf im Wald, Amerikaner mögen deutsche Hirschgeweihe. Schlimm, aber nicht so schlimm, befindet er, denn Rotwild gibt es hier genug. Sehr schlimm findet er, oft in den entlegensten Gegenden Öllachen und unglaublich viel Plastikmüll entdecken zu müssen. Und überall diese unexplodierte Munition, von der man nie weiß, ob es nur Attrappen sind. Dann sagt er mir, dass ein Humvee im Gelände einen Liter stinkendes Dieselgemisch pro Kilometer verbraucht.

Seit die Frauen meist weggeschlossen werden, sind unsere jungen Männer, nach bester afghanischer Tradition, körperlicher im Umgang miteinander geworden. Anfangs fanden sie die Regieanweisung noch blöd, jetzt sieht man manche auch in freier Zeit Arm in Arm laufen und spielerisch raufen (nur Letzteres ist verboten).

Tag 19

Jetzt ist alles noch härter geworden. Permanentes Geballere. Rote Blitze, Rauch, es regnet in Strömen, wer erschossen wurde, bleibt draußen liegen, bekommt eventuell eine Pappe von aufmerksamen Mitkombattanten übergeworfen und eine Zigarette daruntergesteckt. Die meisten rauchen oder essen permanent. Bei einer Verhaftung sehe ich schwarze Säcke, so groß, dass ein Menschenkopf reinpassen würde. Ich frage einen Sergeant nach der Bewandtnis. Er antwortet mehrfach, dass er keine Ahnung hat, wovon ich rede.

Tag 21

Drei Einsätze pro Tag, wir haben 24 Stunden Bereitschaft. Und immer mehr Soldaten, überall. Auch italienische, die besonders brutal vorgehen. Angst haben wir vor nächtlichem Einsatz. Wenn die Männer festgenommen werden, müssen sie schon mal zwanzig Minuten lang mit dem Gesicht zur Wand hocken, mit hoch erhobenen Armen. Das liebt keiner.

Bislang mussten wir nur einmal zum Proben des Feueralarms aus den Betten. Da wurde klar: Die Kifferjungs haben sich ihre kleine Flucht nicht verbieten lassen. Die Clique von sechs war komplett stoned und panisch bei der Evakuierung, zum Glück sind drei Aufpasser für über hundert Leute nicht genug. Hinter der Moschee kann man gut „Feierabend machen“, wie sie das Rauchen nennen. Die Russen knutschen lieber in der Moschee mit Mädchen, denen sie immer die internationale Lagerwährung geben: Zigaretten.

Tag 22

Einige passen nicht mehr in ihre Hosen. Eine Frau aus Ostdeutschland glaubt, dass ihr Schlafsack „spontan eingelaufen“ sei, weil er ihr zu klein geworden ist. Es ballert Tag und Nacht, und irgendwann müsste, statistisch betrachtet, auch mal einer der vielen Hubschrauber abstürzen. Vor dem Schlafen nicht daran denken. Noch vier Tage.

Tag 24

Das erste Geld soll schon auf unseren Konten eingetroffen sein. Die Stimmung steigt, die Zivilgesellschaft wird wieder greifbar: Morgen geht’s nach Hause! Doch dann: kommen die Übersetzer zurück, die die X-days über bei und mit den Soldaten gelebt haben.

Ein liebenswürdiger langzeitarbeitsloser Ossi braucht Betreuung und Gespräch, das er bei mir sucht: Er habe in einem 80-Mann-Zelt mit vielen Irak-Heimkehrern schlafen müssen, alle seien sie, naja, nicht Mörder, hätten aber schon getötet, heroisierten ihre Taten permanent und lautstark. Der 45-Jährige hatte die ganze Zeit über Angst vor seinen Zeltgenossen. Ständig liefen irgendwo Fernseher, zwei Kanäle, einer mit Werbung für die Army und einer für Sport. Nirgends eine Bibel. Was das für ein Land sei, überlegt er, in dem 19-Jährige keinen Alkohol trinken dürfen, aber fremde Menschen in Übersee erschießen sollen. Das Schlimmste für ihn war eine Nacht, in der Gefängnis trainiert wurde. Die ernannten Aufseher, normale Teeniesoldaten, bastelten sich Schlagstöcke und drohten den Teenagerkollegen, die im offenen Gefängniszelt bei Flutlicht an die Betten gefesselt waren. Die Stimmung muss sehr aggressiv geworden sein. Demnächst wird es eine Rotation geben, bei der vierzehn Tage lang nur Gefängnis trainiert wird. Auch nach Stunden des Sprechens zittert er immer noch am ganzen Leib. Da keine Frau zu Hause auf ihn wartet, sehnt er sich nach einem starken Drink.

Letzter, letzter, letzter Tag!

Heute! Beim Aufwachen um kurz vor fünf denke ich an eine alte Tonbandaufnahme aus dem Englischunterricht: „Thank God almighty, we’re free at last!“ und strahle vor mich hin. Frühmorgens teilt die US Army Urkunden für „Besondere Verdienste“ aus. An Übersetzer und an Männer, die Dorfpolizei gespielt haben. Die hatten Spielzeugknarren und olle Bundeswehruniformen und sind stolz damit herumschawänzelt, die ganze Zeit. Auf den Urkunden steht, dass ihre Arbeit von der US Armee sehr hoch geschätzt wird, da sie geholfen haben, das Training für „Enduring Freedom“ zu einem militärischen Erfolg zu machen. Frauen werden nicht geehrt.

Packen, Bus beladen, elf Uhr Versammlung auf der Tech-Site. Keine Rede, kein Wort des Dankes. Dafür eine (schlampig durchgeführte) Gepäckdurchsuchung, weil zu viele Kostüme abhanden gekommen sind.

16 Uhr, endlich, der Bus in die Freiheit! Alle haben MREs im Gepäck, damit die Freunde daheim erfassen können, was man essen musste. Strenges Alkoholverbot auf der Rückreise. Das Gras der Jungs ist alle. Auf der ersten Raststätte werden Bier, Sekt, Wein und Filterzigaretten gekauft. Der zunächst lamentierende Busfahrer krakeelt nun, dass er alle Alkoholtrinker an Optronic melden muss. Die dann nie wieder einen Job bekämen. Grund: Auf der letzten Heimfahrt bekamen sich zwei betrunkene Supervisoren in die Haare und der Kopf des einen flog wegen Aggression des anderen in den Busfernseher. Doch der Fahrer wird konsequent ignoriert. 320 Kilometer bis Berlin. Freedom, finally, enduring!

Unsere Autorin ist 25 und studiert in Berlin. LIAMA MENINA ist nicht ihr richtiger Name