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Archiv-Artikel

berliner szenen Nicht schön

Das Leben: ein Handikap

Schön war det nich, wie der Berliner sagt. Obwohl der Abend schön begann. Wann wird der Besucher eines Vortragsabends schon mit duftenden Rosen, duftenden Tonknollen und duftender schwarzer Watte beschenkt? (Dank an den Künstler Sam Samore). Trotzdem, es war nicht schön, dass erst in der Podiumsdiskussion die Fragen gestellt wurden, die vor den Referaten hätten gestellt werden müssen. Zum Beispiel: Was gilt als Handikap? Dieses Versäumnis war also im Gegenteil eine hässliche Zeitverschwendung.

Aber vielleicht wollte das Zentrum für Literaturforschung bei seiner dritten Veranstaltung zum Thema „Zwischen Evolution und Experiment. Schönheit in Kunst und Wissenschaft“ mit viel demonstrativem Aufwand gleich mal demonstrieren, was ein Handikap ist? Wollte hohe überflüssige Kosten abverlangen, paradoxerweise nicht auf eigener Seite, sondern auf der der Besucher?

Warum aber sollten nun ausgerechnet die sich dem Fitnesstest unterziehen, den das Handikap in der Theorie von Amotz Zahavi darstellt, die Grundlage des Abends war? Immerhin, der Evolutionsbiologe Michael Lachmann, der ihn zuallererst hätte leisten müssen mit seinem Vortrag über „Beauty as signal“, gab eine Antwort. Da bei ihm schon das Schreien hungriger Vogelküken unter dem Begriff „Handikap“ firmierte – das unkluge Schreien alarmiert nicht nur die fütternden Eltern, sondern auch die Feinde –, lautete sie: Weil das Leben ein einziger Fitnesstest und ein einziges Handikap ist.

Da ist was dran, denn nur was lebt, hat überlebt. Schön is det nich. Neu auch nicht. Der Kunsthistoriker Peter Geimer bemerkte danach, dass Zahavi eben Konjunktur habe. Es gibt unschöne Moden. Auch in der Wissenschaft. BRIGITTE WERNEBURG