: Zehn Punkte gegen Gewalt
Türkischer Bund wird gegen Ehrenmorde aktiv: In einem 10-Punkte-Plan fordert er, dass sich türkische und islamische Organisationen offensiv zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen bekennen
VON SABINE AM ORDE
Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) geht in die Offensive. Der liberal ausgerichtete Dachverband hat gestern einen 10-Punkte-Plan zur „Bekämpfung der Intoleranz gegenüber Frauen“ vorgelegt (siehe Kasten) und ihn bei einem runden Tisch mit VertreterInnen aus Behörden, Politik, islamischen Organisationen und Antigewaltprojekten zur Diskussion gestellt. In dem Papier fordert der TBB unter anderem, dass sich alle türkischen und islamischen Organisationen öffentlich und aktiv zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen bekennen. „Dabei müssen wir weg von der Diskussion über türkische und deutsche Werte“, betonte TBB-Sprecherin Eren Ünsal. „Es geht hier um universelle Menschenrechte.“ Es ist das erste Mal, dass eine Berliner Migrantenorganisation bei diesem Thema derart Flagge zeigt.
Gewalt gegen Frauen und repressive Einstellungen dürften nicht toleriert werden, heißt es weiter in dem Katalog. Zudem fordert der TBB die strikte Strafverfolgung von Zwangsverheiratung, die Einrichtung eines Lehrstuhls für Islamische Theologie und die Durchsetzung der Schulpflicht in Bezug auf Sport- und Sexualkundeunterricht.
Mit dem 10-Punkte-Plan reagierte die Migrantenorganisation auf die Ermordung der türkischstämmigen Berlinerin Hatun Sürücü vor zwei Wochen. Ihre drei Brüder stehen im Verdacht, sie erschossen zu haben, um die Familienehre wiederherzustellen. Zu einer Mahnwache für Hatun Sürücü am vergangenen Dienstag hatte der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) aufgerufen, nicht aber der TBB oder eine andere Migrantenorganisation. Seit Oktober vergangenen Jahres sollen in Berlin sechs Frauen im Namen der Ehre getötet worden sein. Öffentliches Entsetzen haben zudem drei Schüler einer Neuköllner Hauptschule erregt, die den Mord an der jungen Frau im Unterricht begrüßt hatten. Das hat der Schulleiter mit einem Brief öffentlich gemacht.
Der runde Tisch reagierte weitgehend zustimmend auf den 10-Punkte-Plan des TBB, auch wenn kleine Korrekturen eingefordert wurden. „Es geht nicht nur um türkische Frauen und Männer“, sagte Louise Baghramian vom Interkulturellen Frauenhaus. Sie fordert, alle Migrantengruppen einzubeziehen. Konkrete Schritte zu einem gemeinsamen Vorgehen wurden nicht vereinbart. Das gestrige Treffen machte zudem zweierlei klar: Es wird in der Stadt bereits vieles getan, um Migrantinnen zu unterstützen und Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten. Aber eine bestimmte Gruppe erreicht diese Arbeit nicht. Wie das geändert werden kann, darüber herrscht Ratlosigkeit.