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Archiv-Artikel

Unsichtbare Kreative

Übersetzer und Dolmetscher haben gute Berufsaussichten. Doch es steht ein steiniger Weg bevor, bis man sich auf dem wachsenden Markt etablieren kann, in dem überwiegend Freiberufler arbeiten

VON OLE SCHULZ

Als der EU im vergangenen Jahr zehn weitere Länder beitraten, war das Zeitalter der babylonischen Sprachenverwirrung endgültig angebrochen – zumindest in den Brüsseler und Straßburger EU-Schaltzentralen. Olga Cosmidou, die griechische Chefin des EU-Dolmetscherdienstes, hatte alle Hände voll zu tun, um allen Anfragen gerecht zu werden. Besonders das Aufstöbern von lettischen, slowenischen und maltesischen Übersetzern erwies sich anfänglich als „Suche nach der Nadel in einem Heuhaufen“, so Cosmidou. Der Grund für die hektische Betriebsamkeit: Die Beitrittsländer haben Anspruch auf Übersetzung der Debatten im Europaparlament und sämtlicher Dokumente in ihre Landessprache.

Der steigende Bedarf an Dolmetschern und Übersetzern durch die EU-Osterweiterung ist nur ein Beispiel dafür, dass in der globalisierten, vernetzten Weltgesellschaft Fremdsprachen immer wichtiger werden – und damit auch der Beruf der Dolmetscher und Übersetzer. Ohne Übersetzer gäbe es zudem keine Weltliteratur, sie machen dem Leser Bücher aus anderen Ländern erst zugänglich. Die Beachtung, die die Übersetzer dafür erhalten, ist allerdings meistens ebenso gering wie ihre finanzielle Honorierung.

Der Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke (VDÜ) ist die Organisation, in der hierzulande die Literaturübersetzer organisiert sind. Es ist ein Verband mit Tradition, der 1945 gegründet wurde. „Mitglied beim VDÜ kann nur der werden, der einen bezahlten Auftrag vorzuweisen hat“, erläutert Peter Robert vom VDÜ-Vorstand. Eine der wichtigsten Aufgaben des VDÜ sieht Robert im Kampf um höhere Honorare. Im Rahmen der im Januar 2002 verabschiedeten Reform des Urhebervertragsrechts war eine bessere Vergütung zwar angemahnt worden, doch bei den Verhandlungen mit den Buchverlagen ist laut Robert bis heute „keine Einigung in Sicht“.

„Wir sind Akkordarbeiter, werden aber in der Regel nicht nach Stunden bezahlt“, beschwert sich Robert. Einen Eindruck von der derzeitigen Honorarsituation gibt ein Gutachten des Münchner Instituts für Medienforschung und Urbanistik: Während ein angestellter Lektor ein Bruttojahresverdienst von immerhin fast 45.000 Euro erreichen kann, bewegt sich das Einkommen der Literaturübersetzer lediglich innerhalb einer Spanne von 9.000 bis 20.500 Euro.

Literaturübersetzer sind laut Robert „überwiegend Quereinsteiger mit einem akademischen Abschluss“. Häufig haben sie eine Sprache studiert, doch das allein reiche nicht aus: „Literaturübersetzer kann man nicht so einfach werden“, es gebe dafür auch keinen Königsweg in der Ausbildung. Diejenigen, die sich gleichwohl dazu berufen fühlen, sollen ruhig versuchen, sich auf einem Markt zu etablieren, in dem vorrangig Selbstständige agieren, meint Robert. Gleichzeitig weiß er aus eigener Erfahrung: „Man hat einen steinigen Weg vor sich.“ Anspruchsvoll, aber auch kreativ sei die Arbeit eines Übersetzers.

Norbert Koschyk, Sprecher des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ), sieht das ähnlich: Wichtiger als die Frage, welchen Ausbildungsweg man wähle, sei, „dass man den Beruf liebt und beherrscht“. Für Letzteres brauche man neben entsprechendem Fachwissen und Know-how vor allem Erfahrung. Der BDÜ, ebenfalls 1945 gegründet, nimmt im Gegensatz zum VDÜ auch Übersetzer und Dolmetscher als Mitglieder auf, die sich nicht allein der hohen Welt der Literatur verschrieben haben. Dazu zählen Gerichtsdolmetscher ebenso wie die wachsende Zahl von Übersetzern, die sich vorrangig mit technischen und geschäftlichen Texten auseinander setzen. Das schlägt sich auch in den Mitgliederzahlen nieder: Mit über 5.000 Dolmetschern und Übersetzern hat der BDÜ fast fünfmal so viele Mitglieder wie der VDÜ. Koschyk schätzt, dass drei Viertel der Mitglieder freiberuflich tätig seien. „Das Einkommensspektrum reicht von 0 bis 50.000 Euro.“ Gerade in der freien Wirtschaft gibt es laut Koschyk Tendenzen, „die Preise zu drücken“.

Wer trotz stagnierender Honorare Übersetzer werden will, hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder an einer Uni bzw. Fachhochschule einen Übersetzer-Studiengang mit Diplomabschluss zu belegen oder an einer Fachakademie eine Ausbildung zu absolvieren. Laut Norbert Koschyk vom BDÜ mache es wenig Sinn, den einen der beiden Wege gegenüber dem anderen zu empfehlen. Ebenso schwierig sei die Frage zu beantworten, ob man sich auf eine Weltsprache wie Englisch oder auf ein Orchideenfach wie Afrikaans spezialisieren solle.

Viele Übersetzer sind wie Frank Miesel freilich Seiteneinsteiger ohne Übersetzerdiplom. „Ich bin so ähnlich Übersetzer geworden, wie die Jungfrau zum Kinde gekommen ist.“ Der heute 38-Jährige hat russische Geschichte und Slawistik studiert und während des Studiums angefangen, für einen amerikanischen Drehbuchautor, Texte ins Deutsche zu übersetzen. Dann heiratete er eine Italienerin und lernte die Sprache seiner Frau. „Heute übersetze ich vor allem englische und italienische Texte ins Deutsche.“

Der Durchbruch für Miesel als Übersetzer begann Mitte der 90er-Jahre, als viele italienische Firmen im Berliner Bauboom mitmischten. „Besonders viel zu übersetzen gab es in der Zeit, als die eigentlichen Bauvorhaben beendet waren und die rechtlichen Streitigkeiten anfingen.“ Heute ist Miesel neben technischen Texten vor allem auch auf Geschäftsdinge in der Bauwirtschaft spezialisiert. „Es macht mir Spaß, Einblicke in verschiedenste Lebensbereiche zu erhalten. Mal muss man sich in die Seele eines Automechanikers hineinversetzen, mal in die eines Rechtsanwalts.“

Mittlerweile kann Miesel gut von dem Job leben, von zwei Agenturen wird er regelmäßig gebucht, daneben hat er wechselnde Auftraggeber. Am meisten genießt Miesel die Freiheit als Selbstständiger, „das ist das größte Plus“. So war er auch schon mal mehrere Monate bei der Familie seiner Frau in Rom und hat dort am PC gearbeitet – für Auftraggeber in Berlin. Obwohl Miesel ausreichend Aufträge hat, ohne dass er ein Dolmetscherdiplom vorweisen kann, will er irgendwann noch die staatliche Dolmetscherprüfung machen. „Damit ich als Gerichtsdolmetscher arbeiten kann.“ Sein zweites Standbein als Stadtführer hat Miesel allerdings bis heute nicht aufgeben wollen. „Als Übersetzer ist man ein Einzelkämpfer am Schreibtisch, aber ich habe auch gerne direkt mit Menschen zu tun.“