„In den Mainstream vordringen“

Morgen Abend werden in Los Angeles die Oscars verliehen. „Hotel Rwanda“, Terry Georges Film über den Völkermord in Ruanda, ist in drei Kategorien nominiert. Ein Gespräch mit dem Regisseur über afrikanische Helden und die Notwendigkeit, einen für das große Publikum zugänglichen Film zu machen

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr George, „Hotel Rwanda“ erzählt die Geschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina, der während des Genozids in Ruanda fast 1.000 Tutsi und moderate Hutu vor den Hutu-Milizen rettete. Was war zuerst da – die Idee, einen Film über den Völkermord zu machen, oder die, Rusesabaginas Geschichte zu verfilmen?

Terry George: Es fing an, als ich versuchte, ein Drehbuch über den Bürgerkrieg in Liberia zu schreiben. Dieser Krieg war –ähnlich wie der in Sierra Leone – so bizarr und so anarchisch, dass der Westen ihn leicht hätte stoppen können. Ich wollte etwas über den Mut ganz normaler Afrikaner schreiben, über die Menschen, die in solchen Situationen überlebten. Genau zu diesem Zeitpunkt erhielt ich das Drehbuch von Keir Pearson, einem jungen New Yorker Cutter.

Das die Geschichte von Paul Rusesabagina erzählte?

Ja. Als ich das Buch las, wusste ich: Es enthält die Grundlage für all das, was ich sagen möchte. Ich traf Paul Rusesabagina in Brüssel und später in New York, wir redeten lange, und während ich zuhörte, merkte ich: Hier hatte ich nicht nur eine große Heldengeschichte, sondern auch einen Hergang der Ereignisse, der so spannend war, dass ich einen Thriller daraus hätte machen können. Hinzu kamen die Liebesgeschichte und dieses tiefe Bedürfnis, die Familie zusammenzuhalten. Paul Rusesabaginas Geschichte hatte somit alle Elemente für einen guten Film.

War er an der Entstehung des Filmes beteiligt?

Ja. Nachdem Keir Pearson und ich die Grundlage für das Drehbuch verfasst hatten, zeigte ich es ihm. Er kommentierte es, und wir blieben während der ganzen Entwicklungsphase in Kontakt. Ich reiste mit ihm nach Ruanda. Das war entscheidend, insofern der Film für mich danach nicht länger nur eine Leidenschaft, sondern eine Verpflichtung war. Ich musste diesen Film drehen, egal ob auf Digitalvideo und mit Schauspielern aus Ruanda oder so, wie wir es dann schließlich getan haben.

Wann waren Sie in Ruanda?

Im Januar 2003. Für Paul war es das erste Mal, dass er zurückkehrte. Ein traumatische Erfahrung war das – für ihn, aber auch für mich. Alles, was ich mir vorher vorgestellt haben mochte, wurde von der Wirklichkeit überboten. Das Land ist von großer Schönheit, es ist sehr dicht besiedelt, und trotz allem, was sie erlebt haben, haben sich die Menschen ihre Würde bewahrt. Wir besuchten einige der Stätten, an denen Massaker verübt wurden.

Dort sind Knochen aufgebahrt.

An einem Ort waren es nicht mal Knochen. In Murambi wurden 40.000 Tutsi umgebracht und in Massengräbern verscharrt, nachdem Kalk auf die Leichen gestreut worden war. Wie auch immer die chemische Reaktion vonstatten ging, sie mumifizierte die Körper, statt sie zu zerstören. Einige der mumifizierten Leichen sind in den Räumen, wo das Massaker stattfand, aufgebahrt. Am erschreckendsten ist, dass der Kalk ihre Haut hat weiß werden lassen. Im Tod sind sie gewissermaßen zu der Hautfarbe gekommen, die ihnen das Leben gerettet hätte. Nachdem ich diesen Ort besucht hatte, schwor ich mir, den Film zu machen –ganz gleich wie.

Der aus Kamerun stammende, in Belgien lebende Filmemacher François L. Woukoache hat in Murambi gedreht und die Bilder in seinen fast episch angelegten Dokumentarfilm „Nous ne sommes plus morts!“ („Wir sind nicht mehr tot!“) einfließen lassen. Wie schafft man es, aus dem, was man in Murambi sieht, Filmbilder zu machen?

Es verfolgt einen. Ich hatte immer das Gefühl, durch meinen Film hindurch die Geister dieser Toten zu sehen. Das war die erste Verpflichtung. Die zweite war, den Film gut zu machen. Die dritte, ein möglichst großes Publikum dafür zu finden. Meine Angst wuchs, als ich Don Cheadle und Sophie Okonedo gewinnen konnte. Denn nun hatte ich großartige Schauspieler und eine großartige Geschichte, und daraus erwuchs der Druck auf mich, den Regisseur, alles richtig zu machen. Ich wusste außerdem, dass wir die Aufmerksamkeit, die eine Oscar-Nominierung mit sich bringt, gebrauchen konnten.

Folgt „Hotel Rwanda“ deswegen so ungebrochen der Plotstruktur und der Figurenkonstellation eines Hollywoodfilms?

Ja, das ist einfach, wie es heutzutage ist. Wir wollten den Film für ein amerikanisches Publikum zugänglich machen.

Hätten Sie es gern anders gemacht?

Nein. Wir hätten zwar gern bei den Filmfestspielen in Berlin oder Cannes eröffnet, aber das ist zu früh im Jahr. Mit jedem Film, bei dem ich ernsthaft mitgearbeitet habe, sind wir in den USA in derselben Dezemberwoche an den Start gegangen – eben wegen der Oscar-Nominierung. Und zweimal hat es geklappt: mit „In the Name of the Father“ und jetzt. Es ist die einzige Möglichkeit, aus der Arthouse-Verleihstruktur herauszukommen und in den Mainstream vorzudringen.

Die letzte Einstellung Ihres Filmes zeigt Paul Rusesabaginas glücklich wiedervereinte Familie in mildem Sonnenlicht. Ist das nicht ein sehr optimistisches Ende für einen Film über einen Völkermord?

Aber das ist doch genau das, was geschehen ist! Die zwei Kinder waren in einem Flüchtlingslager, im Begriff zu verhungern, und durch einen Zufall wurden sie gefunden. Das war ja überhaupt dasjenige, was mich an der Geschichte so reizte: Die Hauptfigur, ein afrikanischer Held, übermittelt die Botschaft, dass ein guter Mensch über das Böse triumphieren kann, solange er nur den Mut dazu findet. Ich will das Publikum so aus dem Kinosaal entlassen, dass es trotz der Monstrosität der Ereignisse denkt: Ein gewöhnlicher Mensch ist in der Lage, etwas zu ändern.