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Archiv-Artikel

Bundeswehr raus aus Afghanistan?JA

KRIEG In der kommenden Woche entscheidet der Bundestag über das neue Afghanistan-Mandat der Bundeswehr

Hans-Christian Ströbele ist Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen.

Wir brauchen eine Ausstiegsstrategie statt der Leugnung des Krieges oder gar Durchhalteparolen. Die militärische Lage wird Jahr für Jahr dramatisch schlechter. Mit mehr Soldaten und mehr Opfern an Menschenleben verstricken wir uns immer stärker in einen endlosen und sinnlosen Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist. Aufbauarbeit der Bundeswehr in Kundus ist eine Illusion, wenn sie nur in Konvois und Panzern das befestigte Lager verlässt. Auch Nato und Bündnistreue sind keine ausreichenden Gründe für die Beteiligung. Wir dürfen mit dem Abzug aus einem immer sinnloseren Abnutzungskrieg nicht warten bis irgendwann in vielen Jahren. Das ist unverantwortlich gegenüber den Tausenden von Menschen, die bis dahin noch getötet und verletzt werden.

Sven Dittmann war bis 2004 Bundeswehrsoldat. Er hat seinen Beitrag auf taz.de eingestellt.

Das ist ein Konflikt, den wir nicht verstehen werden und schon gar nicht lösen, geschweige gewinnen können. Afghanistan lebt im Mittelalter, und den Weg in die Neuzeit müssen die Afghanen selbst finden, wenn sie es wollen. Die westliche Idee, den Afghanen Demokratie „vorzuleben“, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es lag auch nie an der Zahl der Truppen, mehr Truppen zu früherer Zeit – das hätte bedeutet, früher in die heutige Lage zu geraten. Sicher eine Tragödie, wenn Menschen verhungern, nur: Das zu ändern, ist Sache der Afghanen. Die verdienen Hilfe, wenn sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir mussten auch lernen, uns in die Weltgemeinschaft einzugliedern. Unsere Volksvertreter fordere ich auf: Zieht Helm und Weste an – oder holt unsere Soldaten nach Hause.

Gregor Gysi ist Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“.

Mit Krieg, der höchsten Form des Terrors, kann man Terrorismus nicht wirksam bekämpfen. Die Bundeswehr ist somit Teil des Problems, nicht Teil seiner Lösung. Der Krieg der Nato in Afghanistan hat nicht zu Frieden, sondern zu mehr Gewalt und Terror geführt. Die Zahl der Opfer in der afghanischen Zivilbevölkerung steigt immer weiter an, was Hass und neuen Terrorismus provoziert. Nicht trotz, sondern wegen des erweiterten Militäreinsatzes der beteiligten Nato-Staaten sind die Ziele wie Wiederaufbau, Demokratie und Sicherheit in weite Ferne gerückt. Die Linke hat als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien den Einsatz von Anfang an abgelehnt. Sie fordert eine Verstärkung für den Aufbau ziviler und demokratischer Strukturen in Zusammenarbeit mit demokratischen Organisationen vor Ort.

Jama Maqsudi ist Vorstand des Deutsch-Afghanischen Flüchtlingshilfe-Vereins.

Ein geordneter Rückzug der Nato mit klaren Zeitangaben und Zielformulierungen ist eine Form, mit der alle Seiten zufrieden gestellt werden könnten. Der Rückzug darf aber auf gar keinen Fall überstürzt erfolgen. Die EU ist gut beraten, stattdessen den zivilen Aufbau mit Nachdruck zu forcieren und sich besonders für eine föderale Struktur des Landes einzusetzen, damit die vielen Völker Afghanistan politisch und wirtschaftlich partizipieren können. Das präsidiale System mit seiner zentralistischen Struktur hat gezeigt, dass es eher der Korruption dient als dem Volk.

NEIN

Franz Josef Jung ist seit 2005 Mitglied der Bundesregierung als Minister für Verteidigung.

Wir haben leider in diesen Tagen im Einsatz für den Frieden in Afghanistan schmerzliche Verluste erlitten. Der Stabilisierungseinsatz bleibt im Interesse der Bürger richtig und notwendig. Die Terroristen versuchen, ihr Menschen verachtendes Regime wieder herzustellen. Die Terroranschläge in New York und anderen Teilen der Welt sind von Afghanistan ausgegangen. Wer uns angreift, muss aber wissen, dass er mit aller Härte bekämpft wird. Wir haben schon viel erreicht: Bei 840 Aufbauprojekten in unserem Verantwortungsbereich sehen die Menschen, dass es vorangeht. Wir dürfen nicht zulassen, dass Afghanistan zurückfällt unter die Taliban und diese erneut den Terror in die Welt tragen – damit sorgen wir unmittelbar für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung!

Andrea Fleschenberg dos Ramos Pinéu ist Politikwissenschaftlerin in Hildesheim.

Die internationale Gemeinschaft hat sich 2001 dafür entschieden, Afghanistan beim Aufbau einer stabilen, friedlichen islamischen Demokratie zu unterstützen – ein Projekt von zwanzig Jahren plus. Sicherheit, Infrastruktur und Arbeitsplätze zählen zu den Kernsorgen der afghanischen Bevölkerung, die für den Isaf-Einsatz ist – trotz Kritik an zivilen Opfern. Ein Abzug würde Taliban und al-Qaida das Feld überlassen, den Aufbau torpedieren, progressive Kräfte gefährden und eine bessere Zukunft für AfghanInnen für lange Zeit unmöglich machen.

Britta Petersen ist Afghanistan-Spezialistin, Journalistin und Autorin mehrerer Bücher.

Natürlich muss die Bundeswehr in Afghanistan bleiben. Die Probleme am Hindukusch lassen sich nur durch ein koordiniertes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft lösen – militärisch und zivil. Ein Auseinanderbrechen der Koalition würde Afghanistan in den Bürgerkrieg zurückwerfen und al-Qaida zum Sieg verhelfen. Aber: In Nordafghanistan eingeigelt „auf die Ablösung zu warten“ ist keine Politik, es braucht eine neue Strategie. Um mit Washington auf Augenhöhe reden zu können, muss Berlin definieren, was es in Afghanistan will und wie dies erreicht werden soll. Notwendig ist ein größeres ziviles Engagement, und zwar wirtschaftlich und politisch. Die Unterstützung von Warlords und Kriegsverbrechern muss aufhören – nur dann wird der Westen seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Tom Koenigs war 2006/07 UN-Afghanistan-Beauftragter. Er will als Grüner in den Bundestag.

Wenn Bundeswehr und Isaf Afghanistan verlassen, ohne starke demokratische Staats- und Sicherheitsstrukturen aufgebaut zu haben, wird dasselbe passieren wie 1989: Rivalisierende Mudschaheddin-Warlords werden grausige Massaker anrichten, es wird neue Flüchtlingswellen geben, und die Taliban werden alle Ansätze eines liberalen muslimischen Rechtsstaats ersticken. Auch Pakistan wird in den Strudel gezogen werden. Und was sagen wir dann unseren Freunden, den Aktivisten für Menschenrechte, den Schulkindern, den Frauen, den Demokraten, all jenen also, denen wir Schutz und Entwicklung versprochen haben, die auf uns, die Nato und die Vereinten Nationen gehofft und den Mandaten geglaubt haben? Sind wir dann wieder furchtbar betroffen und sagen wieder NIE WIEDER?