piwik no script img

Archiv-Artikel

SPD an Fischer: Wir können auch anders

Sozialdemokraten fordern, dass der Außenminister die Visa-Affäre rasch bereinigt. Sonst seien auch andere Koalitionen als mit den Grünen möglich, warnt Parteivize Beck. SPD-Innenpolitikerin: „Bei unseren Wählern ist Angst vor Kriminalität viel größer“

SPD-Fraktionsvize Hacker: „Es geht um die Bewertung der gesamten Koalition“

VON LUKAS WALLRAFF

Noch nie haben sich die führenden Politiker der SPD so sehr für einen Landesparteitag der Grünen interessiert wie heute. Gelingt es Außenminister Joschka Fischer mit seiner Rede bei den nordhein-westfälischen Parteifreunden in Köln, die allgemeine Aufregung über den Visamissbrauch wieder etwas zu beruhigen? Diese Frage beschäftigt längst nicht mehr nur die SPD-Wahlkämpfer an Rhein und Ruhr. Inzwischen macht man sich auch in Berlin gewaltig Sorgen. Es gehe bei der möglichen Erleichterung von organisiertem Schleusertum um ein Problem, „das die Befindlichkeit der SPD-Wähler sehr viel stärker trifft als grüne Wähler“, sagte die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), gestern gegenüber der taz. „Bei unseren Leuten ist die Angst viel größer, dass zu wenig gegen Kriminalität getan wird.“ Die Vorwürfe müssten deshalb rasch aufgeklärt werden.

Die Erwartungen der SPD an Fischers Auftritt sind hoch. Der Grüne dürfe „seine Verantwortung nicht relativieren“, forderte der Fraktionsvize der Sozialdemokraten, Hans-Joachim Hacker gestern. Fischer müsse vielmehr „ein uneingeschränktes Bekenntnis“ ablegen, dass er in seinem Verantwortungsbereich alles tue, um die Vorwürfe aufzuklären. Und zwar schnell. „Innerhalb von zwei, drei Wochen müsste es doch möglich sein, die notwendigen Akten zu sichten und die Dinge klarzustellen.“

Im Moment, so Hacker zur taz, gebe es „keine Notwendigkeit, über Alternativen zur Koalition zu diskutieren“. Er fügte jedoch hinzu: „Für die SPD ist die Frage der Visa-Affäre nicht unbedeutend, weil damit am Ende die öffentliche Bewertung der Koalition und der Bundesregierung insgesamt verbunden ist.“

Noch deutlicher drückte sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck aus. Die Botschaft seines gestrigen Bild-Interviews ist unmissverständlich: Wir können auch anders. „Die jüngsten Wahlen zeigen auch, dass es wichtig ist, dem Wähler verschiedene Modelle anzubieten und sich nicht auf Rot-Grün zu versteifen“, ließ der SPD-Vize wissen. Nun könnte man einwenden, es sei nichts Neues, dass Beck als Alternative zu Rot-Grün sein rot-gelbes Mainzer Modell anpreist. Auch der Bremer Henning Scherf weist immer wieder gern darauf hin, wie gut seine Große Koalition mit der CDU funktioniere.

Als er dies zuletzt im Herbst tat, konnte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer Scherfs Empfehlungen noch als „Spinnerei“ abtun. Alarmierend für Fischer und die rot-grüne Koalition ist aber Becks aktuelle Begründung für seine Gedankenspiele.

Zur Visa-Affäre sagte er: „Unsere Wähler finden es nicht in Ordnung, dass Menschen zu uns kommen, die dazu kein Recht haben. Und die dann mit ihnen um die Jobs konkurrieren.“ Damit stieß er ins selbe Horn, in das NRW-SPD-Chef Harald Schartau seit Tagen bläst. Es habe negative Auswirkungen auf die Wähler der SPD, wenn der Eindruck entstehe, „die Regierung lasse in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit massenweise Fremde ins Land, die der Bevölkerung dann als Schwarzarbeiter die Arbeit wegnehmen“, sagte Schartau und warf Fischer vor, er sei bisher „in einer Weise aufgetreten, die alles andere als überzeugend war“. Fragt sich nur, ob die SPD sich heute überzeugen lässt.