: Spiel mit dem tödlichen Gift
STRAHLENDE FRACHT Seit Jahren werden uranhaltige Brennelemente quer durch Hamburg gefahren. Das hat der Senat jetzt erstmals zugegeben – und auch, dass keine effektive Gefahrenprävention existiert
Hamburgs Bedeutung für die internationale Atomindustrie wächst kontinuierlich. In der Antwort des Senats werden alle Atom-Transporte seit Mai 2004 tabellarisch zusammengefasst. Die Daten erklären einiges:
■ Der Anstieg der Transporte 2009 um 55 Prozent geht allein auf Advanced Nuclear Fuel in Lingen im Emsland zurück: Diese Firma meldete 33 der 61 Transporte an. 2008 waren es noch acht gewesen.
■ Von 2005 bis 2008 haben sich die Transporte verdreifacht.
■ In 36 Prozent der Fälle sind deutsche Standorte der Atomindustrie Absender oder Empfänger.
■ Nur bei 21 Transporten waren in diesem Jahr Schiffe beteiligt – in allen Fällen lagerte das Material auf geheimen Umschlagplätzen im Hafen.
■ Auftraggeber sind AKW in Deutschland, Frankreich, Spanien, Holland, Schweden, USA, Russland und Süd-Korea. MJK
VON MART-JAN KNOCHE
Jeden zweiten Tag, irgendwo in Hamburg, fährt ein mit atomaren Brennstoffen beladener Lastwagen auf die Straße. Die meldepflichtigen Transporte bewegen unbestrahlte Brennelemente – Urandioxid und Uranhexafluorid – durch das Stadtgebiet. Spaltbare, radioaktive „Nahrung“ für die Atomkraftwerke also. Auf welchen Straßen sie rollen? Die Öffentlichkeit soll es nicht wissen: Die Routen, antwortete der Hamburger Senat nun auf eine große Anfrage der Linksfraktion, „sind aus Sicherheitsgründen bundesweit als Verschlusssache eingestuft“.
61 Atom-Transporte in 126 Tagen – das ist ein neuer Rekord. Nie fuhr die Atomindustrie in einem vergleichbaren Zeitraum so oft Kernbrennstoffe durch die Hansestadt wie zwischen dem 1. Januar und dem 6. Mai 2009. Um 54 Prozent haben die Transporte im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Diese Daten wurden vor wenigen Tagen veröffentlicht; geliefert haben sie Gesundheits-, Umwelt- und Innenbehörde.
Durch die Anfrage der Linksfraktion landen derartige Atomtransporte nun erstmals auf der Agenda der Bürgerschaft. Immerhin geht es nicht um radioaktive Stoffe für medizinische Zwecke, sondern um Kernbrennstoff- und Großquellentransporte, die das Berliner Bundesamt für Strahlenschutz genehmigt.
Unter Schwarz-Grün, sagt Dora Heyenn, die Fraktionsvorsitzende der Linken, verkomme Hamburg zur Transitstrecke für den Wahnsinn der Atomwirtschaft. Im Übrigen sei die Frage, ob die Transporte auch durch Wohngebiete führen, nicht beantwortet worden. Und die Sicherheitsvorkehrungen bestünden dem Senat zufolge lediglich aus Warnungen und Absperrungen.
Die Linke hatte die Anfrage im Mai gemeinsam mit der Bremer Messstelle Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e. V.) formuliert. Der Verein, der der Anti-AKW-Bewegung zuzurechnen ist, initiierte die Kooperation mit der Linken an der Elbe – und bereitet diese Woche mit der Linken an der Weser eine große Anfrage für den Bremer Senat vor. „Die Bürger sollten wissen, dass es diese Transporte gibt“, sagt Klaus Reiner Rupp, Linke-Fachsprecher für Umwelt und Energie.
Die Hamburger Bürgerschaft indes hat am Mittwoch entschieden, dass sich der Umweltausschuss dem Thema widmen soll. „Dort wollen wir klären, ob die Sicherheit bei den Transporten gewährleistet ist“, sagt Ausschuss-Vorsitzende Jenny Weggen (Grüne). Auch sei zu überlegen, ob man Teile des Hafens entwidmen, also für radioaktive Stoffe vollkommen sperren könne. „Ich gehe aber davon aus, dass die Behörden völlig korrekt arbeiten“, so Weggen.
Doch deren Angaben zur Überwachung der Transporte lassen Fragen offen: „Stichprobenartig“ überprüfe die Gesundheitsbehörde (BSG) die Strahlenwerte von Behälter und Mitarbeitern, heißt es dort. Im Klartext: „Zwei Kernbrennstofftransporte pro Kalenderjahr“, wie ein BSG-Sprecher mitteilte.
Die Polizei bilde für die Überwachung „in Spürtrupplehrgängen Mitarbeiter für Messaufgaben fort“, heißt es zudem in der Senats-Antwort. Ob allerdings jeder einzelne Transport geschützt wird, bleibt unklar.
Fritz Storim, Physiker bei MAUS, warnt vor einem Transport-GAU im Stadtverkehr: „Wenn Uranhexafluorid bei einem Unfall austräte, hätte das katastrophale Folgen.“ Da sei kaum Hilfe möglich, denn der sich verflüchtigende Stoff könne noch in „bis zu 600 Meter Entfernung vom Unfallort tödlich wirken“. Auch der Senat selbst schließe Unfälle ja nicht aus. Tatsächlich antwortet der Senat auf eine Frage nach dem Unfall-Risiko mit radioaktiven Stoffen: „Unfälle mit gefährlichen Gütern können sich jederzeit und nahezu an jedem Ort der Stadt ereignen.“
Uranhexafluorid sei extrem giftig, wenn es sich in Flusssäure verwandle, sagt Rolf Michel, Leiter des Zentrums für Strahlenschutz an der Universität Hannover. „Doch man braucht schon eine starke Explosion und günstiges Wetter, um eine Großräumung hervorzurufen.“ Die Behälter seien für extreme Unfälle konstruiert. Zumindest eine dauerhafte Kontamination von Stadtgebieten durch solche Unfälle hält Michel für „illusorisch“.