: „Man muss mitten im Ton sitzen“
Barbara Buchholz
Vor allem als Bassistin hat sich Barbara Buchholz einen Namen gemacht. In den letzten Jahren hat sie sich zudem zu einer der wenigen Virtuosinnen auf dem Theremin, der Urform der elektronischen Instrumente, weitergebildet. Das Instrument, das berührungslos gespielt wird, wurde vor fast 100 Jahren in Russland erfunden. Schon als Kind hat Buchholz die Tage vor dem Radio verbracht und auf echten und selbst erfundenen Instrumenten alles mitgespielt, was sie hörte. Diese Offenheit dem Ungewöhnlichen gegenüber hat die heute 45-Jährige nicht nur zum Theremin geführt, sondern auch zu einer Kosmopolitin gemacht. Egal wo sie hinfährt, ein Instrument hat sie immer dabei.
INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Buchholz, Sie spielen ein Theremin Vox. Was ist das?
Barbara Buchholz: Es ist das einzige Instrument, das berührungslos gespielt wird. Vom Charakter her wird es oft mit der singenden Säge verglichen. Es hat zwei Antennen, um die sich Magnetfelder bilden. Die rechte Antenne ist für die Tonhöhe zuständig. Wenn ich meine Hand darauf zu bewege, wird der Ton höher und zwar stufenlos. Ein ewiges Glissando. Mit der linken Antenne kann man die Lautstärke kontrollieren. Je näher ich ran gehe, desto leiser. Man kann alles darauf spielen, was für eine Geige, eine Flöte komponiert ist. Es ist einfach ein Melodieinstrument.
Wie muss man sich das technisch vorstellen?
Im Theremin sind zwei Oszillatoren, die Hochfrequenzen erzeugen. Die Differenz der beiden ist das, was man hört. Der eine Oszillator ist verstimmbar, der andere ist fest. Wenn ich mit der rechten Hand in das Feld der Tonhöhenantenne gehe, verstimme ich gewissermaßen den verstimmbaren Oszillator und das ist im Prinzip das, was am Ende als Ton zu hören ist.
Wie sind Sie zu dem doch recht ausgefallenen Instrument gekommen?
Anfang der 90er-Jahre habe ich in Hamburg „Alice“ gesehen, eine Produktion von Tom Waits und Robert Wilson. Da hat Lydia Kavina, die Großnichte von Lev Thermen, der das Instrument erfunden hat, so eines gespielt. Das hat sich in mir eingebrannt. Ich hab mich in das Instrument verliebt, wollte das auch spielen.
Thermen hat das Instrument vor fast 100 Jahren in Russland entwickelt.
Er war Physiker und Cellist. Er wollte die Dichte von Gasen messen und hat rausgefunden, dass das von Tönen begleitet ist. Damit hat er experimentiert. Das Theremin war sein liebstes Kind.
Eine revolutionäre Erfindung?
Klar. Lenin ist drauf abgefahren. Er hat Thermen mit dem Instrument in die USA geschickt, damit er dort die Überlegenheit Russlands in der Technologie präsentiere. Thermen war auch immer in Spionageaffären verwickelt.
Wie überlegen war die Technik?
Sachen, die sich erst in den 80er-Jahren etabliert haben, wie Bewegungsmelder oder Türen, die sich öffnen, wenn man davor steht, daran hat er schon in den 20er-Jahren herumexperimentiert. Auch an der Entwicklung von Wanzen und dem Fernseher, der gleich zur Überwachung benutzt wurde, war Thermen beteiligt. In der Bevölkerung war der Boden aber noch nicht bereitet für solche Techniken. Die Leute waren mehr damit beschäftigt, sich die mechanischen Maschinen anzueignen, sie zu bedienen, Hebel zu ziehen, Knöpfe zu drücken. Dass das alles auch berührungslos funktioniert, kam damals gar nicht an.
In der Kunst jener Zeit gab es aber eine große Technikbegeisterung.
Sicher. Das Theremin mit seinen siebeneinhalb Oktaven war eine Riesensensation. Es gab Tourneen in Europa, in den USA, auch in Berlin.
Was bedeutet es für Sie, ein Instrument zu spielen, mit dem Sie keinen körperlichen Kontakt haben?
Es wirkt so schön, so leicht, elegant. Das macht die Magie aus. Eine fast poetische Spielweise ist es. Man hebt einfach den linken Arm und kriegt einen ganz lauten Ton. Man stimmt das Theremin, bevor man es spielt. Man stellt den tiefsten Ton auf ungefähr eine Armlänge von sich ein. Ich könnte ihn auch hinter mich legen. Das ist aber unbequem. Man kann übrigens nur übers Ohr und die Intuition stimmen.
Sind die Bewegungen aufs Instrument abgestimmt oder eingeschränkt?
Das kommt darauf an, was ich spielen will. Wenn ich präzise Melodien spielen will, dann bedeutet die kleinste Bewegung eines Fingers möglicherweise schon einen halben Ton.
Wissen Sie im Voraus, welche Bewegung welchen Ton erzeugt?
Das muss man wissen. Man muss in sich schon hören, was man gleich spielen will. Das Thereminspielen ist ähnlich wie Singen mit der inneren Stimme.
Die Musik ist erst im Kopf da?
Genau. Das ist beim Singen auch so. Dort nur viel intuitiver. Wenn man ein Lied nicht kennt, kann man es nicht singen. Wenn man „Der Mond ist aufgegangen“ singt, hat man die Melodie schon vorher im Kopf, und so ist es beim Theremin auch. Es geht alles nur schneller.
Können Sie die Noten genau treffen, oder spielt man auf dem Theremin sowas wie Ungefährmusik?
Man spielt absolut präzise.
Unvorstellbar, dass es keine Unwägbarkeiten gibt.
Weil das Instrument lange vergessen war, wurde die Technik nicht überliefert. Nur wenige konnten es spielen. Als das Instrument mit Perestroika und Glasnost wieder zugänglich war und ab Mitte der 90er-Jahre auch wieder gebaut wurde, haben das viele Leute als zeitgemäßes Instrument für sich entdeckt. Weil sie das Instrument aber nur nach Büchern oder Videos lernen, nutzen sie es vor allem für Performances.
Sie meinen, dass doch sehr viel Ungefährmusik darauf gespielt wird?
Klar, man kann ja wunderbar damit improvisieren, auch fantastische Effekte zaubern. Aber Effekte nutzen sich schnell ab. Weltweit gibt es nach wie vor nur wenige professionelle Thereminvirtuosen. Als besonders ausdrucksstarke Kolleginnen schätze ich neben Lydia Kavina die Amerikanerin Pamelia Kurstin, aus Holland Wilco Botermans und Masami Takeuchi aus Japan. Alle machen ganz eigene Sachen damit. Von E-Musik über Jazz bis zu abstrakter Musik. Ich wiederum versuche die Klangmöglichkeiten des Theremin in die zeitgenössische Musik einzubeziehen.
Ist es für Sie wichtig, ein modernes Instrument auch in eine moderne Zeit zu bringen?
Mich fasziniert, dass es ein elektronisches Instrument ist, das die Lebendigkeit einer menschlichen Stimme und einen lebendigen menschlichen Ausdruck hat. Das gibt es sonst in der Elektronik nirgendwo. Man drückt meist irgendwo einen Knopf und dann kommt ein Klang raus.
Sie dagegen machen mit dem Theremin unsichtbare Musik sichtbar?
Das geht immer zusammen. Ich bewege mich auf dem Grat zwischen Menschlichkeit und Elektronik.
Spiegelt das Entwicklungen in unserer Gesellschaft?
Ich finde schon. Heute gibt es so ein Bedürfnis nach einer emotionalen Technologie.
Was soll das sein?
Das bedeutet, dass der Umgang mit Technik eine lebendige Ausdrucksform bekommt. Die letzten 50 Jahre war man sehr damit beschäftigt, die Technologie überhaupt zu verstehen, zu entwickeln und ihr das Feld zu überlassen. Selbst in der Musik. Man hat Zufallsprogramme geschrieben und Computer auch komponieren lassen. Bei Performances sah man oft große Computerburgen und dahinter einen kleinen Kopf. Es war nicht mehr klar, wer für die Musik verantwortlich ist und wo sie herkommt. Aber gerade jetzt erlebe ich auf verschiedenen Ebenen, dass die andere Seite wieder zum Zug kommen will. Wo ist hier der Mensch? Wo ist der Ausdruck? Wo ist die Verantwortung? Wo ist jemand, der für das steht, was da erklingt?
Verantwortung ist das Stichwort.
Ich finde das Theremin steht für diese neuen Fragen, weil es das alles in sich vereint. Eine Maschine muss funktionieren – es ist ja eine Maschine. In der Verbindung von Mensch und Maschine muss das Produkt aber nicht mehr perfekt sein. Es muss vom Menschen zu gestalten sein. Mir geht es um diese Art von Lebendigkeit.
Eigentlich sind sie Bassistin. Waren dunkle Töne Ihre erste Liebe, bevor Sie sich dem Theremin verschrieben?
Ich hab zuerst Querflöte gespielt und auch viel gesungen. Es gab verschiedene Phasen in meinem Leben, wo ich das eine oder andere bevorzugt habe. Die Phase mit dem Bass war die längste.
Wie lange dauerte sie?
Zwanzig Jahren. Ich spiele ihn ja immer noch. Zu jedem Instrument hat man eine körperliche Beziehung. Die einen hauen auf was drauf, die anderen greifen in was rein, wieder andere stecken sich was in den Mund. Wie Querflöte etwa. Aber das hat meiner Körperlichkeit nicht richtig entsprochen. Beim Bass ist man geerdet, man schlägt da so Wurzeln. Das ist sehr angenehm.
Und wie ist es beim Theremin?
Ich musste mir keine Haltung aneignen. Ich empfinde das als meine Stimme, die auf anderen Wegen rauskommt. Es ist natürlich eine Geschmacksfrage, welcher Klang und welche Körperlicherkeit einem gefällt.
Der metallische, sägende Klang gefällt Ihnen?
Ja, sehr. Ich kann stundenlang üben und bin dabei der glücklichste Mensch. Ich beherrsche es so gut, weil ich es eine Zeit lang Tag und Nacht gespielt habe. Ich empfinde den Klang als sehr tröstlich, sehr warm, sehr inspirierend. Deshalb denk ich da gar nicht weiter nach. Das war eben Liebe auf den ersten Blick.
Und weil Sie so verliebt waren, sind Sie ihm hinterhergereist?
Sie kennen das vielleicht: Sie wünschen sich etwas, und plötzlich fügt sich alles. Ich habe Lydia Kavina durch Zufall kennen gelernt in Berlin. Thermen, ihr Onkel, hat ihr das Instrument selbst noch beigebracht. Er ist erst 1993 mit 97 Jahren gestorben. Immer wenn Kavina in Deutschland war, habe ich Unterricht bei ihr genommen. Nach kurzer Zeit war abzusehen, dass das nicht reicht. Dann bin ich eben nach Moskau gefahren.
Wie war Moskau?
Es gibt dort keine Zwischentöne. Der Kontakt zu den Menschen war das Entscheidende.
Hart – weich, fremd – vertraut, kalt –heiß. Solche Brüche haben Sie in Ihrer neuen CD „russiawithlove“ verarbeitet. Der Titel klingt fast wie eine slawische Namenskreation: Raschawislav.
Es geht mir bei meiner Musik um die Stimme des Menschen versus der Stimme der Maschine.
Was möchten Sie mit dem Theremin erreichen?
Ich finde das zukunftweisend in dieser Art mit Technik umzugehen. Gleichzeitig liebe ich die Spielweise, die so sehr über das Hören und die Intuition geht. Man braucht dafür eine große Konzentration, man muss im Instrument versinken. Wenn man Fingersätze beim Bass oder der Gitarre übt, passiert es schnell, dass sich das verselbständigt. Die Finger lernen einzelne Griffbilder, die kann man verschieben, transponieren. Das ist beim Theremin niemals der Fall. Man muss immer mittendrin sitzen im Ton und sobald die Gedanken spazieren gehen, ist man draußen. Diese Konzentration, das ist für mich was Besonderes.
Sie reden darüber, als wäre es Liebe, Zärtlichkeit.
Man muss natürlich wissen, dass jeder Musiker eine besondere Beziehung zu seinem Instrument und auch zum Üben hat. Üben ist eine lebensnotwendige Angelegenheit. Wenn man mehrere Tage nicht übt, kommt man aus seiner Mitte raus. Üben erdet. Es ist wie Meditation.