Verflüssigte Frauenbewegung

Zehn Jahre nach der Frauenkonferenz von Peking steht die Genderdebatte vor dem Ende. Eine neue Mobilisierung ist nicht in Sicht, weil die Konzepte gescheitert sind

Die Frauenbewegung ist schwächlich und angepasst, entpolitisiert und entradikalisiertFrauen sind nicht qua Geschlecht friedfertig, gewaltfreiund fürsorglich

Zehn Jahre nach der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking – und kein Bock auf Feiern. Zwar zieht in New York die Frauenrechtskommission Bilanz über die Umsetzung der Beschlüsse von Peking und überlegt, wie es perspektivisch weitergehen kann mit Frauenrechten und Geschlechtergleichheit. Doch das Thema ist auf den internationalen wie auf nationalen Tagesordnungen aufs Abstellgleis geraten. Die Regierungen signalisieren schlappes Interesse, eine Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit und von Frauenorganisationen, wie sie 1995 erfolgte, scheint heute nicht denkbar.

Was ist mit dem emanzipatorischen Drive von Peking geschehen? Ist 30 Jahre nach der 1. Weltfrauenkonferenz in Mexiko die Luft raus aus dem Projekt, die Vereinten Nationen als Anwälte von Frauenrechten zu mobilisieren, auf dass sie von oben, von der internationalen Politikebene her, Druck auf nationale Politiken zur Gleichstellung machen sollten?

Die 3. Weltfrauenkonferenz 1995 in Nairobi hatte lokal und transnational einen Mobilisierungsschub ausgelöst, zur Gründung von Frauennetzwerken geführt und lokale Frauengruppen mit ihren vielfältigen Ansätzen und Aktivitäten beflügelt.

Der Schwung von Peking setzte sich dagegen in einen Institutionalisierungsschub um: Überall wird gegendert und gemainstreamt, Gesetzesreformen sind auf den Weg gebracht, Frauennetzwerke partizipieren an runden Tischen, die UN haben in ihrer Resolution 1325 modellhaft festgelegt, dass Frauen an allen Maßnahmen zu Konfliktprävention und -beilegung beteiligt sein sollen. Das sind beachtliche Erfolge auf dem Weg zu zwei Zielen der Geschlechtergleichheit: Sichtbarkeit und Partizipation von Frauen.

Diane Elson, für die UN tätige britische Politikwissenschaftlerin, resümiert, dass die Geschlechterfrage aus der Unsichtbarkeit der Privatsphäre herausgeholt wurde und dass immer mehr Frauen in öffentlichen Räumen präsent sind, in der Erwerbsarbeit, in der Politik, in Institutionen und Medien. Aber, so fügt Elson postwendend hinzu, „nicht da, wo die politische und wirtschaftliche Macht ist“. Teilhabe bedeutet noch nicht auch Umverteilung, von Ressourcen, Wohlstand, Macht.

Beispiel: Politik. In Peking wurde die neue südafrikanische Verfassung und 30 Prozent Frauenbeteiligung im Parlament als leuchtendes Beispiel für den wachsenden politischen Einfluss von Frauen gefeiert. Jetzt wirft die Aktivistin Mohau Pheko den Parlamentarierinnen Kooptation in den politische Machtstrukturen und Verrat vor, weil sie die Militarisierungs- und Privatisierungspolitik der Regierung unterstützten. Die südafrikanischen Frauenbewegungen, so Pheko weiter, sind allerdings mitverantwortlich für diese Entwicklung: Sie sind schwächlich und angepasst, entpolitisiert und entradikalisiert.

In dieser Selbstkritik schimmert durch, dass einige Konzepte und Strategien von Frauenorganisationen nicht aufgegangen sind. Stereotypen, die rund um das weibliche Wesen gestrickt wurden, erwiesen sich als unhaltbar: Frauen sind nicht qua Geschlecht friedfertig, gewaltfrei und fürsorglich, weniger konkurrent und weniger machtverliebt als Männer. Lange galt die „kritische Masse“ als Zauberrezeptur: Würden Frauen ein Drittel in Parlamenten, Gremien, Institutionen stellen, dann könnten sie Inhalte und Strukturen verändern. Doch diese erhoffte Wende ist nicht nur in Südafrika ausgeblieben.

Themen und Forderungen von Frauen-NGOs und Regierungen haben sich angenähert, ja sind oft ununterscheidbar. Von einer autonomen Agenda der NGOs ist nicht mehr die Rede. Die Konsensbrücke zwischen den Lagern ist das Gender Mainstreaming. Diese zentrale strategische Botschaft von Peking, nämlich Geschlechterpolitik raus aus der Frauen- und Opferecke und rein in alle politischen Ressorts zu befördern, war überfällig.

Gleichwohl führt sie zu einem verfahrenstechnischen Tunnelblick auf Geschlechtergleichheit, der mit den Transformationszielen, mit denen Altfeministinnen aufgebrochen sind, wenig gemeinsam hat. Sie wollten nämlich gar nicht im Mainstream der Verhältnisse gleichberechtigt mitschwimmen, sondern die Weichen von Macht und Verteilung umstellen. Das Instrument des Gender Mainstreaming hat bislang bestenfalls integrativ gewirkt. Die Machtfrage vermochte es jedoch nicht zu stellen, sondern wird häufig als Alibi missbraucht, um Frauenförderung und Frauenforschung abzubauen oder autonome Frauenprojekte aus Spargründen einzustampfen. Derweil sind Frauenbewegungen in vielen Ländern in die politische Bedeutungslosigkeit abgetaucht. Teile professionalisierten sich und verschwanden in den Mühlen der Institutionen, andere Teile fragmentierten in immer mehr partikulare Interessengruppen.

Die alte strategische Identitätspolitik der „Verschwisterung“ auf der Basis des weiblichen Geschlechts, die auf internationaler wie nationaler Ebene höchst schlagkräftig und wirkungsvoll war, ist in viele differente Identitätspolitiken zerbröselt. Klammern und gemeinsame Nenner lösen sich zunehmend auf. Das schwesterliche Kollektiv von „Wir Frauen“ oder „Wir Feministinnen“ erweist sich als imaginierte Gemeinschaft, als politischer Heißluftballon, der auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt ist. Für viele Frauen ist jetzt die Zugehörigkeit zu anderen Identitätsgemeinschaften wie sexuelle Orientierung, soziale Klasse, Religion, Kultur, ethnische Herkunft oder Alter wichtiger als die soziale und biologische Kategorie Geschlecht.

In den Ländern des Nordens ist für junge Frauen der Feminismus abgefrühstückt. Die Landgewinne durch drei Jahrzehnte Frauenrechtspolitik von oben und feministische Kämpfe von unten ermöglichen ihnen ein Selbstbewusstsein und Lebenschancen, von denen ihre Großmütter nur träumten. Dies erzeugt aber vertrackterweise auch die Illusion, dass Diskriminierungs- und Gewaltstrukturen mit ein bisschen individueller Anstrengung zu meistern und kollektive Kämpfe für Rechte nicht mehr vonnöten sind.

Das aber stellt sich nicht nur für die Frauen anders dar, die ihr Leben unter den Bedingungen von Hartz IV, Minijobs und fehlender Kinderbetreuung organisieren müssen. Auch die Aktivistinnen, die sich bei den Vereinten Nationen in die Wort- und Papierschlachten werfen, stehen mit dem Rücken zur Wand. Das neokonservative Rollback stellt Frauenrechte erneut grundsätzlich in Frage, wirtschaftliche und soziale Rechte von Frauen werden ohne viel Federlesen der Turboglobalisierung und Standortkonkurrenz geopfert, trotz neuer Gesetze zum Schutz vor Gewalt nimmt der Frauenhandel zu.

Wenn Frauenbewegungen darauf eine Antwort geben wollen, müssen sie sich neu aufstellen, Themen repolitisieren, lokal und global neue Handlungsformen, Strategien und Instrumente entwickeln, aber auch gemeinsame Nenner und Bündnispartner neu identifizieren. CHRISTA WICHTERICH