: Das Gebühren-Gespenst geht um
VON ANNA LEHMANN
Ein Gespenst geht um an den Hochschulen. Ein Gespenst mit einem grauen Namen: Studiengebühren. Es spaltet die Gesellschaft in zwei Lager: Die einen fürchten es und zittern um das öffentliche Gut Bildung. Die anderen erwarten magische Auswirkungen für die darbenden, weil überbevölkerten und unterfinanzierten Universitäten.
Die Gebührengegner bewegen sich zumeist im Umfeld der Universitäten, die Befürworter stammen tendenziell aus Bereichen, wo hart kalkuliert wird, wie Wirtschaft und Finanzpolitik. Im Lager der Gebührengegner sammeln sich Bildungspolitiker des linken Parteienspektrum, so der rheinländ-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) und sein Kollege Thomas Flierl (PDS) aus Berlin sowie einzelne Rektoren, wie der Leipziger Franz Häuser. Sie zweifeln am ökonomischen Nutzen von Studiengebühren. Links überholt werden sie von Vertretern der studentischen Selbstverwaltung. Sprecher der Studentenausschüsse (Asta) und -räte (Stura) verteidigen die kostenlose Hochschulbildung, weil Bildung prinzipiell nicht als Ware gehandelt werden soll. Sie lehnen Gebühren ab und drohen mit der Lahmlegung ganzer Universitäten, um die kostenlose Hochschulbildung zu verteidigen. Entschlossenheit, in der auch Tragik liegt.
Denn die Gebührenbefürworter scheren sich kaum um die Hüter des Bildungsideals. Um den Gebührengeist in die Uni zu bringen, klopfen sie nicht an die Pforten der Studierendenschaften, sondern gehen andere Wege, zuletzt über das Bundesverfassungsgericht. So drohen die hartnäckigsten Verteidiger des öffentlichen Gutes Bildung in voller Rüstung unterzugehen.
Während im studentischen Referat für Hochschulpolitik jeder Gedanke an Gebühren konsequent verscheucht wird, basteln Angestellte in den Landtagen längst an anders lautenden Haushaltsplänen. Die Finanzminister der Länder gehören in der Mehrzahl zum gebührenfreundlichen Lager, doch geht es ihnen ressortbedingt weniger um das Wohl der Hochschulen als um jenes der von ihnen verwalteten Kassen. Sie kalkulieren: Wenn die Studierenden ihre Seminare zum Teil selbst bezahlten, könnte ein Teil des Geldes in staatliche Kassen gelenkt oder öffentliche Zuschüsse im Gegenzug gekürzt werden. Dass dies mehr als eine böse Unterstellung ist, zeigt eine Studie des Zentrums für Berufs- und Hochschulforschung der Universität Kassel: In vielen europäischen Ländern sanken die öffentlichen Ausgaben je Studienplatz, kaum dass Gebühren eingeführt worden waren.
Aus diesem Grund reiht sich auch die taz in die Linie der Gegner ein und ist prinzipiell gegen Hörgeld. Gleichzeitig hat sie jedoch Erfahrung im Existenzkampf und ist Anhängerin der Taktik: Angriff ist die beste Verteidigung. Deshalb hat die taz einen Zug vor die Verteidigungslinien gemacht und übt sich im praktischen Marxismus: der Negation der Negation. Das heißt: Die taz verneint eine absolute Verneinung von Gebühren und schlägt stattdessen das Modell der selbst verwalteten Gebühren vor. Damit sollen die Studierenden aus der Defensive heraus in die Offensive kommen. Die taz-Strategie sieht vor, dass Gebühren ruhig eingeführt werden sollen. Allerdings nur unter einer Bedingung: Das Geld und damit die Macht geht an die Studierendenräte und Ausschüsse.
Der Vorschlag brachte Bewegung in die Fronten. Die Studierenden schwenkten um, der Feind war nicht mehr der bayrische Kultusminister Thomas Goppel (CSU) und seine CDU-Kollegen wie etwa Peter Frankenberg aus Rheinland-Pfalz, sondern die taz. Zahlreiche entrüstete Leserbriefe erreichten die Redaktion.
Die taz will die Vorwürfe nicht unerwidert lassen und eigene Thesen entgegensetzen:
„Studiengebühren treffen immer die sozial schlechter Situierten, ob sie nun an das Finanzministerium fließen oder von den Studis selbst verwaltet werden.“ (Leserbrief v. 26. 1. 05)
Studiengebühren sind ungerecht? Im Gegenteil, sie führen zu mehr Gerechtigkeit:
Ungerecht ist, dass sich an den Hochschulen das Bildungsbürgertum trifft, während nur jeder zehnte Student ein Arbeiterkind ist. Arbeiter machen aber ein Drittel der Bevölkerung aus, ihre Kinder sind an den Unis unterrepräsentiert. Aber sie werden über die allgemeinen Steuern zur Finanzierung der Unis herangezogen, denn Hochschulbildung wird vom Staat getragen. Statt also die Kassiererin für das Studium des Arztsohnes aufkommen zu lassen, sollte der Arztpapi dieses privat auslegen.
Gebühren können die Ungerechtigkeit korrigieren helfen, wenn damit sozial Benachteiligte gefördert werden. Nach dem taz-Modell würde ein Drittel der Studierenden von Gebühren befreit werden – das entspräche in etwa dem Bevölkerungsanteil, an dem der Genuss höhere Bildung bislang vorbeigeht. Die Verantwortung dafür, niemanden aus monetären Gründen vom Studium auszuschließen, läge nach taz-Vorstellung in den Händen der Studierenden.
„Spätestens wenn man sich klar macht, dass sämtliche Gebührenmodelle von dem Gutdünken der jeweiligen Landesfürsten abhängig sind, dürfte die studentische Skepsis gegenüber etwaigen Gebühren nachvollziehbarer werden.“ (Leserbrief v. 26. 1. 05)
Studiengebühren verschwinden im Schuldenloch? Da hilft nur eins – Kontrolle:
Wenn die Studierenden die Kontrolle über sie hätten, dann würden sie das Geld besser als jeder Wissenschaftsminister gegen gebührenlüsterne Finanzminister verteidigen. Die Studierenden sorgen auch dafür, dass Gebühren nicht nach jeder Haushaltsdebatte erhöht werden. Was aber, wenn die Finanzminister, den Hochschulen weniger Geld zubilligen? Gegen diesen Gefahr möchte die taz die Hochschulen mit Verträgen wappnen. Hochschulen und Landesregierungen einigen sich in Staatsverträgen auf ein festes Budget. Eine Garantie gegen Vertragsbruch gibt es leider wie überall im Leben nicht.
„Eine Einführung von Studiengebühren würde dazu führen, dass die Studenten dem Druck ausgesetzt werden, noch schneller zu studieren und sich deshalb nicht mit hochschulpolitischen Zusammenhängen befassen werden.“ (Leserbrief v. 26.01.05)
Studiengebühren produzieren nur unpolitische Streber? Im Gegenteil – das Interesse an Hochschulpolitik wird steigen: Die Studierendenvertretungen werden als Klüngelhaufen wahrgenommen – behauptet auch Studierendenvertreter Heiner Fechner. Wenn sie ernsthafte Rechte bekämen, würden sie auch ernst genommen. Das taz-Modell birgt eine Chance: Es kann Stimulans für die darniederliegende studentische Selbstverwaltung sein. Denn die Studierenden müssten darüber diskutieren, wie ihr Geld eingesetzt wird. Welche Institute erhalten wie viel Geld? Welche Tutoren und Professoren sollen hier arbeiten? Welche Projekte sollen angeschoben werden. Dahinter verbergen sich Fragen nach dem Sinn und Zweck des Studiums, nach der Funktion der Hochschulen. Unis sind längst keine heiligen Hallen kritischer Bewusstseinswerdung mehr, sondern zugleich Aufenthaltsraum für Jungakademiker, Abschiebelager für potenzielle Arbeitslose und Sprungbrett für Karrieren. Wenn die Studierenden die Möglichkeit bekämen, sich ihre Uni selbst einzurichten, dann könnte sich auch wieder ein Zentrum studentischen Lebens und gesellschaftlichen Diskurses werden.
„Die Skepsis vieler Studenten gegenüber zusätzlichen Studienkosten liegt in deren Lebenswirklichkeit begründet.“ (4. 2. 05)
Studiengebühren sind nicht zumutbar? Nein, jeder kann studieren – trotz Gebühren:
Heute arbeiten etwa zwei Drittel der Studierenden neben dem Studium – trotz Gebührenfreiheit. Deshalb muss die Studienfinanzierung mit oder ohne Gebühren auf andere Füße gestellt werden. Das taz-Modell sieht Darlehen für Lebenshaltungskosten und Gebühren vor. Diese werden nach dem Studium einkommensabhängig zurückgezahlt. So ist per se niemand ausgeschlossen. Die Furcht vor Schuldenbergen und deren Abschreckungseffekte sind trotzdem ernst zu nehmen. Deshalb sollten die Gebührenapologeten aus der Wirtschaft einen Schritt auf die Studierenden zugehen und konsequent ein Stipendiennetz knüpfen.