: Die verschobenen Flüchtlingsmillionen
Die Kommunen können jetzt die Millionen vom Land zurückholen, die sie jahrelang zu Unrecht für ausreisepflichtige Flüchtlinge zahlten. Das Geld wird ihnen an anderer Stelle wieder abgenommen, kritisiert der Städtebund NRW
RUHR taz ■ Die Stadt Essen rechnet mit fast fünf Millionen Euro. „Schließlich haben wir jahrelang den Lebensunterhalt von Flüchtlingen aus dem Kosovo finanziert, die auf ausdrücklichem Wunsch des Innenministeriums hier sind“, sagt Stadtsprecher Stefan Schulze. „Dass diese Unterbringungskosten jetzt in die leeren Stadtkassen zurückfließen, ist nur gerecht.“
Diese Gerechtigkeit ist allerdings nur eine scheinbare, klagt der nordrhein-westfälische Städte- und Gemeindebund. „Durch einen Buchungstrick wird den Kommunen das Geld an anderer Stelle weggenommen“, sagt Städtebund-Sprecher Martin Lehrer. „Da wird auf eine unglaublich dreiste Art und Weise ein Gerichtsurteil unterlaufen.“
Wenn das Land eine Aufgabe an die Kommunen delegiert, muss es dafür auch die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stellen – so lautet das Konnexitätsprinzip in der NRW-Landesverfassung.
Von März 2000 bis Ende 2004 hatte das Innenministerium Minderheiten wie Serben oder Roma von der Abschiebung in den Kosovo verschont, da sie in ihrer Heimat akut mit Verfolgung rechnen müssten.
Deren Lebensunterhalt zahlten jedoch – wenn die Migrantinnen und Migranten ihn nicht selber finanzieren konnten – die Sozialämter der Städte und Gemeinden. Ein klarer Verstoß gegen die Verfassungsmaxime, stellte das Oberverwaltungsgericht Münster bereits im Oktober vergangenen Jahres fest und verurteilte die Landesregierung zur Rückzahlung. „Da kommen insgesamt rund 62 Millionen Euro zusammen, die das Land den Städten schuldet“, sagt Martin Lehrer.
Seit Freitag liegen die Rückerstattungsanträge auf den Schreibtischen der Sozialämter. „Natürlich beugen wir uns dem Gerichtsurteil und zahlen den Städten unsere Schulden zurück“, sagt Angelika Flader, Sprecherin im Innenministerium. „Es sind sowieso in den letzten Jahren 58.000 Euro aus dem Bereich übrig geblieben, die wir jetzt dafür verwenden können.“
Eine Aussage, die beim Städte- und Gemeindebund für Empörung sorgt. „Diese 58.000 Euro gehören den Kommunen“, sagt Lehrer. „Das Land muss seine Schulden aus dem Landeshaushalt bezahlen, so ist das ein billiger Buchungstrick.“
Tatsächlich ist der strittige Betrag Teil der Schlüsselzuweisung, die die Städte und Gemeinden jedes Jahr von der Landesregierung erhalten. Bis Ende vergangenen Jahres wurden die Mittel für Flüchtlinge den Städten zweckgebunden zugeteilt. Und da die Zahl der Flüchtlinge seit einigen Jahren sinkt, wurde das Geld nicht vollständig abgerufen. „Diese Reste verschwanden dann offenbar stillschweigend im Landeshaushalt“, sagt Martin Lehrer. „Gerechterweise müsste dieses Geld doch in den Kommunen bleiben: Für die ist es ursprünglich bestimmt gewesen und die haben sowieso chronische Geldprobleme.“ Dass jetzt Landesschulden mit kommunalen Geld beglichen würden, sei unerträglich. „Das muss schleunigst aus der Welt geschafft werden.“
In Dortmund werden unterdessen fleißig Akten sortiert. „Diese Millionenbeträge lassen wir uns nicht entgehen“, sagt Peter Externbrink vom städtischen Sozialamt. Für die rund 1.200 Flüchtlinge aus der betroffenen Region kommt für etwa 300 eine Rückerstattung in Frage. MIRIAM BUNJES