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Archiv-Artikel

DIE GRIPPEWELLE IST ANGEKOMMEN Vom Pandabären zum Chamäleon: Metamorphosen im Fieberwahn

Es hat mich erwischt. Aus der Luft flog es mir zu. Wie ein Staubkorn. Wie eine Invasion der Staubkörner. Sie setzten sich in die Nase, in die Bronchien, in die Schleimhäute, in die Knochen, in den Schädel. Ins Auge auch. Dort spüre ich es als Dreck, will es rausreiben – vergeblich, halte das Auge unters Wasser – vergeblich, es juckt weiter, dann brennt es, dann fühlt es sich fremd an.

Der Blick in den Spiegel bestätigt das Fremde. Wie ein Pandabär sähe ich aus, sagt die Mitbewohnerin, die die Szene beobachtet. Ein bisschen derangiert dazu.

Kurz danach weigert sich sogar die Ärztin, mir die Hand zu geben, und verordnet Bettruhe. Das ist auch besser so, denn zwischenzeitlich haben die Staubkörner in den anderen Schleimhäuten Früchte getragen. Dazu noch die in den Knochen. Auf denen lastet ein zentnerschweres Gewicht. Sie werden in den Boden gedrückt, aufgefangen nur durch die Matratze.

Wie ein einäugige Katze starre ich die Wände an. Sie starren zurück. Da fängt es sich im Kopf an zu drehen, nennt sich Luftschleuder und Karussell und Ringelspiel. Nein, Ringelspiel ist nur was für die Kleinen, lieber Achterbahn und Geisterbahn und Riesenrad. Ein Kirmeserlebnis bahnt sich an, ganz ohne mein Zutun.

Als Lose, die sich erst in der Nachbetrachtung nicht als Nieten herausstellen, trudeln endlich die Ratschläge ein: Für die Augen: Tropfen. Für den Husten: Saft – selbst gemacht aus Zwiebeln, Kandiszucker und Salbei. Für die Halsschmerzen: Umschläge. Für das Fieber: nichts. Nicht zu vergessen: inhalieren. „Retterspitz“ soll übrigens auch helfen. Das versteht selbst eine wie ich. Was soll „Retterspitz“ denn sonst?

Als das rechte Auge sich an die Schwellung gewöhnt hat, beginnt das linke zu jucken. Nahtlos metamorphosiert der Körper vom Pandabären zum Chamäleon. Gesunde beobachten dies mit einer Mischung aus Schadenfreude und Mitgefühl. Immerhin, bei Gehversuchen hüllt mich meine Mitbewohnerin in ihren Bademantel, da ich keinen besitze.

„Trinkst du auch genug?“ fragt eine freundliche Stimme am Telefon. Sie dringt von außen ins Zimmer, bringt die Unruhe, die hier im Gleichgewicht ist, durcheinander. Es sind immer die Stimmen von außen, die einem zu schaffen machen. Mitfühlend umsorgte und still belächelte Kranke trinken nie genug. Mir werden unablässig Tees gereicht. Sie tragen Namen wie „Gute Laune“ oder „Tanztee“, „Liebestee“ und „Gute Nacht“. Angesichts meines Aussehens wird mir bevorzugt allerdings die Sorte „Weiter Blick“ gereicht. Ich nicke dankbar, trinke, schließe meine Augen, und als ich sie wieder öffne, dringt die orangefarbene Kiste links vom Bett in meinen Fokus.

In der Kiste sind Strümpfe und Strumpfhosen. Ganze, gestopfte und viele mit Löchern. „Die müsste auch mal aufgeräumt werden“, denkt es in mir. „Der Deckel passt nicht mal mehr drauf“, beobachtet es anklagend weiter. „Und die Strümpfe mit Löchern, die müssen weg“, ruft die mahnende Stimme in meinem Kopf, als könne der geweitete Blick mühelos die Kistenwand durchdringen.

Plötzlich bleiben die Gedanken hängen. Ein Defekt wie bei einer kaputten CD hat sich eingeschlichen. Denn in der Kiste – und daran erinnert es sich in mir sehr genau – liegt zudem der einzelne blaue Skihandschuh. Der zweite fehlt. Aber es gibt an anderer Stelle in diesem Haushalt noch ein vollständiges rotes Paar gleicher Machart. „Wie viel intakte Handschuhpaare sind das zusammen“, rätselt es plötzlich in mir? – „Wenn man unberücksichtigt lässt, dass es verschiedene Farben sind, dann zwei“, kommt die Antwort aus dem Nirgendwo. „Aber halt, das stimmt doch nicht. Du hast doch von einem der Handschuhe, dem linken oder dem rechten, das weiß ich jetzt nicht, auf jeden Fall hast du von einem der Handschuhe doch nur einen. Wenn du den verlierst, dann hast du gar kein Paar mehr“, denkt es in mir. „Aber wenn ich den Handschuh verliere, von dem ich zwei habe, dann habe ich, sogar wenn ich einen Handschuh verloren habe, noch ein vollständiges Paar, wenn auch in verschiedenen Farben“, gehen die Überlegungen weiter. „Summa summarum hast du eineinhalb Paar Handschuhe“, fassen sich die optimistischen Gedanken selbst zusammen. „Falsch“, widerspricht der geweitete Blick. „Du hast ein Paar Handschuhe, potenziell höchstens zwei, wenn du im richtigen Augenblick den richtigen Handschuh verlierst.“

Als ich versuche, meine Mitbewohnerin zu fragen, wie viel Paar Handschuhe ich habe, wenn das noch intakte Paar rot und der Einzelhandschuh blau ist, legt sie mir die Hand auf die Stirn. „Hast du Fieber?“ „Nein, jetzt sag mal ganz ehrlich.“ – „Ich glaub, du hast Fieber, und außerdem: Wo ist der Berlinbezug? Es schneit ja doch nicht“, sagt die sich als Krankenschwester Ausgebende. „Der Berlinbezug“, sagt die Stimme in mir, „Vivienne Westwood hätte nichts dagegen, wenn ich mit zwei verschiedenfarbigen Skihandschuhen Fahrrad fahren würde.“ „Du fährst doch jetzt nicht Fahrrad“, antwortet die neben dem Bett Stehende.

Seitdem sich die Anzeichen verdichten, dass es wieder bergauf geht, schaue ich Kataloge an. Die Frühling-Sommer-Ausgabe natürlich. Noch bevorzuge ich allerdings die hinteren Seiten, wo auf luftig gefederten Betten zart geschminkte Models in Pyjamas posieren. Begehrenswert sehen die aus. So makellos, unberührt, schlafrein und rosig. Das will ich auch. Wenig überraschend habe ich deshalb schon einen rosafarbenen Bademantel, geblümte Bettwäsche und zwei „himmlische“ Schlafanzüge bestellt.

WALTRAUD SCHWAB