DIE DEMOGRAFIE ÜBERZEUGT DIE GEGNER DER GEMEINSCHAFTSSCHULE : Gesamtschule rettet Gymnasium
War es ein Akt der Verzweiflung? Hat die Nord-Union ein taktisches Manöver inszeniert? Oder setzt sich die Vernunft auch bei der CDU durch? Es war von allem etwas, als die CDU in Schleswig-Holstein gestern die Gemeinschaftsschule akzeptierte. Von der Union aus, so hieß es, könnten in den Städten sofort „Schulen für alle“ eingerichtet werden, in der Kinder bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen. Bis dato hatte der Spitzen-CDUler Harry Peter Carstensen immer so getan, als sei er der Retter der dreigeteilten Schule. Nun warf er, gewiss auch, um seine letzte Chance auf den Sessel des Ministerpräsidenten zu wahren, sein Wahlversprechen über den Haufen.
Häme ist da nicht angebracht. Es war eine richtige Entscheidung. Der Öffnungsbeschluss für die Gemeinschaftsschule zeigt: Die Union ist dabei, ihre ideologischen Restbestände aus dem Lager zu räumen. Sie hätte es, aufgrund der demografischen Entwicklung, ohnehin tun müssen. Es wird künftig bei der herrschenden Gebärunfreudigkeit gar nicht mehr genug Kinder geben, um Haupt-, Real- und Oberschulen adäquat mit Schülern zu versorgen. Oder anders: Der Geburtenrückgang sorgt ganz pragmatisch für eine neue, nicht selektive Schule. Und schafft damit neben der Bildungsgerechtigkeit auch einen unterrichtsklimatischen Gewinn, weil die Schüler nicht mehr unter dauerndem Auslesedruck stehen. Nichts anderes geschieht aber, wenn schon in der vierten Klasse die Frage ansteht, ob ein Kind studieren soll.
Die SPD hat die Wahl im Norden nicht gewonnen. Dennoch hat sie für das, was jetzt kommen soll, eine Mehrheit in der Bevölkerung wie im Landtag. Die Grünen und die dänische Minderheit hatten stets klargestellt, dass sie die Abkehr von der gegliederten Selektions- und Demütigungsschule wollen. Das sollte und das wird kein Akt der Revolution sein, sondern ein schrittweiser Prozess, den – hoffentlich – auch die Philologen konstruktiv begleiten werden. Vielleicht sollten die Gymnasiallehrer mal versuchen, den Slogan der kleinen Insel Fehmarn zu verstehen. Denn nicht nur dort gilt: Nur wenn die Gemeinschaftsschule alle Begabungsreserven der Bevölkerung mobilisiert, ist das Gymnasium noch zu retten. CHRISTIAN FÜLLER