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Archiv-Artikel

Verfolgung im Tretboot

Die große Respektlosigkeit von „Silentium“, dem neuen Film mit Josef Hader: Hier werden nur die Bilder gestürmt – nicht die Institutionen, die ein wahrhaftiges Interesse gar mehr nicht verdienen

VON HANNAH PILARCZYK

Würden wir in einem besseren Land leben, hieße der größte Kabarettist nicht Harald Schmidt, sondern Josef Hader. Statt eine Fernsehshow zu haben, die nur so heißt wie er, würde der mit einem Soloprogramm namens „Hader muss weg“ touren, und statt einem blödsinnigen Film wie „7 Zwerge“ würde er einen so komplett großartigen wie „Silentium“ drehen.

Träge läuft am Anfang der Tropfen Blut über die Wange des japanischen Touristen. Später wird noch sehr viel mehr Blut fließen, aber erst mal ist der Brenner (Josef Hader) damit beschäftigt herauszufinden, wie der Schwiegersohn des Leiters der Salzburger Festspiele auf den Mönchsberg kam, von dort knapp am Festspielhaus vorbei in den Tod stürzte und schließlich ein bisschen Blut auf die Touristen unter ihm vergoss.

Den Auftrag zur Klärung des Todesfalls hat der Brenner von der Witwe des Toten (Maria Koestlinger) erhalten, der Tochter des Festivaldirektors. Die beiden kennen sich aus einem Kaufhaus, in dem der Brenner als Detektiv gearbeitet und die Tochter des Festivaldirektors Unterwäsche geklaut hat. Aber das tut nichts zur Sache, sondern etwas zum Aufbau des Films, in dem lauter kleine Geschichten irgendwann eine ganz große ergeben. Es dauert eine Weile, bis einem diese ganz große Geschichte klar wird. Doch dazwischen sind ein paar grandiose Szenen gesteckt, in denen Leichenstücke in einem Kicker deponiert werden und das Ermittlerduo die Verfolgung mit einem Tretboot aufnimmt.

Wahrscheinlich müsste man das Ganze eine schwarze Krimikomödie nennen. Dazu geht es noch um Kindesmissbrauch in einer Klosterschule, Mädchenhandel und die mafiöse Kulturszene Salzburgs. Aber genauso egal wie die genaue Einordnung in ein Genre ist bei „Silentium“ auch die Abhandlung dieser gewichtigen Themen. Hochkultur- und Kirchenkritik öden ihn an, sagt Autor Wolf Haas, auf dessen Buch der Film basiert und der am Drehbuch mitgeschrieben hat. Im gleichen Team mit Regisseur Wolfgang Murnberger entstand übrigens im Jahr 2000 bereits die nicht minder tolle Verfilmung von Haas’ „Komm, süßer Tod“. Gerade weil „Silentium“ die schwergewichtigen Themen nur streift, findet der Film ganz neue Bilder jenseits der abgekauten Zeichensysteme von Religion und Bildungsbürgertum.

Irgendwann hat sich der Brenner als Hausmeister in die Klosterschule eingeschleust, die der Schwiegersohn des Festspielleiters besuchte und in der er missbraucht worden sein soll. Als erste Amtshandlung muss er eine Jesusfigur von ihrem Kreuz abmontieren, um beides zur Renovierung zu bringen. Mit Hilfe eines Bohrers schraubt der Brenner erst den Jesus ab, dann schultert er das Kreuz und fällt mit der übermächtigen Last erst mal eine Treppe hinunter. In solchen Szenen wird klar: Hier werden nur Bilder, nicht die Institution Kirche gestürmt. Genau darin liegt aber natürlich die größte Respektlosigkeit, denn echtes Interesse an der katholischen Kirche hat „Silentium“ erst gar nicht. Stattdessen erfreut sich der Film an Spielchen wie dem Auftritt von Christoph Schlingensief als erratischem Opernregisseur, der sich in den Festspielen geirrt haben muss. Dass dieser Schlingensief auch noch die „Entführung aus dem Serail“ inszeniert und dabei den öligen Opernsänger Schmittke (Jürgen Tarrach) in eine nahöstliche Kampfzone verfrachtet, in der er seine Arien in zerbombte Telefonzellenhörer singen muss, führt aufs Schönste vor, wie viele Selbstbezüge und Querverweise man in einen Film stopfen kann.

Zusammengehalten wird dieses bunte Tableau an zerhackstückelten Leichen und Geschichten von Josef Haders Brenner, der wachsam und doch todmüde durch Salzburg stolpert. Irgendetwas scheint ihn anzutreiben, den Toten und den noch Lebenden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vielleicht ist es sein Anstand, vielleicht auch nur seine nicht enden wollenden Kopfschmerzen, so ganz klar wird das nicht. „Wie funktionieren Sie eigentlich?“, fragt ihn die Tochter des Festivalleiters schon ziemlich zu Anfang. Endlich mal ohne zu zögern, sagt der Brenner: „Gar nicht.“ Aber natürlich tut er das, genauso wie der Film. Man kann es nur nicht so genau benennen.

„Silentium“. Regie: W. Murnberger. Mit Josef Hader, Joachim Król, Anne Bennent. Österreich 2004, 110 Min.