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Archiv-Artikel

„Er spielt mit den Worten“

Der präsentabelste Führer des muslimischen Fundamentalismus: Caroline Fourest hat die Reden des islamischen Intellektuellen Tariq Ramadan analysiert. Sie wirft ihm Doppelzüngigkeit vor

VON DOROTHEA HAHN

taz: Frau Fourest, Sie haben sich bisher mit dem christlichen Fundamentalismus beschäftigt. Warum jetzt der Wechsel zum Thema Islamismus?

Caroline Fourest: Das ist kein Themenwechsel, sondern eine Vertiefung. Am 11. September 2001 hatte ich gerade ein Buch über die religiösen Rechten in den USA veröffentlicht. Ich fand es paradox, dass ausgerechnet Bush, ein Produkt dieser extrem religiösen Rechten in den USA, plötzlich zur Inkarnation des humanistischen Lagers gegen die Fundamentalisten wurde.

Gibt es Parallelen zwischen den Fundamentalisten der verschiedenen Konfessionen?

Fundamentalisten in den USA, wie Pat Robertson, verstehen sich ausgezeichnet auf die Präsentation, sind intelligent und können in den Medien auftreten. Sie sind Doppelgänger von Tariq Ramadan. Der einzige Unterschied: Der eine ist protestantisch, der andere muslimisch.

Sonst keine Unterschiede?

Wenn man die Texte in zentralen Fragen vergleicht: Sexualität, Frauen, Kultur, politischer Einfluss und Gewalt, stellt man fest, dass keine Religion fanatischer ist als die andere. Es gibt extrem sexistische Passagen bei Paulus. Und ein orthodoxer Jude beginnt seine Tage damit, Gott dafür zu loben, dass er ihn nicht als Frau geschaffen hat.

Sie haben Tariq Ramadan beobachtet und seine Texte und Kassetten analysiert. Wer ist er? Und wen repräsentiert er?

Er ist der präsentierbarste Führer des muslimischen Fundamentalismus. Er ist ein politischer Führer, der das Werk seines Großvaters Hassan al-Banah vollenden will. Er ist ein Prediger, der besonders erfolgreich bei der Generation um die 30 ist. Nicht bei den sozial und wirtschaftlich Ausgegrenzten, sondern bei jungen Leuten mit Diplomen, bei Akademikern auf der Suche nach Identität.

Muss man ihn hören, wenn man wissen will, wie Muslime in Frankreich denken?

Man muss ihn hören, wenn man wissen will, wie muslimische Fundamentalisten in Frankreich denken. Ramadan bringt die Mittelschicht in Kontakt mit dem radikalen politischen Islam von Hassan al-Banah.

Wer ist Hassan al-Banah?

Er ist der Gründer des totalitären Islam im Ägypten der 30er-Jahre. Er will ein muslimisches Reich schaffen. Eine muslimische Theokratie, wo Frauen verpflichtet sind, ein Kopftuch tragen, wo Kontakte zwischen Jungen und Mädchen auf dem Campus verboten sind, wo Musik und Filme und sämtliche Gesetze der Scharia angepasst sein müssen. Die Muslimbrüder haben eine sehr strategische Methode.

Ramadan sagt, dass er kein „Muslimbruder“ ist.

Er spielt mit den Worten. Er tut so, als würde er die ägyptische Organisation der „Muslimbrüder“ und die Denkschule der „Muslimbrüder“ verwechseln. Es gibt keinen Mitgliedsausweis. Es gibt nur ganz wenige Leute, die offiziell dazugehören. Die „Muslimbrüder“ funktionieren wie eine Denkschule. Ramadan erklärt in seinen Kassetten, dass sein Großvater empfiehlt, Einflusszonen zu finden, zu suchen, um sich darin zu etablieren und seine Ziele voranzutreiben. Er sagt nicht „infiltrieren“. Aber er sagt wie sein Großvater, dass es einen Diskurs für das Innere und einen für das Äußere gibt. Das ist die Grundstrategie der „Muslimbrüder“.

Was ist sein Ziel?

Er beginnt mit der Vernetzung in seiner Gemeinschaft. Bei dem Kräftemessen zwischen fundamentalistischen und modernistischen Muslimen in Europa will er den Sieg der Fundamentalisten. Wenn dieses Ziel erreicht ist, wird man weitersehen.

Der siebte Punkt dieses Programms der „Muslimbrüder“ lautet, dass am Ende die Scharia überall dort etabliert wird, wo die Stimme des Muezzin ertönt ist. Das heißt: in jedem Land, in dem es eine Moschee gibt.

Ramadan nennt sich Sprecher eines liberalen Islam.

Er hasst die liberalen Muslime. Er nennt sie „Muslime ohne Islam“. Er lehrt den politischen Islam der „Muslimbrüder“, das ist ein fundamentalistischer Islam. Wenn ein Muslim die individuellen Freiheiten, den Rationalismus und die Trennung von Religion und Politik verteidigt, sagt er: „verwestlicht“.

In Frankreich umwerben Politiker Ramadan. Ein Teil der Rechten tut es – wie UMP-Chef Sarkozy – und ein Teil der Linken auch. Warum?

Das sind zwei sehr unterschiedliche Fälle: Sarkozy weiß genau, dass Ramadan ein Fundamentalist ist. Er will mit Ramadan aber eine gewisse Wählerschaft für sich gewinnen. Für manche Globalisierungskritiker hingegen sind die Islamisten Alliierte im Kampf gegen Imperialismus und Zionismus.

Manche vergleichen ihn mit einem linken Katholiken.

Linke Katholiken sind für individuelle Freiheiten und gegen den Vatikan, wenn der die Abtreibung und das Präservativ verbietet. Ramadan ist für die Enthaltsamkeit. Er hat Vorworte zu einer Serie von Fatwas geschrieben, die die Abtreibung verbieten. Er hält die Homosexualität für ein Ungleichgewicht. Er denkt, dass ein Mann und eine Frau nicht allein in einem Raum miteinander reden sollen, wenn sie nicht verheiratet sind. Wenn das bedeutet, dass er links ist, weiß ich nicht, was das Wort heißen soll.

Ramadan verurteilt Attentate wie die von Madrid.

Er pflegt den Euphemismus. Bei ihm heißen die Attentate in Madrid oder vom 11. September „Intervention“. Oder: „Operation“. Er wendet buchstabengetreu den Rat von Hassan al-Banah an: Nach außen präsentiert er sich als Reformator und Feminist, der kämpft, um die unverbesserlichen Islamisten zu verändern.

Er ruft dazu auf, die Gesetze zu respektieren.

Solange ein Gesetz islamisch ist. Aber er sagt auch: Respektiere das Gesetz, wenn das Gesetz dich nicht verpflichtet, etwas gegen deine Religion zu tun.

Was erwartet sein Publikum von ihm?

Es stellt präzise Fragen: Bruder Tariq, kann ich ins Kino gehen, mit einem Mädchen gehen, diese oder jene Musik hören? Er sagt: Rap ist untersagt, höre islamische Gesänge und Musik. Geh Filme angucken, aber guck dir nicht das „Unwürdige“ an, das Nichtmuslimische, das nicht „unsere Werte“ sind. Das soll heißen: Geh nicht hin, wenn es Szenen mit Sex gibt. Er tut das in einem Land wie Frankreich. Vor jungen Leuten meiner Generation. Wenn Ramadan nicht wäre, würden sie Rap hören und mit Mädchen ausgehen.

Ist Ramadan gefährlich?

Vor allem für junge Muslime in Frankreich, deren Eltern nicht verschleiert sind, kaum den Islam praktizieren und ihre Kinder zur Universität schicken. Dort stoßen sie auf Tariq Ramadan. Eines Tages kommt der Sohn nach Hause zurück und sagt: Mama, als gute Muslimin solltest du ein Kopftuch tragen. Das ist die umgekehrte Bewegung.

Was macht Europa für die „Muslimbrüder“ interessant?

Als der Vater von Tariq Ramadan sich im Herzen Europas in Genf niederlässt, ist das auch ein Wechsel in der Strategie der „Muslimbrüder“. Sie erkennen, dass Europa eine Basis ist, um Nachwuchs zu rekrutieren – ungestört von den Regierungen in Nordafrika und im Nahen Osten, die angefangen haben, Islamisten zu verfolgen.

Wollen Sie Ramadan verbieten lassen?

Im Gegenteil. Man muss ihn genau lesen. Man muss einfach jedes Wort, das er sagt, überprüfen. Wenn die Journalisten aufhören, ihn als liberal und aufgeklärt vorzustellen, reicht das.

Ramadan sieht sich als Opfer politischer Verfolgung.

Er spielt seit 15 Jahren immer wieder diese Rolle. Das ist sein Mittel, um in die öffentliche Debatte zu kommen.

Haben Sie Beispiele?

In der Schweiz verschwand er aus den Medien, nachdem er 1994 einen muslimischen Kongress organisiert hatte, bei dem man auf der Bühne den algerischen FIS hochleben ließ, Journalisten als „Insekten“ bezeichnete und für den Dschihad in Algerien rekrutierte. Anschließend schrieben die Journalisten: Das ist ein fundamentalistischer Islam. 1995 erhielt Ramadan dann in Frankreich Aufenthaltsverbote wegen der Beziehungen zwischen seinem islamischen Zentrum in Genf und dem algerischen FIS. Als er daraufhin in Genf erklärte: Ich bin das Opfer einer französischen Kampagne, war er plötzlich wieder im Gespräch.

Ramadan wirft Ihnen üble Nachrede vor.

Ich habe seine Reden gelesen und analysiert. Es ist das erste Mal, dass jemand so etwas macht. Damit kann er nur schwer umgehen. Wenn er jetzt über mich schreibt, erfindet er falsche Attacken, um nicht auf meine tatsächliche Kritik antworten zu müssen.

Ein großer Teil der nordafrikanischen Intelligenzija lebt in Frankreich oder arbeitet auf Französisch, darunter viele liberale Intellektuelle. Warum überlassen Sie ausgerechnet Ramadan die Rolle des „Sprechers“?

Muslimische Intellektuelle, die wirklich liberal und modernistisch sind, machen keine Politik im Namen des Islam. Ihre Religion ist eine private Praxis. Sie haben keine Absicht, die Muslime Frankreichs zu erobern. Wenn sie politisch aktiv sind, dann in Parteien und in Vereinigungen. Allerdings warnen viele von ihnen seit Jahren vor Ramadan.