piwik no script img

Archiv-Artikel

■ taz-LeserInnen zum Fischer-Medienspektakel Ein Skandal ist das noch lange nicht

betr.: „BKA-Alarm: Chaos in Kiew“, taz vom 25. 2. 05

Am 18. 6. 2002 bringt die taz auf Seite 6 eine kleine AFP-Meldung: „Schwindel mit illegalen Visa“. In ihr heißt es: „Tausende arbeitssuchende Osteuropäer sind im vergangenen Jahr mit erschwindelten deutschen Touristenvisa in die EU eingereist. Das Innenministerium bestätigte gestern einen entsprechenden Bild-Bericht. Schleuserorganisationen machten sich demnach eine mittlerweile geschlossene Gesetzeslücke zunutze: Sie gründeten Reisebüros oder Handelsagenturen, um die Touristenvisa für angebliche Reisegruppen oder Mitarbeiter zu beantragen. Allein von Juni 2001 bis Januar 2002 seien so 16.062 Osteuropäer illegal in die EU eingereist. Der Ministeriumssprecher sagte, das Phänomen des Schwindels mit Touristenvisa gebe es immer wieder. Der Bundesgrenzschutz versuche, das Problem in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt in den Griff zu bekommen. Die meisten dieser Visa stellte laut Bild-Zeitung die deutsche Botschaft in Kiew aus.“

Am selben Tag wird berichtet, dass die EU-Außenminister sich bei Maßnahmen zur illegalen Einwanderung nicht geeinigt hätten. Der Tenor der taz- Berichterstattung in diesen Tagen ist, man solle mehr integrieren als sanktionieren: „Mit der EU-Osterweiterung und Anbindung von Ländern wie Weißrussland und Ukraine würde einer der Hauptgründe illegaler Immigration am wirksamsten bekämpft werden“, zitiert Sabine Herre am 22. 6. 2002 zustimmend den belgischen Premierminister.

Im Juni 2002 ist in Deutschland Wahlkampf. Dennoch kommen weder die Medien noch die politischen Parteien offenbar auf die Idee, Fischer für die Situation verantwortlich zu machen, die taz schon gar nicht. Warum setzt die taz drei Jahre später Berichte des BKA über allseits bekannte Vorkommnisse von 2002 auf die Titelseite, warum wird nun plötzlich Fischer zur Zielscheibe einer regelrechten taz- Kampagne? MICHAEL ROTHSCHUH, Hamburg

betr.: „Fischers Rede. Falsche Zeit, falscher Ort“, Kommentar von Ralph Bollmann, taz vom 28. 2. 05

Es ist die richtige Zeit: endlich Visa abschaffen. Der richtige Ort: hier und überall. Warum sollen Gelder und Waren freier sein als Menschen? MATTHIAS RIEDEL, Möckmühl

Wie die Visa-Affäre zeigt, sind wir bereits im Wahlkampf. Es wird von Menschenhandel, Zwangsprostitution und zweistelligen Milliardenverlusten für unser Land gesprochen.Die Zahlen des Bundeskriminalamts beweisen das Gegenteil. So gingen sie beim Menschenhandel nach dem Volmer-Erlass zurück, bei der Zwangsprostitution sanken sie von vorher 20 auf 8 Prozent. Auch die Behauptung der CDU, dass sich laut Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) ein zweistelliger Milliardenschaden mit dem Volmer-Erlass begründen lässt, ist laut IAW falsch. Diese Summe entspringt primär dem Problem der deutschen Schwarzarbeit von ca. 12 bis 15 Millionen im Verhältnis zu 100.000 aus den GUS-Staaten. Eine Opposition, die an den vielfältigen nationalen und internationalen Problemen mitarbeitet, wäre uns Bürgern lieber als eine, die mit fragwürdigen Methoden einen Dauerwahlkampf betreibt. E. REIMANN, Lahnstein

Man kann es langsam nicht mehr fassen. Da wird von ein paar konservativen Journalisten zufällig eine Woche vor der Wahl in Schleswig-Holstein ein zwei Jahre junger „Skandal“ herausgekramt und alle anderen springen drauf an. Lange haben einige in dieser Republik gewartet, dass sie den Grünen auch mal was anhängen können, und da gibt es doch tatsächlich diese „Visa-Affäre“. Affäre? Es handelt sich aus meiner Sicht um eine ganz normale, legitime, politische Entscheidung. Die mag der Union nicht passen, das ist ihr gutes Recht. Aber ein Skandal ist es noch lange nicht, wenn man sich für die Reisefreiheit in Europa einsetzt.

Ja, es gab eine „Affäre“, wenn man so will: Ludger Volmer hat sein politisches Amt genutzt, um Geschäftskontakte zu knüpfen. Das war nicht in Ordnung, und dafür ist er auch zurückgetreten. Aber interessiert das noch irgendwen? Nein. Stattdessen macht die Union fremdenfeindliche Stimmung in Deutschland. Da werden alle Ukrainer pauschal als Menschenhändler, Zuhälter und Prostituierte dargestellt. Und die Grünen sind nun ihre Gehilfen. Dabei wurde erst vor kurzem gemeldet, dass die Zahl krimineller Ukrainer eben nicht gestiegen sei. Pech gehabt, CDU! RENÉ GÖGGE, Bergen auf Rügen

betr.: „Und die Moral von der Geschicht’?“, taz vom 26./27. 2. 05

Was soll dieser Kasten mit dem „Club der Moralisten“? Ist das mehr als eine ironische Verdrehung? Sind die dort aufgeführten Personen von Lothar Späth bis Rudolf Scharping vielleicht verkappte Grüne, die „Partei der Moralisten“? Oder soll Joschka Fischer diese Liste der Zurückgetretenen demnächst vervollständigen?

Dann wäre er der Erste unter ihnen, der nicht wegen persönlicher Vorteilsnahme oder Bereicherung aus dem Amt scheiden musste, sondern wegen Fehler in der Amtsführung, d. h. letzten Endes wegen Unfähigkeit. Hat das mehr mit Moral zu tun oder mit Tragik?

HARTMUT GRAF, Hamburg

betr.: „Fischer doch nicht unfehlbar“, taz vom 28. 2. 05

Natürlich ist nach der Rede des Bundesaußenministers Joschka Fischer in Köln die Welt nicht einfach wieder in Ordnung – und natürlich wird Frau Merkel und ihre Meute weiter zur Treibjagd gegen Fischer und Rot-Grün blasen. Mangels realistischer und attraktiver Alternativkonzepte zu Rot-Grün erfolgen persönliche Angriffe auf den politischen Gegner. Doch fragt man nach dem Kern der angeblichen Visa-Affäre, so gibt es bisher viele Vorwürfe und Anschuldigungen von Frau Merkel & Co., aber wenig Fakten. Mit ihren Konzepten zur Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Steuerpolitik, die unsere Gesellschaft noch schärfer in Oben und Unten, Arm und Reich spalten würden, hat Frau Merkel & Co eindeutig Schiffbruch erlitten. Es wäre eine Schande, wenn die Treibjagd der CDU/CSU auf Joschka Fischer und Rot-Grün im Zusammenhang mit der sog. Visa-Affäre doch noch dazu führten, dass die rückwärts gewandten Kräfte in Politik und Gesellschaft triumphieren könnten. HEINZ-D. SIMON, Menden

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.