Manchmal etwas links vom Mainstream

Ingrid Schmidt, die neue Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, hält das deutsche Arbeitsrecht für flexibel genug

Frauen bekommen in der Justiz immer mehr Gewicht. Jetzt sind schon die Spitzen von zwei der fünf obersten Bundesgerichte mit Juristinnen besetzt. Neben Iris Ebling, die seit 1999 den Bundesfinanzhof in München leitet, trat gestern Ingrid Schmidt an die Spitze des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt. Nicht zu vergessen ist Jutta Limbach, die bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts war.

Ingrid Schmidt hat in der Justiz eine relativ geradlinige Karriere gemacht. In Frankfurt/Main studierte sie Jura, war dann Sozialrichterin in Wiesbaden und Darmstadt. Doch schon bald holte sie Verfassungsrichter Thomas Dieterich als wissenschaftliche Mitarbeiterin nach Karlsruhe. Er schlug sie später auch als Bundesrichterin vor. Seit 1994 ist sie nun am BAG tätig, seit drei Jahren sogar als Vorsitzende des sechsten Senats. Sie ist jetzt 49 und könnte voraussichtlich noch 16 Jahre lang dem BAG vorstehen – eine Epoche.

Das Arbeitsrecht ist ein politisch stark umkämpftes Rechtsgebiet. Aufgrund vieler Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe muss das Bundesarbeitsgericht deshalb häufig Grundsatzentscheidungen treffen. Ingrid Schmidts Positionen liegen in der Regel im Mainstream, manchmal aber auch etwas links von dessen Mitte. Deshalb können sowohl Gewerkschaften wie Arbeitgeber mit ihrer Berufung an die Spitze des BAG gut leben: Keine Seite jubelt, aber es muss sich auch keiner Sorgen machen.

Auch in Interviews vor dem Amtsantritt wirkte die Hessin betont unaufgeregt und plädierte für eine Beibehaltung des bewährten deutschen Arbeitsrechts. „Wer ihm mangelnde Flexibilität vorwirft, kennt es nicht“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Angriffe auf den Flächentarifvertrag seien kurzsichtig, mehr Deregulierung führe nur zu mehr Richterrecht. Das Arbeitsrecht sei jedenfalls nicht an der strukturellen Arbeitslosigkeit in Deutschland schuld.

Als Präsidentin hat sie allerdings vor allem Organisations- und Repräsentationsaufgaben. Sie kann den Senaten, an denen jeweils drei Berufsrichter, flankiert von einem Arbeitgebervertreter und einem Gewerkschafter, Recht sprechen, keine Vorgaben machen. Wie stark sie durch Interviews und Vorträge in die politische Debatte eingreift, bleibt ihr überlassen. Ihr unmittelbarer Vorgänger Hellmut Wißmann hielt sich eher zurück, während Vorvorgänger Thomas Dieterich, ihr einstiger Ziehvater, sich öfters für sozialdemokratische Positionen stark machte. Von der parteilosen Ingrid Schmidt, die im BAG fest verankert ist, wird eine eher ruhige Amtsführung erwartet. Wißmann hatte sie als Präsidentin vorgeschlagen, das Plenum der 34 Bundesarbeitsrichter hatte das unterstützt und das Bundeswirtschaftsministerium den Vorschlag nur noch abgenickt.

Ingrid Schmid ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Mann ist Chemieingenieur in Mannheim. Deshalb behält die Familie ihren Wohnsitz in Südhessen.

CHRISTIAN RATH