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Archiv-Artikel

Mittel zum Machterhalt

Die Regierung des Iran versteht ihr Atomprogramm als klassische Abschreckungspolitik. Weder Drohungen der USA noch Verhandlungen der EU werden sie davon abbringen

Teheran weiß durchaus, dass es politischer Selbstmord wäre, Israel anzugreifen

Iran gibt sich gesprächsbereit und konziliant in der Atomfrage, ist aber unerbittlich. Vor allem aus einem Grund: Das Regime fühlt sich bedroht. Auch wenn Revolutionsführer Ali Chamenei und Mohammed Chatami einmütig erklären, Iran strebe nicht den Besitz von Atomwaffen an, denn der Islam verbiete ihren Einsatz: Einige Vertreter des iranischen Regimes sprechen ganz offen aus, dass und warum sie die Bombe wollen: „In sicherheitspolitischer Hinsicht macht es überhaupt keinen Sinn, dass der Feind über Atomwaffen verfügt, wir aber darauf verzichten. Israel hat Atomwaffen, daher ist niemand legitimiert, uns den Besitz zu untersagen“, formuliert es Dschawad Laridschani, einer der potenziellen Kandidaten für das Präsidentenamt. Das Regime hat am Beispiel Iraks und Nordkoreas mitverfolgt, dass zwar angegriffen wird, wer die Bombe nicht hat, aber verschont wird, wer sie hat. Deshalb wird immer wieder gefordert, Iran solle doch einfach aus dem Nichtverbreitungsvertrag aussteigen. Hossein Schariatmadari, der Herausgeber der Zeitung Keyhan, des Sprachrohrs der Konservativen, erklärte kürzlich, warum: „Als die USA und die Alliierten nach der Befreiung Kuwaits im Jahre 1991 vor den Toren Bagdads standen, beschlossen sie, den Irak nicht anzugreifen. Irak verfügte über eine große Waffenmacht, und die Amerikaner wollten nicht unter schweren Verlusten den Irak besiegen.“

Die Drohungen der US-Administration lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und seit dem Afghanistan-Feldzug und dem Irakkrieg sieht sich das iranische Regime von den USA eingekesselt. Im Norden Irans stehen amerikanische Truppen in Zentralasien und Aserbaidschan; im Süden in Kuwait, im Osten in Afghanistan und im Westen im Irak. Auch von den Israelis fühlt Iran sich bedroht. Ministerpräsident Ariel Scharon sagte es im Vorfeld des Irakkrieges deutlich: nach dem Irak müsse Iran als Sicherheitsrisiko beseitigt werden. In der iranischen Wahrnehmung hat Ariel Scharon dem amerikanischen Präsidenten eine Arbeitsliste präsentiert, die dieser abarbeiten soll – und das iranische Regime sieht sich selbst an oberster Stelle auf dieser Liste.

Hier wird Irans Atomprogramm immer als aggressiv und feindlich beschrieben. Das iranische Regime jedoch sieht es schlicht als Mittel zum Machterhalt – als Instrument der Abschreckung gegenüber einer Supermacht, die Iran feindlich gesinnt ist und in den vergangenen vier Jahren zwei Nachbarländer angegriffen hat, und gegenüber dem Staat Israel, ihrem nuklear bewaffneten regionalen Rivalen. In der eigenen Sicht folgt Iran mit seiner Position lediglich der klassischen Abschreckungsdoktrin. Und es ist doch sehr fraglich, ob ein atomar bewaffneter Iran, der umgeben und umschlossen wäre von der Nuklearmacht Pakistan, der Nuklearmacht China, der Nuklearmacht Israel, der Nuklearmacht Russland und der Nuklearmacht USA, wirklich die Gefahr darstellen würde, die George W. Bush behauptet.

Deshalb dürfte es nicht ausreichen, wenn die Europäer gemeinsam mit den Amerikanern Teheran eine WTO-Mitgliedschaft in Aussicht stellen. Dies allein wird die Regierung des Iran nicht bewegen können, die Urananreicherung auszusetzen. Denn zum einen ist inzwischen wieder eine Fraktion in Teheran an der Macht, die dem freien Handel gegenüber ohnehin skeptisch eingestellt ist. Zudem meinen auch unabhängige Experten, dass es angesichts des maroden Zustands der iranischen Industrie ökonomischer Selbstmord wäre, der WTO beizutreten.

Wichtiger aber ist: Das Regime will eine Sicherheitsgarantie von den USA, die sein Überleben garantiert. Sie will Teheran schon seit langem und ist dazu, wie Baton Gellman und Dafna Linzer in der Washington Post beschreiben, zu großen Konzessionen bereit. Al-Baradei soll gemäß diesem Bericht Präsident Bush bereits im Oktober 2002 übermittelt haben, dass die Iraner sich auf Gespräche mit den Amerikanern einlassen wollten und dann eventuell auf die Anreicherung von Uran verzichten würden.

Ob die Regierung Bush jedoch bereit ist, den „Außenposten der Tyrannei“, wie Außenministerin Condoleezza Rice Iran kürzlich bezeichnete, als gleichberechtigten Partner in die Weltgemeinschaft aufzunehmen, ist fraglich. Das aber ist neben der Freigabe der iranischen Konten in den USA und der Aussicht auf normale Wirtschaftsbeziehungen das längerfristige Ziel des iranischen Regimes. Hinzu kommt, dass eine Sicherheitsgarantie von Israel mitgetragen werden müsste. Doch Israel fühlt sich von Iran mehr und mehr bedroht. Und zwar nicht nur durch das Atomprogramm, sondern auch durch die Entwicklung der Schahab-III-Rakete, die in der Lage ist, israelisches Staatsgebiet zu treffen. Ob die Iraner so lebensmüde wären, Israel anzugreifen, darf aber bezweifelt werden.

Es ist fraglich, ob ein atomar bewaffneter Iran wirklich so gefährlich wäre, wie Bush behauptet

Einschätzungen wie die von US-Außenministerin Condoleezza Rice, dass „die Iraner sich aufgrund ihrer Doktrin die Zerstörung Israels“ wünschen, gehen sicher an der Realität vorbei, beziehungsweise es ist unwahrscheinlich, dass auf den Wunsch Taten im Sinne eines Militärschlags folgen. Beobachter in Iran schätzen trotz aller antiisraelischen Rhetorik die Gefahr, die von Iran für Israel ausgeht, als sehr gering ein. Die Führung sei sich durchaus darüber im Klaren, dass es politischer Selbstmord wäre, Israel anzugreifen. In Israel sieht man das anders: Laut Presseberichten haben Israels Geheimdienst und Armee der Regierung bereits vor Jahren Pläne zur Bombardierung iranischer Atomanlagen vorgelegt. Ungefährlich ist das nicht: Die iranischen Atomanlagen liegen – im Gegensatz zu dem irakischen Reaktor Osirak, der von Israel im Jahre 1981 ausgeschaltet wurde – weit im Lande verstreut. Manche Laboratorien befinden sich unter Tage. Ein einzelner Schlag scheint somit nicht sinnvoll und mehrere kaum praktikabel. Außerdem ist fraglich, ob die Iraner sich durch einen oder mehrere Schläge von der Entwicklung von Atomwaffen abbringen lassen werden. Hassan Rouhani, der Chefunterhändler Irans bei der IAEA, sagte es deutlich: Teheran werde auf jeden Fall eine größere Motivation haben, Atomwaffen zu entwickeln, wenn das Land angegriffen werde.

Sollte das Regime also keine Sicherheitsgarantie von den USA und Israel bekommen, die seinen Bestand gewährleistet, ist unwahrscheinlich, dass es sich von der Entwicklung des Nuklearprogramms abbringen lässt. Schon andere haben den Iranern die Doppelstrategie vorgemacht, und auch im Falle Israel, Indien und Pakistan war sie erfolgreich. Man wird in aller Heimlichkeit versuchen, alle Bestandteile für eine Atomwaffentechnologie zu entwickeln. Und durch die bewährte Verzögerungstaktik und eine Teilkooperation mit der IAEO schützt man sich vor Sanktionen oder militärischen Angriffen. Doch könnten die Verhandlungen von Europäern und den USA mit Teheran durchaus segensreich wirken: Wenn sie dem Regime eine Sicherheitsgarantie in Aussicht stellen – mit der Auflage, der Bevölkerung mehr Freiheiten und Rechte zu gewähren. KATAJUN AMIRPUR