: Elektroschocks, Schläge, Hunger
Die Menschenrechtslage im Irak ist noch immer ziemlich miserabel, kritisiert das Außenministerium der USA in seinem Jahresbericht, sieht aber auch große Erfolge
BERLIN taz ■ Willkürliche Tötungen, Folter, Straffreiheit für die Täter, schlechte Haftbedingungen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen, Korruption auf allen Ebenen der Regierung – so fasst ein Bericht die Entwicklungen des Jahres 2004 im Irak zusammen. Der Report stammt nicht von einer Antikriegsgruppe, sondern aus den Computern des US-Außenministeriums. Er ist Teil der „Länderberichte über Menschenrechte“, die am Montag – wie seit 1977 einmal im Jahr – vom US-Außenministerium dem Kongress vorgelegt wurden.
Zwar verweist das Irakkapitel auf deutliche Verbesserungen der Menschenrechtssituation gegenüber der Lage unter dem Regime des Diktators Saddam Hussein. Und doch ist die Liste der Verfehlungen der irakischen Interimsregierung und der Sicherheitskräfte lang. Am 16. Oktober vergangenen Jahres, heißt es etwa, habe die Bagdader Polizei die zwölf Entführer dreier Polizeibeamter verhaftet, verhört – und getötet. Unter Berufung auf Human Rights Watch schildert der Bericht, von 90 Befragten Häftlingen in irakischen Gefängnissen hätten 72 von Folter oder Misshandlungen berichtet, von Schlägen, Elektroschocks an den Genitalien, von Wasser- und Nahrungsentzug. Am 28. November beobachtete ein Ausländer auf einer Polizeistation, wie Beamte auf Gefangene einschlugen. Als er sich erkundigte, was das solle, wurde er selbst vier Stunden lang verprügelt. Zwar berücksichtigten die neue Verfassung und die entsprechenden Gesetze die Menschenrechte in allen wesentlichen Aspekten, doch sei die Umsetzung Besorgnis erregend, heißt es in dem Bericht. Iraks Regierung sei allerdings durch den andauernden Aufstand im Land gehandikapt.
Mit keinem Wort geht der Bericht auf die zahlreichen Vorwürfe gegen die US-amerikanischen Truppen im Irak ein, von denen die fotografisch belegten Misshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib nur die bekanntesten sind.
Insgesamt zeichnet der Bericht des Außenministeriums, erstmals versehen mit einem Vorwort der neuen Außenministerin Condoleezza Rice, ein zweigeteiltes Bild: Während es in einigen Ländern, insbesondere in Irak, Afghanistan und der Ukraine, große Fortschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte gebe, sehe es in anderen Staaten, darunter bei den Lieblingsfeinden der Vereinigten Staaten: Syrien, Iran, Sudan, Venezuela und Kuba, aber auch bei Verbündeten wie Saudi-Arabien und Ägypten, überaus düster aus. Ein 37 Seiten langes Kapitel widmet sich Russland, dem insgesamt eine verschlechterte Menschenrechtslage unter gleichzeitiger Ausdehnung der Macht der Exekutive bescheinigt wird.
Im Vorwort, aber auch bei der Vorstellung des Berichts durch Staatssekretärin Paula Dobriansky hat sich das Außenministerium bemüht, den Bericht als integralen Bestandteil des von Präsident George W. Bush angekündigten internationalen Kampfes für Freiheit und Demokratie darzustellen. „Die Vereinigten Staaten werden weltweit die Demokratie fördern, denn Demokratie ist die beste Garantie für Menschenrechte“, sagte Dobriansky. Auf Nachfragen der Journalisten zum Glaubwürdigkeitsproblem der USA durch die Vorfälle von Abu Ghraib und die Situation in Guantánamo sagte Unterstaatssekretär Michael Kozak, die Missstände seien ja bereits abgestellt. Und auf die Frage, wie er denn die gezielte Deportation mutmaßlicher Terroristen zur Folter in Drittländer bewerte, tat er schlicht, als habe er die Frage nicht verstanden.
Da der Report zum überwiegenden Teil aus öffentlich zugänglichen Quellen oder Berichten von Menschenrechtsorganisationen oder anderen NGO zusammengestellt wird, gilt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weniger den geschilderten Fakten als vielmehr der Frage, auf welche der 196 abgehandelten Länder die Regierung bei der Vorstellung des Berichts besonders eingeht. Und natürlich der Frage, ob eine Regierung solche Berichte veröffentlichen kann, die selbst den Vorwurf der systematischen Verletzung menschenrechtlicher Standards auf sich gezogen hat. BERND PICKERT