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Archiv-Artikel

Der gläserne Bankkunde

… die Einnahmen hochund die Zinsen im Steuerbescheid auffallend niedrig sind

VON HERMANNUS PFEIFFER

Das Arbeitsamt kennt den Kontostand auf Ihrem Sparbuch besser als Sie selbst. Täglich schaut die Kindergeldkasse auf dem Girokonto Ihres Ehemannes nach, und das Bafög-Amt prüft das Wertpapierdepot, das Oma der studierenden Enkelin geschenkt hat. Auch das Finanzamt ermittelt. Online fragt es bei Ihrer Hausbank nach, wie es denn um die Einnahmen im Februar 2005 bestellt war. Eine Horrorvision aus dem Roman „1984“ von George Orwell?

Keineswegs, befürchten Kritiker, der gläserne Bankkunde werde demnächst unheimliche Wirklichkeit, wenn am 1. April das Gesetz für Steuerehrlichkeit in Kraft tritt und Behörden die Überwachung von Bankkonten erleichtert. Das Echo auf dieses vermeintliche Schnüffelgesetz schwankt zwischen „Verfassungsbruch“ und „endlich geht es den Reichen an den Kragen“.

Längst ist das Bankgeheimnis mehr Mythos als Realität. So greifen Sachbearbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereits still und leise auf die Stammdaten von 500 Millionen Konten zu – Name, Adresse, Geburtsdatum und Kontonummer werden automatisch erfasst. Ab dem 1. April können auch Finanzämter diese Daten abrufen, auch die Bundesagentur für Arbeit erhält Zugriff, beispielsweise wegen Hartz IV. Prinzipiell dürfen auch Erziehungsgeld- und Bafög-Stellen, Sozial- und Wohnungsämter hoffen, leichter nachprüfen zu können, ob ein Antragsteller seine Konten ehrlich angegeben hat. Sie müssen ihren Zugriff aber besonders begründen, wie die Grüne Christine Scheel, die dem Bundestagsfinanzausschuss vorsitzt, extra betont.

Der datentechnische Zugriff findet in einem automatisierten Verfahren statt – und bis zu drei Jahre nachdem ein Konto bereits wieder gekündigt wurde. So sieht es das „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ vor, ein Gesetz das bislang nur mit der Steueramnestie in Verbindung gebracht wurde, die im letzten Jahr nur bescheidene 900 Millionen Euro in die Staatskasse spülte. Richtig Ernst macht der Behördenapparat jedoch erst am 1. April, wenn die Amnestie ausgelaufen ist.

Mit dem Abschied vom Bankgeheimnis will die rot-grüne Bundesregierung Schwarzgeld aufspüren und den Terrorismus bekämpfen. Allerdings hat die Verschärfung der Finanzkontrollen noch einen anderen offiziellen Grund: Bis 1998 lag es faktisch im persönlichen Ermessen jedes Besitzers von Wertpapieren und Aktien, ob er seine Spekulationsgewinne dem Fiskus meldet – oder eben nicht. Diese merkwürdige Freizügigkeit empfand nicht allein das Bundesverfassungsgericht als ungerecht, es forderte „rechtlich und tatsächlich“ die gleiche Belastung für alle Steuerpflichtigen.

Den rechtlichen Rahmen steckte die Bundesregierung 2002 ab, seither hat das Bankgeheimnis schon manchen Riss abbekommen. Für das vergangene Jahr mussten Banken und Sparkassen ihren Kunden erstmals eine Bescheinigung über sämtliche Kapitalerträge und Spekulationsgewinne ausstellen, auf diese können Finanzämter dann schnell zurückgreifen. Neu im zurückliegenden Jahr war ebenfalls, dass die Kreditinstitute dem Bundesamt für Finanzen jährlich den Freistellungsbetrag eines jeden Sparers nach Bonn melden müssen.

Ab April werden dann die Einblicke in das Finanzgebaren der Sparer und Anleger noch tiefer, wenn Finanzbehörden auf elektronischem Wege die Kontenstammdaten abrufen können. Organisatorisch wird der E-Zugriff vom Bundesamt für Finanzen in der Bonner Friedhofstraße abgewickelt, einer Außenstelle von Bundesfinanzminister Hans Eichels (SPD) Berliner Ministerium. Eine solche so genannte Kontenevidenzzentrale war ursprünglich nur für die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin vorgesehen gewesen. Dort ist das „Konten-Online-Abrufverfahren“ schon seit April 2004 im erfolgreichen Einsatz. Bis dahin hatte ein Auskunftsersuchen mühsam an über 3.000 Finanzinstitute in der ganzen Republik adressiert werden müssen. Ab April werden nun auch die Finanzämter auf das Online-Abrufverfahren zählen können. Per Mausklick über die Zentrale stellt sich dann heraus, bei welchem Institut ein Steuerpflichtiger sein Konto oder Depot unterhält. Mehr als die Stammdaten, also wer wie viele und welche Konten bei welcher Bank oder welchen Banken unterhält und welche anderen Verfügungsberechtigten es gibt, ist damit aber nicht zu erfahren – schließlich geht es nur darum herauszubekommen, ob die entsprechenden Angaben in der Steuererklärung richtig sind. Konkrete Kontenbewegungen, so wird vom Finanzministerium versichert, könnten auf diesem Weg nicht festgestellt werden, sondern bedürfen weiterhin des üblichen Rechtsweges.

„Jeder hergelaufene Beamte kann jetzt in meinem Konto rumschnüffeln“, erregt sich ein Bürger am Sorgentelefon der SPD. Von solcher Aufregung will die Bundesregierung jedoch nichts wissen. In Regierungskreisen geht man von folgendem Szenario aus: Bevor ein Finanzbeamter Alarm schlägt, muss er erst einmal Verdacht schöpfen, etwa weil die Einnahmen hoch und die Zinsen im Steuerbescheid niedrig sind. Der Beamte werde dann den Betroffenen anrufen oder anschreiben, um das finanzielle Rätsel zu lösen. Erst wenn die Antwort unbefriedigend ausfalle, werde der Finanzbeamte die Konten über das Bundesamt für Finanzen abfragen, versichert man in Berlin. Der mögliche Steuersünder wird dann nochmals über seine Bankverbindungen befragt, und erst danach kann der Finanzbeamte im Zweifelsfall von den einzelnen Banken verlangen, dass sie die Guthaben und auch die Geldbewegungen offen legen.

Bevor ein Finanzbeamter Alarm schlägt, muss er erst einmal Verdacht schöpfen, etwa weil …

Ohne den neuen Zugriff auf das Kontenevidenzsystem wäre das nicht möglich gewesen, weil der Beamte nicht gewusst hätte, bei welcher Bank oder Sparkasse jemand ein Konto unterhält. In den Ausführungsbestimmungen, denen die Länder noch zustimmen müssen, hat die Regierung einen Wunsch des Datenschutzbeauftragten erfüllt: Über eine Kontenabfrage wird der Kontrollierte im nächsten Steuerbescheid informiert.

Die Regierung wähnt sich bei der Kontenkontrolle im Einklang mit den Verfassungsrichtern. Beifall spendet ihr die Deutsche Steuer-Gewerkschaft: „Niemand regt sich auf, wenn Lohnsteuerdaten elektronisch dem Finanzamt zugeleitet werden. Groß ist die Aufregung immer dann, wenn es um die Einkommensart Kapitalvermögen geht.“ In die gleiche Kerbe schlägt die globalisierungskritische Organisation Attac und fordert vollautomatische detaillierte Kontrollmitteilungen der Banken an den Fiskus – wie in den USA. Für Attac geht es um „das Prinzip sozialer Gerechtigkeit“.

Banken, Sparkassen und Wirtschaft fordern dagegen eine „Beschränkung der Kontrollmaßnahmen“. Professor Erich Samson von der Bucerius Law School in Hamburg hält den Einbruch ins Bankgeheimnis sogar für verfassungswidrig. Besorgt zeigt sich ebenfalls Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar, er „fürchtet den gläsernen Bankkunden“ und hält die Neuregelung für „verfassungsrechtlich bedenklich“.

Beim Bundesverfassungsgericht selbst sind mehrere Verfassungsbeschwerden eingegangen. Eine davon stammt von der kleinen Volksbank Raesfeld im Münsterland. Sie hat nicht nur geklagt, sondern auch einen Eilantrag gestellt, der die Kontenkontrolle noch vor dem Startschuss stoppen soll. Über ihn werden die Karlsruher Oberrichter in diesem Monat entscheiden.