: So fern und doch so nah
AUS TAIPEH SVEN HANSEN
Diese Firma war lange das Vorzeigeunternehmen Taiwans und das Paradebeispiel für den Aufstieg des kleinen Inselstaats zum zum High-Tech-Land. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, einer der Manager saß vorübergehend in Untersuchungshaft, ein zweiter hat das Verbot bekommen, das Land zu verlassen. Der Fall UMC ist derzeit das Politikum in Taiwan.
UMC seht für United Microelectronic Corporation, dem weltweit zweitgrößten Auftragshersteller für Computerchips. Mitte Februar durchsuchte die Staatsanwaltschaft die UMC-Büros in Taipeh. Die Beamten des Justizministeriums gingen einem Tipp nach, dass UMC in die chinesische Halbleiterfabrik Hejian in der Nähe von Schanghai investiert und ihr auch Patente überlassen habe. Nach taiwanischem Recht ist das streng verboten.
Im Laufe der weiteren Ermittlungen wurde der Geschäftsführer von Hejian, ein Taiwaner, der vorher bei UMC angestellt war, festgenommen und gegen den Vizechef von UMC ein Ausreiseverbot erlassen. Inzwischen hat UMC-Chef Robert Tsao das Chinageschäft eingeräumt. Hejian sei ein Verbündeter, an dessen Entwicklung UMC interessiert sei, erklärte er. Denn UMC wolle die 2001 gegründete Fabrik kaufen, sobald Taiwans Gesetze dies zuließen. Nur so könne UMC auf dem sich rasant entwickelnden Halbleitermarkt in China eine Spitzenposition einnehmen.
UMC ist nur ein Beispiel für die immer stärkere Verflechtung der taiwanischen Wirtschaft mit der Chinas. Im vergangenen Jahr stieg das Volumen des bilateralen Handels um 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr – auf insgesamt 70 Milliarden Dollar. Dabei gelten in Taiwan seit 1996 strenge Auflagen für Investitionen in China. Taipeh will die Insel, die „abtrünnige Provinz“, wie sie in China heißt (siehe Kasten), nicht in zu starke wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik kommen lassen. Gerade auf dem wichtigen Halbleitersektor fürchtet die Regierungung den technologischen Vorsprung. Und man will keine Arbeitsplätze verlieren, wenn die teuer entwickelte Chipindustrie der taiwanischen Elektroindustrie aufs kostengünstigere chinesische Festland folgen sollte.
Doch die taiwanische Industrie lässt sich nicht wirklich abhalten. Um die von Taipeh erlassenen Beschränkungen zu umgehen, gründen taiwanische Firmen in karibischen Offshore-Finanzplätzen wie den Virgin Islands Briefkastenfirmen, über die sie in China investieren. Taiwans Behörden können dies nur selten zweifelsfrei nachweisen. So sollen laut Experten seit 1993 fast 100 Milliarden Dollar aus Taiwan in China investiert worden sein, offiziell ist bisher nur von 43 Milliarden Dollar die Rede.
Taiwans Industrie gibt sich dementsprechend selbstbewusst. Sie fürchtet um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Und nachdem sich der UMC-Chef beschwert hatte, die Durchsuchung seiner Firmenzentrale sei politisch motiviert, wechselte der Fokus der Debatte schnell von UMC zu den Restriktionen der Regierung, die bisher erst eine einzige Genehmigung zum Bau einer Halbleiterfabrik in China erteilt hat. Auch dass der UMC-Rivale TSMC darauf zwei Jahre warten musste und dann nicht die neueste Technologie verwenden durfte, wird kritisiert. „Wenn die Industrie das Gefühl hat, Fälle wie UMC seien normal, sollte vielleicht das Gesetz geändert werden“, kommentierte schließlich der seit 1. Februar amtierende Premierminister Frank Hsieh.
Hsieh gilt als wirtschaftsfreundlicher Pragmatiker, der China nicht provozieren will. Er wurde von Präsident Chen Shui Bian ernannt, nachdem ihre gemeinsame Partei, die nach Unabhängigkeit strebende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) bei den Wahlen im Dezember zusammen mit ihrem Bündnispartner, der radikaleren Taiwan Solidaritäts-Union (TSU), gegen die Opposition verloren hatte. Chen Shui-bian musste deshalb Ende Februar auch auf die Opposition zugehen, die die Unabhängigkeit ablehnt. In einer gemeinsamen Erklärung ging Chen danach auf Abstand zu seinem bisherigen Unabhängigkeitskurs.
In Meinungsumfragen befürwortet eine Mehrheit der Taiwaner – auch wegen Chinas Drohungen – die Beibehaltung des Status quo. Doch seit einigen Jahren wächst die Zahl der Befürworter der Unabhängigkeit. „Taiwan ist anders als China. Wir wollen nicht mehr an den Folgen des Bürgerkriegs leiden und den alten Konflikt zwischen Kuomintang und Kommunisten fortsetzen“, sagt der Direktor des Politikforschungszentrum der TSU, Lee Shangren, in Taipeh. „Wir wollen über unsere politische Zukunft selbst bestimmen. Die liegt in Taiwan und nicht in China.“
Die Unabhängigkeitsbefürworter sind besonders stark im Süden der Insel. Dort wurde die bis 2000 anhaltende Herrschaft der aus China stammenden Kuomintang (KMT) bereits als chinesische Fremdbestimmung empfunden. „Die KMT hat mehr für den Norden getan“, sagt die Politologieprofessorin Liao Daichi von der Sun-Yatsen-Universität im südlichen Kaohsiung. „Die Menschen im eher agrarisch geprägten Süden wollen endlich mitbestimmen.“ Und sie meint, inzwischen dominierten die Unabhängigkeitsbefürworter Taiwans politischen Diskurs.
Taiwan und China sind laut Liao in den letzten Jahren zwar wirtschaftlich näher zusammengewachsen, doch politisch bewegten sie sich auseinander. Dabei leben Schätzungen zufolge heute bis zu einer Millionen Taiwaner in China. „Doch sie fühlen sich dort wie in einem fremden Land,“ sagt Liao. „Sie spüren zwar den gleichen kulturellen Hintergrund, doch werden ihnen auch gesellschaftliche und politische Unterschiede deutlich.“ Sie seien stolz auf ihre Demokratie und fühlten sich besonders dann als Taiwaner, wenn China der Insel drohe: „Chinas Verhalten bestimmt über Taiwans Identität.“ Zugleich kritisiert die Professorin aber auch den taiwanischen Nationalismus. Der drohe ganze Gruppen, wie die vom Festland stammenden Taiwaner, auszuschließen. Radikale Unabhängigkeitsbefürworter forderten bereits, dass „Festländer“ keine Regierungsposten mehr bekommen sollten.
Im Norden Taiwans leben mehr Bürgerkriegsflüchtlinge vom Festland und ihre Nachkommen, weshalb die Region einer weiteren wirtschaftlichen Integration mit China sowie der Aufnahme direkter Verkehrsverbindungen viel offener gegenübersteht. Bisher muss ein Flug über die Straße von Taiwan den Umweg über Hongkong oder Macau nehmen. Wegen der kürzeren Vorwarnzeit bei Direktflügen hat Taipeh nämlich Sicherheitsbedenken. Das macht einen Flug nach Schanghai, der auch nur 90 Minuten dauern könnte, zur Tagesreise und verteuert Handel und Investitionen. Taiwans Wirtschaft will deshalb direkte Verbindungen, wie auch China.
„Präsident Chen Shui-bian versprach die Aufnahme von Direktflügen bis Ende 2004, doch das Versprechen hat er nicht gehalten“, wirft der KMT-Sprecher für Festlandsangelegenheiten, Chang Jung-kung, der Regierung vor. Er behauptet, unter der KMT würde es diese Flüge bereits geben. Der Vorsitzende des Rats für Festlandsangelegenheiten der Regierung, Minister Joseph Wu, verweist darauf, dass die DPP-Regierung mit Peking zum diesjährigen chinesischen Neujahrsfest im Februar 56 direkte Charterflüge für Geschäftsleute vereinbart habe. Jetzt strebe Taipeh direkte Frachtflüge an.
„Die Quelle der Spannungen liegt in Chinas Aufrüstung“, meint Wu. „China hat 700 Raketen gegenüber unserer Küste aufgestellt und baut seine U-Boot-Flotte aus.“ Für Direktverbindungen bedürfe es vertrauensbildende Maßnahmen. Peking ignoriert Taiwans Gesprächsangebot über Frachtflüge weitgehend und drängt auf normale Verbindungen. Zudem lockt Peking mit der Möglichkeit größerer Agrarexporte in die Volksrepublik. In Taiwan wird dies als Versuch gewertet, die meist die Unabhängigkeit befürwortenden Bauern umzustimmen.
Professorin Liao glaubt, dass die wirtschaftlichen Interessen einen größeren Konflikt verhindern und letztlich dazu führen, dass Taiwan und China wieder enger zusammenrücken. Doch dazu müssen von beiden Seiten größere Provokationen ausbleiben. Doch der Unabhängigkeitsbefürworter Lee Shangren von der TSU warnt: „China will die Geschäftsleute benutzen, um Druck auf unsere Regierung auszuüben.“ Er warnt vor zu viel Handel mit China: „Unsere Manager sollten sich stärker um Geschäfte mit anderen Ländern bemühen.“
Auch direkte Verbindungen mit China lehnt Lee ab, solange nicht alle Sicherheitsbedenken wirklich ausgeräumt seien. Bei den Charterflügen zu Neujahr habe die Regierung überhastet gehandelt. Und auch im Fall des Halbleiterproduzenten UMC spiele die Politik keine Rolle. „Das Gesetz muss befolgt werden“, sagt Lee. „Die Hochtechnologie muss in Taiwan bleiben, und wir müssen an unsere Arbeitskräfte denken.“