: SPD-Abgeordnete im Aufstand gegen Clement
Massenarbeitslosigkeit wird zum Top-Wahlkampfthema: Vier sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete aus NRW erklären den SPD-Bundeswirtschaftsminister für unfähig. CDU nimmt Abschied von der Arbeitsmarktpolitik
DÜSSELDORF taz ■ Die immer weiter steigenden Arbeitslosenzahlen versetzen die nordrhein-westfälische SPD in helle Aufregung. Sechs SPD-Bundestagsabgeordnete, darunter vier aus NRW, proben den offenen Aufstand gegen den sozialdemokratischen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement. Dessen Vorschläge zur weiteren Absenkung der Unternehmenssteuern seien „abwegig“, schreiben die Parlamentarier Anton Schaaf (Mülheim), René Röspel (Hagen), Dietmar Nietan (Düren) und Willi Brase (Siegen) zusammen mit dem bayerischen Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel und dem aus Baden-Württemberg stammenden Klaus Kirschner.
Die „Dramatik der Lage“ erfordere ein „sofortiges Handeln der Bundesregierung“, die „Zeit der Appelle“ sei vorbei. Clements Vertröstungen seien keine Lösung, glauben die sechs SPD-Abgeordneten, die Hartz-Reformen erfolglos. Um das Sozialdumping zu stoppen, müssten Mindestlöhne eingeführt, die Bundesrepublik aus der „deflationären Zange“ des EU-Stabilitätspakts befreit werden – eine klare Absage an den neoliberalen Kurs Clements, der stattdessen der Arbeitgeberseite entgegenkommen will. Die sechs SPD-Abweichler setzen dagegen auf staatliche Konjunkturprogramme: Die Kommunalfinanzen sollen gestärkt, die Investitionsfähigkeit der Städte gestärkt werden. Auch ein bereits im SPD-Bundesvorstand gefordertes „Sofortprogramm“ zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verdiene Unterstützung. Der Vorstoß der Sechs werde am kommenden Montag Thema in der SPD-Bundestagsfraktion, war in Berlin zu hören.
Rot-Grün in NRW setzt dagegen weiter auf Business as usual. Zwar erklärte der SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Edgar Moron, die Schaffung neuer Jobs sei die größte Aufgabe der Politik wie der Wirtschaft. Dennoch hoffen Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten bis zur Landtagswahl im Mai auf ein saisonal bedingtes Sinken der Arbeitslosenzahlen. Harald Schartau, sozialdemokratischer Landesminister für Wirtschaft und Arbeit, setzt deshalb auf neben der Arbeitsmarktpolitik vor allem auf eine verbesserte Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Außerdem will Schartau, der auch Vorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD ist, die Ein-Euro-Jobs zur verstärkten Integration in den ersten Arbeitsmarkt nutzen.
Marktradikal geben sich dagegen die Christdemokraten. Die „Jobmotoren Flughäfen, Hochschulen und Gesundheit“ könnten zusammen mit weiteren 400-Euro-Minijobs ein „Potenzial von bis zu einer Million Arbeitsplätzen“ erschließen, glaubt Nordrhein-Westfalens CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers. Wie viele Jobs sein Programm aber real schaffen soll, lässt Rüttgers bewusst offen – er wolle „weitere Enttäuschungen“ vermeiden. „Kein Potenzial kann zu 100 Prozent ausgeschöpft werden“, so der CDU-Fraktionschef.
Rüttgers Schatten-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann verkündet unterdessen die Kehrtwende des CDU-Arbeitnehmerflügels. Die gesamte bisherige Arbeitsmarktpolitik sei gescheitert. „Mit der Arbeitsmarktpolitik sind die Probleme am Arbeitsmarkt nicht zu lösen“, sagt Laumann. Wie Rüttgers setzt der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse auf längere Arbeitszeiten, weniger Arbeitnehmerrechte durch ein „überschaubares Arbeitsrecht“, eine Vereinfachung des Planungsrechts, um Großprojekte wie etwa den Ausbau von Flughäfen und Autobahnen schneller umsetzen zu können. „Wir sind in einer Scheiß-, Entschuldigung, in einer sehr schlechten Lage“, sagt Laumann zur Begründung.
„Nicht festgelegt“ hat sich der CDU-Sozialpolitiker beim Thema Mindestlohn – auch der könne eine Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer nicht stoppen. Die Grünen mahnen dagegen eine „stärkere Verantwortung der Unternehmen“ an, so Barbara Steffens, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der NRW-Landtagsfraktion: „Dagegen steht die dumpfe Forderung nach Steuer- und Abgabenentlastung sowie dem Abbau von Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ ANDREAS WYPUTTA