: „Gegen Wettbewerbe“
EIN LEBEN IN 30.0000 FILMEN Ulrich Gregor hat das Internationale Forum des Jungen Films ins Leben gerufen. Ein Gespräch
■ geboren 1932 in Hamburg, macht sich auf vielfältige Weise für das Kino als Kunst stark. Ab 1957 schrieb er gemeinsam mit Enno Patalas für die Zeitschrift Filmkritik. 1963 gründete er zusammen mit seiner Frau Erika Gregor den Verein „Freunde der deutschen Kinemathek“, der ab 1970 das Arsenal-Kino in Westberlin betrieb. Von 1971 bis 2001 leitete er das Internationale Forum des Jungen Films, das zunächst als Gegenveranstaltung, dann als Teil der Berlinale konzipiert war.
INTERVIEW BERT REBHANDL
taz: Herr Gregor, welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Ulrich Gregor: Gerade läuft bei uns im Arsenal eine bulgarische Filmreihe, vieles davon ist ganz erstaunlich, mit einem hohen Grad der künstlerischen Verdichtung. Da gab es einige Überraschungen zu sehen.
Und was war der allererste Film?
Aus der Kindheit in Hamburg und später in Pommern habe ich einige Filme in vager Erinnerung, das müssen irgendwelche Western gewesen sein, ich weiß, dass Indianer mit wildem Geschrei herumtanzten und eine Siedlung bedrohten. Es gab im Hitlerdeutschland ja anfangs auch noch einige importierte amerikanische Filme. Und dann habe ich auch einen Nazifilm gesehen, möglicherweise war es „Ohm Krüger“.
Das ist also in etwa die Bandbreite eines langen Lebens mit Filmen. 1970 war ein entscheidender Moment, weil damals die Gründung des Internationalen Forums des Jungen Films im Rahmen der Berlinale ins Werk gesetzt wurde. Was war damals los?
Als die Krise der Berlinale eintrat, waren wir – die Leute vom Verein Freunde der Deutschen Kinemathek – da, um das Festival zu retten. Es gab 1970 eine große Turbulenz um den Film „O.K.“ von Michael Verhoeven. Darin ging es um amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam. Der Film spielte in Bayern, war aber kaum verschlüsselt auf den Krieg in Südostasien zu beziehen. Das Gerücht tauchte auf, dieser Film würde wegen seines antiamerikanischen Engagements aus dem Wettbewerb herausgenommen. Diesem Gerücht hätte man mit einem entschiedenen Dementi entgegentreten können, aber es entstand eine Eskalation aus Statements und Gegenstatements daraus. Die Leute gingen schließlich nicht mehr in die Filme, sondern nur noch in Pressekonferenzen. Und dann wurde das Festival abgebrochen. Wir veranstalteten 1970 ein Gegenfestival, übrigens mit der ersten Fassbinder-Retrospektive in Deutschland, und dieses Festival wurde ungehindert zu Ende geführt. Es entsprach sehr unserer Idealvorstellung: alte und neue Filme kombiniert.
Dieses Gegenfestival war – noch inoffiziell und ohne den Namen – de facto das erste Forum?
Ja. Wir bekamen deswegen diese Offerte, ohne dass wir uns vorgedrängt hatten. Im Dezember 1970 fragte man uns, ob wir bereit wären, eine Parallelveranstaltung bei der Berlinale unter eigener Verantwortung durchzuführen. Festivaltermin war damals ja noch im Sommer. Man musste nach dem Debakel von 1970 irgendetwas tun, es konnte so nicht weitergehen. Die Stimmung war sehr stark gegen Wettbewerbe, wenn man den nicht abschaffen wollte, dann musste man zumindest eine ergänzende Veranstaltung anbieten. Wir waren ja auch kein Verein von Chaoten oder Anarchisten, sondern rechtfertigten ein gewisses Vertrauensverhältnis – Misstrauen gab es allerdings auch. Bedingung war schließlich nur, dass wir ins Reglement einen Passus aufnehmen mussten, dass wir uns „für die Freundschaft zwischen den Nationen“ einsetzen wollten. Das war für die Festivalleitung eine Rückversicherung gegen Antiamerikanismus.
Mit Blick auf das Programm von 1971 – welcher Film veranschaulicht besonders gut die Kriterien, nach denen damals ausgewählt wurde?
Ein Film, der uns sehr beeindruckt hat und bis heute sehr lebendig ist, ist „Winter Soldiers“. Man sieht darin Veteranen der US-Armee, die sich zu einem Meeting zusammenfinden und über ihre Erfahrungen sprechen. Es ist ein 16-mm-Film, der eine unglaubliche Kraft durch die Einfachheit seiner Mittel hat und durch das, was mitgeteilt wurde. Regie führte keine Einzelperson, sondern das Winter Film Collective. Man sieht auch John Kerry, den späteren Präsidentschaftskandidaten, am Tisch sitzen.
Aus dem neueren Kino, das im Forum zu sehen war, was würden Sie da beispielhaft herausheben wollen?
■ Im Februar feiert die Berlinale ihren 60., das Internationale Forum des Jungen Films seinen 40. Geburtstag. Das Arsenal-Kino zeigt ab heute einen Querschnitt aus dem Programm – mit der Besonderheit, dass Regisseure, die ihre Filme im Forum präsentierten, solche Filme vorstellen, die ihnen besonders am Herzen liegen. Den Auftakt macht der Japaner Sabu, der Hou Hsiao-Hsiens Film „Lien Lien Fung Chen“ (1986) ausgewählt hat. Das Programm findet sich unter www.arsenal-berlin.de.
Was mir sehr gefällt, sind die Experimentalfilme von Sharon Lockhardt, die haben etwas Herausforderndes, um nicht zu sagen Aggressives, durch ihre Eigenwilligkeit und durch die Negation konventioneller filmischer Standards. Ihr erster Film „Teatro Amazonas“ zeigt, wie ein großes Opernhaus sich langsam mit Menschen füllt – sie zeigt das in einer Einstellung, von der Bühne aus. Es gibt eine subtile Verschiebung im Ton, allmählich schieben sich musikalische Motive, eine Struktur, dazwischen. Diese langsame Aufbauen, die Strenge der Konstruktion und das Gewimmel in den kleinen Details bilden einen spannungsvollen Zusammenhang. Die Filme sind durchaus umstritten. Als wir den ersten Film von Sharon Lockhardt sahen, da ging es bei uns in den Sitzungen hin und her. Und bei der Vorführung waren dann auch einige Zuschauer sehr böse. Sharon Lockhardt hat sich da nicht besonders aufgeregt, sie hat das in einem gewissen Sinne ja sogar genossen.
Wie viele Filme werden Sie in Ihrem Leben insgesamt gesehen haben?
Tja. Auf 30.000 würde ich wohl kommen. Aber ich weiß nicht, ob das so viel zu bedeuten hat. Manche Filme schwinden aus der Erinnerung, andere haken sich irgendwie fest.