: Rasanter Wandel in Uruguay
Revolution im Halbstundentakt: In den ersten 30 Minuten seiner Amtszeit legt der Sozialist Tabaré Vázquez die Ziele seiner Regierung fest und ernennt eine Kommunistin zur Entwicklungsministerin
AUS BUENOS AIRES INGO MALCHER
Ein Festtag geht mit traurigen Melodien zu Ende. Vor dem blau-gelb bestrahlten Nationalkongress der uruguayischen Hauptstadt Montevideo spielt am späten Abend ein Tangoorchester auf. Die schwermütige Musik in der Nacht war der Kontrast zum Tagesprogramm. Tausende von Uruguayern hatten auf den Straßen von Montevideo fahnenschwenkend und tanzend die Amtsübernahme des ersten linken Präsidenten des Landes gefeiert. Mittags um halb zwei Uhr hob der Sozialist Tabaré Vázquez im Kongress die Hand zum Schwur vor Senatspräsident Pepe Mujica, ehemaliger Stadtguerillero der Tupamaros, als politischer Gefangener der Diktatur in Kerker gesperrt und gefoltert. Zur späten Genugtuung sagte Mujica: „Ich danke dem Leben, dass ich diese Gelegenheit habe.“
Das am meisten gebrauchte Wort dieser Tage in Uruguay ist „cambio“, Veränderung. Seit den Wahlen vom 31. Oktober vergangenen Jahres, bei denen sich Vázquez als Kandidat des Linksbündnisses „Frente Amplio“ (Breite Front) schon im ersten Wahlgang gegen die Kandidaten der beiden traditionellen Rechtsparteien durchsetzte, gibt es in dem Drei-Millionen-Einwohner-Land tatsächlich Hoffnung auf Veränderung.
Und die begann kurz nach dem Amtseid. Vázquez war gerade einmal 30 Minuten Präsident von Uruguay, da hatte er auch schon seinem Land eine Richtungsänderung verordnet. Per Dekret richtete er ein Ministerium für soziale Entwicklung ein, dem die Kommunistin Marina Arismendi vorsteht. Er schuf weiter einen Sozialplan, der ein Notprogramm für die Ärmsten des Landes bereitstellt, und er nahm die diplomatischen Beziehungen zum sozialistischen Kuba wieder auf, die sein Vorgänger 2002 abgebrochen hatte.
Doch nicht nur in seinen ersten Amtshandlungen setzte er sich von seinem Vorgänger Jorge Batlle ab. In seiner Antrittsrede vor dem Kongress gab Vázquez auch eine Neuorientierung in der Außenpolitik bekannt. Uruguay wolle künftig „einen besseren und größeren Mercosur“, sagte Vázqzez. Batlle hatte eine enge Anbindung an die USA dem Südamerikablock vorgezogen.
„Es war ein weiter Weg, auf dem uns die Ideale der Freiheit, der Solidarität und der Gleichheit zusammengehalten haben“, sagte Vázquez vor dem Kongress über seine Partei Frente Amplio.
Mit dem Politikwechsel in Uruguay kommt eine in Lateinamerika einzigartige Linkspartei an die Regierung. Die Frente Amplio wurde vor 34 Jahren gegründet und vereinigt Kommunisten, ehemalige Guerilleros, Sozialisten und linke Sozialdemokraten. Schon seit Jahren stellt die bunte Truppe den Bürgermeister von Montevideo, auch Vázquez hat dort regieren gelernt. Nicht immer war es einfach, das Bündnis zusammenzuhalten, doch die Einheit der Linken war die einzige Möglichkeit, Veränderungen in Uruguay durchzusetzen.
Doch auch Vázquez weiß, dass das vor ihm Liegende die eigentliche Herausforderung ist. Uruguay wurde 2002 von einer schweren Finanzkrise gebeutelt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Armut ist seit der Jahrtausendwende gewachsen und das Land ist hoch verschuldet. Deshalb warnt Vásquez, seine Regierung könne „keine Wunder vollbringen“. Er mahnt zur Einheit: „Ich weiß, es werden Stunden der Differenz kommen, aber sie sollen nie so groß sein, dass wir damit das belasten, was wir erreicht haben.“
Fast alle Präsidenten Südamerikas nahmen an der Vereidigungszeremonie teil, vorne weg die Linken Lula da Silva aus Brasilien, Néstor Kirchner aus Argentinien und Hugo Chávez aus Venezuela. Allein der rechte kolumbianische Staatschef Alvaro Uribe fehlte im Zuschauerraum des Parlaments. Dafür brachte Hugo Chávez ein Antrittsgeschenk für die „demokratische Revolution“ (Chávez) der Uruguayer mit. Schon am Nachmittag unterzeichnete er mit Vázquez ein lateinamerikanisches „Öl gegen Nahrungsmittel“-Abkommen: Gegen Fleisch und Milchprodukte aus Uruguay wird Venezuela Erdöl liefern.