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Archiv-Artikel

„Ich bin nicht Elfriede Jelinek“

LITERATUR Die Autorin und neue ZDF-Literaturkritikerin Amelie Fried über die Bedeutung des Lesens, gut gemachte Unterhaltung, Perfektionismus und typisch deutsche Vorbehalte

Amelie Fried

■ Moderatorin: Ab 10. Juli (22.30 Uhr) tritt die 50-Jährige im ZDF die Nachfolge von Elke Heidenreich an. Zusammen mit dem Zeit-Literaturkritiker Ijoma Mangold moderiert sie die Büchersendung „Die Vorleser“. Ihren Platz neben Giovanni di Lorenzo in der Talkshow „3 nach 9“ gab sie dafür nach mehr als zehn Jahren auf. Begonnen hat sie ihre Moderatorenkarriere 1984 in der Jugendsendung „Live aus dem Alabama“.

■ Autorin: Amelie Fried schreibt seit 1995 Kinder- und Erwachsenenbücher. Viele ihrer Romane wurden verfilmt wie etwa „Traumfrau mit Nebenwirkungen“. In „Schuhaus Pallas“ beschäftigt sie sich mit ihrer jüdischen Familiengeschichte. Ihr neuer Roman „Immer ist gerade jetzt“ (Heyne Verlag) erzählt von einer Mutter, die ihre 18-jährige Tochter in die Selbständigkeit entlassen muss.

INTERVIEW DANIELA ZINSER

taz: Frau Fried, was macht für Sie ein gutes Buch aus?

Amelie Fried: Ein gutes Buch erreicht für mich Herz und Hirn gleichermaßen. Ich bin weder so eine hormonelle Leserin, die immer nur schwärmt: Hach, das hat mich sooo berührt. Ich bin aber auch keine, die nur scharfsinnig analysiert. Mich muss es emotional und intellektuell packen.

Wenn Sie einen flammenden Appell fürs Lesen halten müssten, wie würde der klingen?

Leute, neben dem, Leben das ihr führt, neben der Welt, die ihr kennt, gibt es unendlich viele andere Welten und die könnt ihr euch durchs Lesen erobern. Ich bin da gar nicht missionarisch in dem Sinne, dass ich sage: Ihr müsst aber lesen. Es tut mir einfach nur leid, wenn jemand diesen Zugang nicht findet, weil ihm so unendlich viel entgeht.

Was war für Sie das prägendste Leseerlebnis?

Es gab nicht das eine Leseerlebnis. Ich habe schon als kleines Mädchen sehr viel vorgelesen bekommen und konnte mit fünf schon lesen. Von da an las ich ständig, erst die Kinderklassiker, später vieles aus der Bibliothek meines Vaters. Ich hatte mal eine französische Phase, las Gide, Stendal, Zola, fühlte mich sehr interessant und dachte, ich könnte bei Männern Eindruck machen, wenn ich viele tolle Bücher kenne, aber das interessiert die meisten Männer nicht so. Dann hatte ich eine Phase mit Anais Nin, Henry Miller und Lawrence Durrell. Eines der prägendsten Bücher ist „Lichtjahre“ von James Salter. Dieses Buch handelt davon, dass man das Glück nicht halten kann. Ich habe es kurz vor meinem 40. Geburtstag gelesen, wo man ja als Frau immer ein bisschen mit dem Schicksal hadert. Das hat mich völlig umgeworfen.

Wie würden Sie das Genre nennen, in dem Sie schreiben?

Das ist Unterhaltungsliteratur.

Ärgern Sie sich, wenn Sie mit Ihren Büchern in die Kategorie Frauenliteratur gesteckt werden?

Für mich ist der Begriff Frauenliteratur dumm und diskriminierend. Was soll das sein? Schwachsinn für Minderbemittelte? Nach welchen Kriterien wollen wir das entscheiden? Die Autorin ist eine Frau? Reicht nicht. Es wird von Frauen gelesen? Belletristik wird fast nur von Frauen gelesen. Es kommt eine Frau drin vor oder die Heldin ist eine Frau? Auch das kommt gelegentlich in anderer Literatur vor. Der Begriff ist ein sehr deutsches Phänomen. Auch dass man sich immer dafür rechtfertigen muss, dass man „nur“ Unterhaltung schreibt. Warum? Es gibt Winzer, die stellen einen prima Tafelwein her, der von vielen Leuten gern getrunken wird. Die werden dafür auch nicht angegriffen. Sie sind trotzdem in der Lage, Spitzenweine zu erkennen und zu beurteilen. Mich immer rechtfertigen zu müssen, das nervt mich wirklich. Also, es tut mir leid, ich bin eben nicht Elfriede Jelinek.

Gibt es im Genre Unterhaltung auch noch Abstufungen?

Natürlich gibt es die. Ich ärgere mich, wenn ich genreübergreifend verglichen werde, weil es da natürlich leicht ist, mir eins reinzuwürgen. Aber wenn Sie es innerhalb des Genres vergleichen, dann denke ich schon, dass meine Bücher eine gut konzipierte Geschichte haben, eine ordentliche Dramaturgie. Die Figuren sind nicht nur Schablonen, sie machen eine Entwicklung durch, die nachvollziehbar ist. Und es geht um durchaus ernste Themen, nicht nur immer um „sie trifft ihn“. Ich habe schon das Selbstbewusstsein zu sagen: Innerhalb dieses Genres sind meine Bücher nicht schlecht. Und sie werden von sehr vielen Menschen gerne gelesen.

Welche Leserin haben Sie beim Schreiben gedanklich vor sich?

„Bei der Sendung ‚Die Vorleser‘ gibt es keine Hybris von wegen: Das ist uns zu trivial“

Überhaupt keine. Ich kann nur Geschichten schreiben, die irgendwas mit meinen Interessen, Erfahrungen, Empfindungen zu tun haben. Ich kann das an einem Beispiel schildern: Als ich über die Geschichte meiner jüdischen Familie recherchiert habe, stand ich zeitweise vor Abgründen. Alle Gewissheiten sind erschüttert worden. Diese Empfindung habe ich zur emotionalen Unterströmung meines Romans „Die Findelfrau“ gemacht. Darin geht es um eine Frau, die mit Ende 30 erfährt, dass sie ist nicht das Kind ihrer Eltern ist. Auch sie steht eines Tages vor dieser Situation, dass das, was sie über ihre Herkunft zu wissen glaubte, nicht mehr zutreffend war. Die Geschichte ist eine andere, aber die Gefühle sind ähnlich. Ich glaube, so kriegen meine Bücher was sehr Authentisches.

In Ihrem neuen Buch „Immer ist gerade jetzt“ beschreiben Sie den Ablöseprozess von Mutter und Tochter. Beruht auch das auf eigenen Erfahrungen?

Ja. Vor zwei Jahren ging mein Sohn für ein Jahr nach Amerika, und ich hatte vorher schlaflose Nächte und war ganz durcheinander, weil ich solche Ablöseschmerzen empfunden habe. Denn mir war klar: Diese Nähe, die bisher da war, die wird vielleicht nie wieder entstehen. Das war die Unterströmung für dieses Buch. Und ich kann mich auch in die jugendliche Tochter noch gut hineinversetzen.

Beim Lesen begegnen einem immer wieder Klischees. Wie wichtig sind sie in dem Genre?

Das Genre funktioniert nach bestimmten Regeln. Also wenn mir gelegentlich vorgeworfen wird, dass meine Bücher gut ausgehen, dann sag ich: Ja, liebe Leute, wenn ich diese Art von Unterhaltung schreibe, dann müssen die Bücher zumindest einen positiven Ausblick geben. Bei mir gibt es ja nie das nette Geschenkpapier-Happy-End mit Schleife. Aber so eine Perspektive in der Liebe, die muss man dem Leser einfach gönnen. Und was als klischeehaft empfunden wird, ist ein Wiedererkennungseffekt. Ich denke nicht, dass das ein Fehler ist in diesem Genre.

Wie stark feilen Sie an Ihrem Stil? Haben Sie Sätze, die Sie am liebsten einrahmen würden?

Eher im Gegenteil. Bei den Lesungen streiche und verbessere ich und bastele mir so eine Idealfassung, bei der ich mich ärgere, dass ich die nicht schon im Buch drin habe. Ich bin sehr perfektionistisch und mir ist es wichtig, eine anständige Sprache zu verwenden. Natürlich ist das eine einfache Sprache, aber innerhalb des Stils muss es stimmen.

Sagen Ihre Freunde schon mal: Dass ist jetzt aber kein Futter für einen Roman?

Meine Themen sind so verbreitet, dass man gar keinen Einzelfall beschreiben muss. Wenn ich ganz bestimmte Elemente verwenden möchte, frage ich meine Freundinnen vorher, ob ich das darf. Das Tolle ist ja: Die, die ich meine, fühlen sich nicht gemeint. Ich hab in meinem ersten Roman meinem Exfreund so richtig einen mitgegeben und ihn als ziemlich unsympathischen Typen beschrieben. Jahre später sagte er zu mir: „Also Amelie, was ich ja nicht verstehe: Wieso komm ich eigentlich in keinem deiner Bücher vor?“

„Mein Buch ‚Der Mann von nebenan‘ hat mich von einem Mord abgehalten“

Das ist eigentlich ein ganz gutes Ventil.

Das Buch „Der Mann von nebenan“ hat mich von einem Mord abgehalten. Da gab es einen heftigen Streit zwischen uns und einem Nachbarn, der uns terrorisiert hat. Ich war irgendwann an dem Punkt: Entweder ich nehme jetzt meine Gartenhacke und erledige diesen Typen oder ich muss ein Buch drüber schreiben. Der Typ wird jetzt von meinen Heldinnen im Buch erlegt. Das war eine solche Befreiung. Das ganze Dorf hat das Buch gelesen und später die Verfilmung gesehen. Der Typ hat sich kaum mehr aus dem Haus getraut. Später ist dann auch weggezogen.

Ab 10. Juli moderieren Sie mit Ijoma Mangold die neue ZDF-Literatusendung „Die Vorleser“. Wie wollen Sie sich von Ihren Vorgängern abheben?

Wir wollen aus beiden Sendungen Elemente übernehmen, die gut funktioniert haben. Aus dem literarischen Quartett eine bestimmte Form des Diskurses. Und aus der Sendung von Elke Heidenreich die Leidenschaft, mit der Bücher empfohlen wurden. Aber es soll natürlich etwas Neues, Eigenständiges entstehen. Wir haben schon festgestellt, dass wir einen unterschiedlichen Zugang zu Büchern haben. Ijoma ist Literaturkritiker, ein Mann, 15 Jahre jünger als ich. Ich bin eher so der Typ leidenschaftliche Leserin, schon auch mit ein bisschen akademischem Background, aber nicht so wie er. Schon allein daraus entstehen unterschiedliche Sichtweisen. Wenn dann noch der Gast dazukommt, könnte das spannende Gespräche geben.

Welche Bücher wählen Sie für die Sendung aus und warum?

Theoretisch ist alles vorstellbar. Hätten wir vor einem Jahr angefangen, als dieser Hype um „Feuchtgebiete“ losging, dann hätten wir das wohl in der Sendung diskutiert, einfach weil es ein Phänomen ist. Mein Ehrgeiz ist es, Bücher zu finden, die ab vom Mainstream sind. Ich habe eine Entdeckung gemacht, auf die bin ich wirklich stolz. Es ist ein wirklich ungewöhnliches Buch und das ist eben noch nicht überall besprochen worden. Vielleicht kann man so einem Buch einen Schubs geben. Das sehe ich als Zweck der Sendung an. Es gibt da keine Hybris von wegen: Das ist uns zu trivial. Aber wir haben Platz für sechs bis acht Bücher pro Sendung, da muss man genau auswählen.