: Der größte Geist von Bergisch Gladbach
Die Gespensterkrimis, in denen Inspektor Sinclair gegen das Böse kämpft, sind die meistgelesenen der Welt. Ihr Autor Jason Dark heißt im echten Leben Helmut Rellergerd. In einem Reihenhaus im Bergischen tippt er jede Woche eine neue Geschichte
Von CLAUDIA LEHNEN
Die Geister schlafen. Vorsichtig schleicht der Mann mit dem weißen Haar an den Bücherregalen vorüber. Er läuft gebückt, den Kopf hat er nach vorne geschoben, wie einer, der jahrelang in einem Haus mit zu niedriger Decke gelebt hat und dessen Knochen sich angepasst haben an die beengten Verhältnisse. Seine Augen huschen über die langen Reihen der dünnen Heftchen, wandern unstet durch den Raum.
Helmut Rellergerd sieht nicht aus wie einer, der dem Schrecken die Stirn bietet. Wenn die Geister wirklich kämen, Rellergerd würde vermutlich Reißaus nehmen. „Nach Aussage meiner Schwiegermutter war Helmut ein sehr vorsichtiges Kind“, sagt seine Frau Rita. Allenfalls aus der Deckung würde er zuhören, was sie ihm zu sagen hätten, all die Vampire, Hexen, Samurais und Zombies. Seine Neugier und seine Vorsicht sind nahezu gleich starke Brüder. Ein Held ist der große Mann, der linkisch an den Regalen vorüber hinkt, nicht.
Aufgeweckt werden die Geister in seinem Leben nur dann, wenn Helmut Rellergerd in das Dachgeschoss seines Reihenhauses in Bergisch Gladbach hinaufsteigt. Wenn er sich unter das Dachfenster setzt, vor dem Vorgärten und andere Reihenhäuser in einer trüben Wolkensuppe schwimmen. Wenn die graue Monica Deluxe, das alte Schreibmaschinenmodell, mit ihren unzähligen Armen wild auf ein unschuldiges Papier einprügelt. Dann ist Helmut Rellergerd Jason Dark. Jason Dark ist Vater der John-Sinclair Romanhefte. Damit ist der Mann, der im echten Leben Helmut Rellergerd heißt und 60 Jahre alt ist, niemand anderes als der meistgelesene Horrorautor der Welt.
Rellergerd ist aber auch Chemotechniker. Den Beruf hat der „Bauer aus dem Pott“, wie sich der gebürtige Dortmunder selbst nennt, nur seinen Eltern zuliebe erlernt. „Ich wollte Sportreporter werden“, erzählt er, „aber mein Vater fand, das sei brotlose Kunst“. 32 Jahre ist es her, dass der Verlag Bastei-Lübbe einen Schreiber für einen Gespenster-Krimi suchte. „Eigentlich wollte ich lieber Krimis schreiben“, erinnert er sich, „aber ich dachte: Das mit den Gespenstern kann ich auch“.
Dann verkauften sich die „Gut-gegen-Böse-Geschichten“ aus der Feder Rellergerds besser als die Geschichten aller anderen Autoren. 1978 bekam er als Jason Dark eine eigenständige John-Sinclair-Heftserie. Seitdem denkt er sich jeden Monat fünf Gespenstergeschichten aus. Wöchentlich erscheint ein Heft, zusätzlich einmal im Monat ein Taschenbuch. Jede Woche hackt er 150 Seiten in die alte Monica, 69.300 Mal klappern die Schreibmaschinenarme an einem durchschnittlichen Tag.
Rellergerd hat eine dunkle Stimme, aber er nuschelt ein wenig. Das „S“ klebt für einen Moment an seinen Zähnen, ehe es feucht aus seinem Mund zischt. Überhaupt ist das Redenschwingen seine Sache nicht. Vielleicht kann einer, der sieben Stunden am Tag seine Gedanken weißem Durchschlagpapier anvertraut, nachmittags nicht mehr viel sprechen. Die rechte Hand hat er um das lange Kinn gelegt, wie um jedes überflüssige Wort am Entstehen zu hindern. Er nickt, er schnaubt manchmal verlegen durch die Nase, wenn ihn etwas amüsiert. Wenn Rellergerd einmal seine Sicht der Dinge zum Besten geben will, tut er das nur in Stichworten. Er verpackt seine Worte einzeln in Comic-Sprechblasen und schubst sie dem Gegenüber mit einem fragenden Lächeln über den Tisch.
Im Bücherregal stehen Rezepte zur Stärkung der Einbildungskraft. Populärwissenschaftliche Bände über vorzeitliche Geschichte, „Das große Buch der Geister“, „Abenteuer und Legenden“ und natürlich die Bibel. „Lesen ist etwas Wunderbares“, sagt er, „in Sachbüchern finde ich viele meiner Ideen, aber auch in Infokanälen in der Glotze“. Vor seinem waschmaschinengroßen Fernseher zappt er sich manchmal durch das Nachmittagsprogramm.
Rellergerd mag es düster. So gehört sich das schließlich für einen, dem ständig Horrorgeschichten durch das Hirn wabern. Wenn das kleine Häuschen sich einen Mantel aus feuchtem Nebel übergezogen hat, herrschen in Rellergerds Geister-Biotop ideale Bedingungen. Vielleicht fühlt er sich an solchen Tagen, als würde er mit seinem Serienhelden John Sinclair, Oberinspektor von Scotland Yard und Geisterjäger im trüben London, in einem Boot sitzen. Nur wenn „es Hochdruck gibt“, dann flüchtet sich der Regenliebhaber in den Keller oder lässt gar seine Monica im Stich, um sich von Rita in die Stadt fahren zu lassen. „Bei schönem Wetter fällt mir manchmal für zwei Stunden nichts ein, dann fahren Rita und ich Kaffeetrinken. Das ist aber ganz selten.“
Trotz seines Faibles für wolkenverhangenen Himmel und Feuchtigkeit hat er das Heimatland seines Serienhelden noch nicht besucht. In England, wo die allermeisten der bisher 1390 Geschichten spielen, war er noch nie. Die einzige Brücke zur Heimat seines Geisterjägers hat vergilbte Seiten und ruht neben der Schreibmaschine: „Den Road-Atlas habe ich einmal einem Engländer in Antwerpen abgekauft.“ Seine nikotingelben Fingernägel krabbeln über die grüne Landschaft um Dundee, wo John Sinclair gerade ermittelt.
Jason Dark hat seinem Verlag Unsummen eingebracht. Bei Bastei-Lübbe spricht man von einer Gesamtauflage von 280 Millionen Heften. Rellergerd ist dagegen nicht wirklich reich geworden. 1.300 Euro kassiert er pro geschriebener Geschichte – wäre er vertraglich an jedem verkauften Heft mit nur wenigen Cent beteiligt, hätte er es längst zum Millionär gebracht. „In Amerika wäre ich stinkreich“, weiß er, „hier sitze ich eben im Reihenhaus in Bergisch Gladbach“. Hadern tut er mit dem durch die Lappen gegangenen Reichtum aber nicht: „Ich bin zufrieden.“ Und wirklich: Wenn er an seiner Schreibmaschine sitzt und Weingummis kaut, während John mal wieder eine dunkle Gestalt zur Strecke bringt, dann sieht er aus wie einer, der sein Glück gefunden hat. Den Kampf gegen die Geister seiner eigenen Realität hat er längst gewonnen.