: Arbeiten mit 60 – der neue Trend
In nur zehn Jahren wird sich die Zahl der älteren Erwerbstätigen vervierfachen. Ursachen sind der Abschied vom Vorruhestand und die demografische Entwicklung. Das Problem: Arbeitsplätze fehlen, weil die Senioren den Unternehmen oft zu teuer sind
AUS BERLIN NADINE BÖS
Die Zahl der Menschen, die im Alter noch arbeiten wollen, wird bis 2015 erheblich steigen. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) und der Empirica AG prognostiziert, dass in 20 Jahren wahrscheinlich 4 Millionen über 60-Jährige erwerbstätig sein möchten. Heute arbeiten etwa 1 Million Menschen, die älter als 60 Jahre sind.
Schuld an dieser Entwicklung ist nach Meinung der Forscher zum einen das Ende des Vorruhestands ab 2006. Das so genannte Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz der Bundesregierung schafft die Frühverrentung faktisch ab und lässt die Rentenaltersgrenze zwischen 2006 und 2008 schrittweise ansteigen. Darüber hinaus führt der demografische Wandel zu einer zunehmenden Alterung der Gesamtgesellschaft. „Dass der Frühruhestand nicht mehr subventioniert wird und gleichzeitig die Babyboom-Generation altert, sorgt dafür, dass sich der demografische Effekt verdoppelt“, sagte Ulrich Pfeiffer, der an der Studie mitgearbeitet hat.
Wegen der zunehmenden Erwerbstätigkeit älterer Menschen glauben die Forscher, dass in 10 Jahren genauso viele Erwerbspersonen zur Verfügung stehen wie heute, nur in einer veränderten Alterszusammensetzung. Das spätere Rentenalter kompensiere den Rückgang bei den Jüngeren. „Die Gretchenfrage ist, ob es gelingen wird, genügend Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer bereitzustellen“, betont Meinhard Miegel, wissenschaftlicher Berater des DIA. Seine Prognose ist pessimistisch: „Das Risiko Arbeitslosigkeit wird eher größer statt kleiner werden.“
Ein zentrales Problem sieht das DIA in der Lohnstruktur. „Ältere Arbeitnehmer sind teuer“, erklärte Pfeiffer. „Dazu kommt, dass schon heute eher hoch qualifizierte Arbeitnehmer mit über 60 Jahren arbeiten.“ Das bedeute für die Zukunft, dass wieder mehr ältere Menschen mit einer durchschnittlichen oder niedrigeren Qualifikation auf den Arbeitsmarkt drängen werden.
Miegel fordert daher verstärkte Anpassungen innerhalb der Unternehmen. „Die deutsche Wirtschaft ist in keiner Weise auf die Änderungen vorbereitet, die auf sie zukommen“, so der Experte. Die bisher übliche Praxis, Beschäftigte mit steigendem Alter in höhere Positionen zu befördern und gleichzeitig die älteren Arbeitnehmer in den Vorruhestand zu schicken, sei nicht mehr durchzuhalten, sagte auch Pfeiffer.
Ein möglicher Lösungsansatz sei das Ende des Senioritätsprinzips, also des Grundsatzes, dass mit zunehmendem Lebensalter auch das Einkommen steigt. Die Forscher prognostizieren aber, dass das Lohnniveau der über 50-Jährigen bis zum Jahr 2035 um 8,3 Prozent sinken müsste, damit genügend Arbeitsplätze für ältere Menschen zur Verfügung stehen können. Alternativ könnte ein um 3,2 Prozent niedrigeres allgemeines Lohnniveau einen ähnlichen Effekt bewirken, so die Studie. „Diese Tatsache wird neue Spannungen am Arbeitsmarkt entstehen lassen“, sagte Pfeiffer. „Die Konflikte zwischen Alt und Jung entschärft heutzutage der Vorruhestand.“ Sobald dieses Instrument aber wegfalle, werde es neues Potenzial für Auseinandersetzungen geben.
Einen weiteren Lösungsansatz sehen die Forscher in gezielten Qualifizierungsmaßnahmen. „Es wird selbstverständlich werden, Qualifikationen ständig zu erneuern“, sagte Pfeiffer. „Wir brauchen verstärkte Fortbildungen ab 45.“ Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, den Erwerb zusätzlichen Wissens mit Einkommensvorteilen zu verbinden und somit positive Anreize zum lebenslangen Lernen zu schaffen.