piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine Insel in Aufregung

Ganz Taiwan wird den Volkskongress mit Spannung verfolgen. Alle politischen Kräfte lehnen dort Chinas geplantes Anti-Sezessions-Gesetz ab. Aber sie sind uneinig, wie sie darauf reagieren sollen

TAIPEH taz ■ „Mit dem Anti-Sezessions-Gesetz verändert China den Status quo zwischen der Volksrepublik und Taiwan“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Rates für Festlandsangelegenheiten und Vizeminister, David Wang, in Taipeh. „Taiwan und die Volksrepublik sind zwei getrennte politische Einheiten. Aber mit dem Gesetz definiert China den Status quo als geeint. Das ist gefährlich.“

Das Anti-Abspaltungs-Gesetz, das auf dem morgen beginnenden Nationalen Volkskongress Chinas verabschiedet werden soll, wird einen Militärschlag legitimieren, falls sich die demokratische Inselrepublik formell für unabhängig erklären sollte. Die Taiwaner fürchten eine per Gesetz festgelegte Dynamik. „Wenn in China bei einem Machtkampf Hardliner die Regierung unter Druck setzen, könnte diese dann keine andere Wahl haben, als Taiwan den Krieg zu erklären“, sagt Wang. „Deshalb ist das Gesetz auch schlecht für China, es schränkt den Handlungsspielraum der Regierung ein.“

Und die Taiwaner sind misstrauisch, weil Peking den Gesetzestext bisher noch nicht bekannt gegeben hat, obwohl er bereits im Dezember vom Ständigen Ausschuss des Volkskongresses verabschiedet wurde. Die Erklärungsversuche dafür sind vielfältig: Es gebe einen Machtkampf in Peking, wird da spekuliert, daher werde der Text noch überarbeitet. Andere glauben, die chinesische Regierung wolle erst noch internationale Reaktionen abwarten. Tatsächlich hat Peking eine hochrangige Delegation in die USA und andere Länder geschickt, um diese zu besänftigen. Auch taiwanische Delegationen bereisten deswegen in den letzten Monaten das Ausland.

Im Dezember, als China seine Pläne für ein Anti-Abspaltungs-Gesetz bekannt gab, wurde in Taiwan gerade ein neues Parlament gewählt. Die regierende Koalition aus Demokratischer Fortschrittspartei (DDP) und Taiwanische Solidaritätsunion (TSU) befürwortete die Unabhängigkeit Taiwans. Präsident Chen Shui-bian hatte im Falle eines Siegs eine Änderung der Verfassung angekündigt, in der die Insel als Teil Chinas angesehen wird. Und Chen wollte auch das Wort China im Staatsnamen – Taiwan nennt sich offiziell Republik China – durch das Wort Taiwan ersetzen. Unerwartet verlor die Koalition aber die Wahl und regiert seitdem mit einer Minderheitsregierung. Auf Druck der Opposition hat Chen inzwischen von seinen Plänen Abstand genommen. China jedoch hält an seinem Gesetz fest.

Taiwans Opposition, die gegen die Unabhängigkeit ist, wirft Chen vor, Pekings Gesetz provoziert zu haben. „China akzeptiert den Status quo, wenn auch nicht gern“, sagt Chan Jung-kung von der oppositionellen Kuomintang (KMT), deren Anhänger 1949 aus China flohen. „Unsere Verfassung schützt uns. Ihr Ziel ist die Vereinigung. Doch ändern wir das oder unseren offiziellen Namen, wäre das eine Unabhängigkeitserklärung, die Peking nicht akzeptieren kann.“

Die radikale TSU hat nun ein Anti-Annektions-Gesetz gefordert. Auch in der DDP gibt es dafür Befürworter. Es soll die Regierung ermächtigen, bei einer chinesischen Anwendung seines Anti-Sezessions-Gesetzes in einem Referendum die Unabhängigkeitsfrage zu stellen. Taipeh aber will noch nicht so weit gehen. Die Regierung hofft noch auf einen milden Text des chinesischen Gesetzes. Sollte dies jedoch nicht eintreten, ist sie im Dilemma. Denn die Anti-China-Stimmung, die Chen und die DPP mitschürten, ist inzwischen so stark, dass die Regierung reagieren muss, will sie ihre Wähler nicht enttäuschen. Unterdessen hat die TSU bereits für Samstag Proteste angekündigt. SVEN HANSEN